BVV-Wahl: Wahlprüfsteine für Tempelhof-Schöneberg
Update zur Wiederholungswahl 2023: Wie kann man die Wahlversprechen der Parteien einschätzen? Worte sind das eine, wir erwarten Taten.
UPDATE: Wahlprüfsteine zur Radverkehrspolitik in Tempelhof-Schöneberg
Rückblick auf die Wahl 2021
Zur Wahl im September 2021 hatten die ADFC-Stadtteilgruppen Schöneberg und Tempelhof den Parteien und politischen Gruppierungen im Bezirk konkrete Fragen zur Radverkehrspolitik der kommenden Jahre gestellt. Geantwortet hatten SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU, Die Linke, Volt und Klimaliste Berlin. Nicht geantwortet hatten trotz mehrfacher Nachfrage FDP und AfD.
Die ausführliche Zusammenfassung der Ergebnisse und eine vergleichende Tabelle haben wir im Juni 2021 gegenübergestellt und bewertet (siehe unten). Alle ausführlichen Fragen und Antworten sind in einem separaten Dokument gesammelt.
Die besten Bewertungen gaben wir Grünen, Volt und Klimaliste. Sie zeigten sich sehr engagiert für den Radverkehr und machen zu den meisten Punkten gute Vorschläge. Auch die SPD schnitt recht gut ab. Sie machte einige gute Vorschläge, blieb jedoch oft zu wenig konkret und zu defensiv bei den anstehenden Herausforderungen, etwa bei den gefährlichen Kreuzungen und den Fahrradstraßen. Ähnlich schnitt die Linke ab.
Die CDU wurde ihrem Ruf als Autofahrerpartei gerecht und blieb bei den wesentlichen Punkten mangelhaft. Sie machte kaum brauchbare Vorschläge zu den gefährlichen Kreuzungen und sträubte sich gegen die Umwidmung von Fahrbahnen und Parkflächen zu Gunsten des Radverkehrs. Ganz am Ende der Skala ordneten wir AfD und FDP ein, die überhaupt nicht geantwortet hatten. Sicherheit im Radverkehr und fortschrittliche Mobilität scheinen bei diesen beiden Parteien kein Thema zu sein.
Ausblick auf die Wiederholungswahl 2023
In den ersten eineinhalb Jahren der neuen Wahlperiode ist der Ausbau der Fahrrad-Infrastruktur im Bezirk kaum vorangekommen. Nur wenige Projekte konnten realisiert werden. Dies verdeutlicht die Analyse des Netzwerks Fahrradfreundliches Tempelhof-Schöneberg (NFTS) eindrücklich: https://www.rad-ts.de/radinfrastruktur-in-tempelhof-schoeneberg-bilanz-2022/ Das Tempo des Ausbaus muss sich künftig vervielfachen, um die Ziele des Mobilitätsgesetzes, des Radverkehrsplans und der Koalitionsvereinbarung des Landes zu erreichen. Immerhin konnte bis Ende 2022 ein Teil der lange unbesetzten Stellen für den Radwegeausbau besetzt werden, so dass ab jetzt eine Beschleunigung zu erwarten ist.
Das Agieren der in der BVV vertretenen Parteien (Grüne, SPD, CDU, Linke, FDP, AfD) bestätigt im Wesentlichen unsere Bewertung vom Juni 2021. Mit einer Ausnahme: die SPD erwies sich im vergangenen Jahr als Blockadepartei innerhalb der Zählgemeinschaft mit den Grünen. Der unvermeidliche Wegfall von Kfz-Parkplätzen beispielsweise bei der sicheren und rechtskonformen Ausgestaltung von Fahrradstraßen löste insbesondere bei der SPD großen Widerstand aus. Beschlüsse der SPD zusammen mit der FDP, CDU und den Linken, denen sich auch die AfD angeschlossen hat, behinderen die Einrichtung der Fahrradstraße Handjerystraße und des Radstreifens Boelckestraße. Dies könnte auch die jahrelange Planung der Verwaltung verwässern, siehe "Empörung über Verhinderung der Fahrradinfrastruktur". In beiden Fällen gehen die Positionen der SPD zu Lasten der Sicherheit Radfahrender und widersprechen dem Berliner Mobilitätsgesetz und dem Radverkehrsplan.
Auch sonst war die Zahl der Anträge verschwindend gering, die eine echte Verbesserung des Radverkehrs im Bezirk bewirken können. Wenn schon bei jahrelang diskutierten Projekten wie der Fahrradstraße Handjerystraße die Prioritäten zulasten des Radverkehrs verschoben werden, gefährdet das die Mobilitätswende insgesamt. Die beschlossenen Ziele und Ausbaustandards müssen eingehalten werden, Planung und Umsetzung deutlich beschleunigt werden.
Zusammenfassende Auswertung der Antworten der Parteien (Stand Juni 2021)
Die Notwendigkeit einer klimagerechten Verkehrswende und lebenswerter urbaner Räume sollte drei Jahre nach der Verabschiedung des Mobilitätsgesetzes nicht mehr in Frage gestellt werden. Fester Bestandteil des Gesetzes ist auch die Sicherheit von allen Verkehrsteilnehmer*innen: VisionZero – null Verkehrstote und Schwerverletzte. Noch sind unsere Straßen aber so unsicher, dass für viele das Radfahren in der Stadt keine sichere Fortbewegungsart darstellt, besonders nicht für jüngere und ältere Menschen. Der Bezirk Tempelhof-Schöneberg bildet hier leider keine Ausnahme. Zwar hat das Berliner Mobilitätsgesetz (MobG) wichtige Weichen gestellt, um den Radverkehr sicherer und attraktiver zu machen. Die Umsetzung auf der Straße kommt aber nicht ausreichend schnell voran, um bis 2030 die gesetzlichen Ziele zu erreichen. Entscheidungs- und Verwaltungsprozesse ziehen sich viel zu lange hin. Das nötige Personal fehlt, sowohl für große Projekte als auch für viele kleinere Maßnahmen. Der ADFC Berlin hat im Mai 2021 den Forderungskatalog für die Legislaturperiode 2021-2026 unter dem Titel “Die Zukunft beginnt heute – Verkehrswende jetzt!” veröffentlicht.
Daran anknüpfend haben die ADFC-Stadtteilgruppen Schöneberg und Tempelhof den Parteien und politischen Gruppierungen im Bezirk konkrete Fragen zur Radverkehrspolitik der kommenden Jahre gestellt. Geantwortet haben SPD, Bündnis 90/Die Grünen, CDU, Die Linke, Volt und Klimaliste Berlin. Nicht geantwortet haben trotz mehrfacher Nachfrage FDP und AfD.
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Wie unterscheiden sich die Antworten der Parteien?
Mit Ausnahme der CDU sprechen sich alle antwortenden Parteien für sichere Radverkehrsanlagen an Hauptverkehrsstraßen (HVS) aus, die als geschützte Radfahrstreifen gestaltet werden sollen. Die CDU hingegen will das bezirkliche Nebenroutennetz aus dem Jahr 2014 stärken und nur an wenigen Hauptstraßen geschützte Radfahrstreifen anlegen. Jedoch ist eine Weiterentwicklung des Netzes auf Nebenstraßen, für das die Bezirke federführend verantwortlich sind, bei der CDU nicht erkennbar. Bei dieser Frage sticht Volt positiv heraus. Ein anderes wichtiges Element im Radnetz nach dem MobG, nämlich das Vorrangnetz, scheint bei den Parteien noch gar nicht angekommen zu sein. Auch ein Zeitplan, bis zu dem Maßnahmen in der nächsten Legislaturperiode umgesetzt werden, scheint bei den Parteien kein Thema zu sein. In den Schwerpunkten unterscheiden sich die Parteien, teils werden aber auch gar keine vorgenommen.
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Wichtige Kreuzungen und Verkehrsknotenpunkte im Bezirk müssen dringend sicherer werden für den Radverkehr. Vorgeschlagen werden von den Parteien u.a. getrennte Ampelschaltungen, eingefärbte Radstreifen, vorrangige Querungshilfen für Radfahrende und Geschwindigkeitsbeschränkungen auf 30 km/h. Die CDU schlägt pauschal Über- oder Unterführungen vor, die im innerstädtischen Kontext wohl kaum zu realisieren sein werden, konkrete Vorschläge wären hier von Interesse. SPD und Grüne machen zu den von uns genannten Kreuzungen teils detaillierte Vorschläge, sie sind jedoch häufig noch nicht zu Ende gedacht.
Grüne, Volt und die Klimaliste wollen explizit mehr Fahrradstraßen. Dabei sind Unterschiede bei der Ausgestaltung erkennbar, wenn wirksame Elemente, wie Poller oder gegenläufige Einbahnstraßen den motorisierten Durchgangsverkehr unterbinden sollen: nur Volt und die Klimaliste stehen dem uneingeschränkt positiv gegenüber. SPD und Linke hingegen schränken ihre Zustimmung ein. Die CDU sieht Fahrradstraßen nur im Einzelfall vor, und auch das soll keinesfalls auf Kosten von Kfz-Stellplätzen geschehen.
Grundsätzlich sprechen sich alle Parteien für mehr Abstellanlagen für Fahrräder im Straßenraum aus. Genannt werden auch Fahrradparkhäuser und Fahrradboxen. Außer der CDU wollen alle anderen antwortenden Parteien auch Parkflächen für Kraftfahrzeuge dafür umwidmen. Das Aufstellen von Fahrradbügeln im Kreuzungsbereich von Nebenstraßen als Prävention gegen Falschparken und zur Erhöhung der Verkehrssicherheit wird von allen Parteien begrüßt. Die umfassendsten Vorschläge zu unseren Fragen kamen von den Grünen und der Klimaliste.
Schließlich haben wir die Parteien gefragt, wie sie Planung und Bau der Radverkehrsanlagen beschleunigen wollen, das Management verbessern sowie den Kfz-Verkehr reduzieren und entschleunigen wollen. Fast alle Parteien wollen Personal aufstocken und die Planungsprozesse beschleunigen. Ferner steuern die Parteien viele lohnende Aspekte zur Verschlankung der Prozesse bei, dennoch fehlt jeder Partei ein Gesamtkonzept, wie die Schwierigkeiten überwunden werden können – da herrscht viel Unsicherheit. Diese Prozesse und Stellschrauben zu verändern, ist wohl die größte Herausforderung, um die gegenseitige Lähmung zwischen Senat und Bezirken aufzulösen.
Ferner wollen alle Parteien die Überwachung des Verkehrs verstärken. Eine flächendeckende Parkraumbewirtschaftung innerhalb der Umweltzone wird von allen antwortenden Parteien außer der CDU befürwortet. Grüne, Volt und Klimaliste wollen den Preis für Anwohnerparkausweis deutlich erhöhen. Kiezblocks und andere Maßnahmen zur Unterbindung von Kfz-Durchgangsverkehr durch Wohngebiete befürworten Volt, Klimaliste, Grüne und SPD. Die übrigen antwortenden Parteien nennen einzelne Viertel und verweisen auf die Einbeziehung der Anwohnenden.
Die Stärkung der Mobilitätserziehung von Kindern und Jugendlichen wird von allen Parteien befürwortet – obwohl seit vielen Jahren faktisch nichts dafür getan wird. Die Jugendverkehrsschulen sollen erhalten und mit weiteren Projekten ergänzt werden. Den bezirklichen FahrRat sehen die Parteien als wichtigen Gesprächspartner und wollen Verbände und Bürger:innen in die Diskussionsprozesse einbeziehen.
Wie bewerten wir die Antworten der Parteien?
In einer vergleichenden Tabelle haben wir die Antworten gegenübergestellt und bewertet. Alle ausführlichen Fragen und Antworten sind in einem separaten Dokument gesammelt.
Einzelne gute Ideen liefern alle, insgesamt schneidet nur eine der antwortenden Parteien mangelhaft ab: die CDU. Ganz am Ende der Skala ordnen wir AfD und FDP ein, die überhaupt nicht geantwortet haben. Sicherheit im Radverkehr und fortschrittliche Mobilität scheinen bei diesen beiden Parteien kein Thema zu sein.
Die SPD hat unsere Fragen sehr ausführlich beantwortet und macht viele gute Vorschläge. Allerdings verweist sie zu sehr auf ihre vergangenen Initiativen und ist zu wenig konkret bei den anstehenden Herausforderungen für den Radverkehr. Insbesondere bei den gefährlichen Kreuzungen und den Fahrradstraßen ist sie defensiv. Daher vergeben wir einen Pfeil schräg nach oben.
Die Grünen im Bezirk bekommen von uns knapp einen grünen Pfeil nach oben, da sie zu den meisten Punkten gute Vorschläge machen. Wir wünschen uns aber konkretere Aussagen und für die kommende Legislaturperiode mehr Engagement auf dem langen Weg zur Umsetzung des Mobilitätsgesetzes. Die CDU wird ihrem Ruf als Autofahrerpartei gerecht und bleibt bei den wesentlichen Punkten mangelhaft. Sie will Radverkehrsanlagen an Hauptstraßen nur in Einzelfällen, macht kaum brauchbare Vorschläge zu den gefährlichen Kreuzungen und befürwortet ein weiter-entwickeltes Nebenstraßenkonzept und Fahrradstraßen nur begrenzt. Sie sträubt sich gegen die Umwidmung von Fahrbahnen und Parkflächen zu Gunsten des Radverkehrs. Daher müssen wir hier leider den Pfeil nach unten vergeben.
Die Linke schafft knapp einen Pfeil schräg nach oben. In wesentlichen Punkten unterstützt sie die Forderungen der Radverkehrsverbände, wenn auch ihre Positionen zu Hauptverkehrsstraßen, gefährlichen Kreuzungen, Nebenrouten und Fahrradstraßen noch Luft nach oben haben. Volt und Klimaliste zeigen sich sehr engagiert für den Radverkehr. Ihnen verleihen wir jeweils zwei grüne Pfeile nach oben. Bei Hauptverkehrsstraßen, gefährlichen Kreuzungen, Nebenrouten und weiteren wesentlichen Punkten schneiden sie gleich oder besser ab als die übrigen Parteien.
Hier die einzelnen Antworten jeder Partei:
SPD | Grüne | CDU | Linke | Volt | Klimaliste |
---|---|---|---|---|---|
SPD- Antwort | Grüne- Antwort | CDU- Antwort | Linke- Antwort | Volt- Antwort | Klimaliste- Antwort |
Fazit
Die Verkehrswende muss jetzt Wirklichkeit werden – nicht zuletzt, um beim Klimaschutz voranzukommen. Es braucht eine klare Umsetzungsstrategie und den politischen Willen, die mannigfaltigen Aufgaben in den Bezirken zu meistern. Die Verwaltung muss hierfür befähigt werden. Um einen für den Rad- und Fußverkehr sicheren und lebenswerten Bezirk zu schaffen, lohnt es sich, das Mobilitätsgesetz schnell und konsequent „auf die Straße zu bringen”.
(Die hier lesbare Auswertung kann als PDF heruntergeladen werden).