Pop Up-Bikelane in der Kantstraße © ADFC Berlin / Philipp Poll

Im Westen erst mal nur Konzepte

Das Image von Charlottenburg-Wilmersdorf ist stark von Ku’damm und Tauentzien geprägt, der alten City-West. Für Innovation steht der Bezirk heute nicht mehr. Doch das war mal anders. Kann es wieder so werden?

Plötzlich sehen Radfahrende in der Kantstraße anders aus: Sie tragen Büro-Outfits, haben Kinderanhänger an ihren Rädern oder fahren Hollandräder. Bis zum Mai, als diese Charlottenburger Magistrale einen Pop Up-Radweg erhielt, fuhren hier nur Unerschrockene Rad. Wer eben konnte, wich in die Nebenstraßen aus. Solche Umwegfahrten machen das Radfahren auf längeren Strecken natürlich unattraktiv.

Dabei ist Charlottenburg-Wilmersdorf (C-W) bei weitem keine Radfahrenden-Diaspora. Schon in der Nachkriegszeit wurden im Bezirk Radwege angelegt – allerdings oft so schmal, dass sie heute gerne »Handtuch-Radwege« genannt werden. Sie waren Ausdruck der autogerechten Stadtplanung. Doch Anfang der 80er Jahre, nach Ölkrise und Smogalarmen, sind die negativen Folgen der Automotorisierung in West- Berlin unübersehbar. In Charlottenburg wird ein ganzes Viertel, der Klausener-Kiez, verkehrsberuhigt. Anfang der 90er Jahre entsteht einer der ersten Berliner Radschutzstreifen am Südwestkorso in Wilmersdorf. Es vergehen weitere zwanzig Jahre, dann folgen im Bezirk diese kostengünstigen Lösungen Schlag auf Schlag: Richard-Wagner Straße (ab 2002), Schloß- und Schlüterstraße (2008), Westfälische, Uhland-, Franklin-, Joachim-Friedrich-Straße (bis 2016). 2010 wird die Wilmersdorfer Prinzregentenstraße als eine der ersten Straßen in Berlin zur Fahrradstraße.

An die heißen Eisen wie Ku’damm, Kantstraße oder den Straßenzug Kaiser-Friedrich-/Lewisham-/Brandenburgische Straße aber traut sich keine Politikerin, kein Politiker heran. Es braucht einen Volksentscheid, ein Mobilitätsgesetz, einen Dieselskandal, es braucht einen tödlichen Unfall und massiven Druck aus der Zivilgesellschaft, wie vom ADFC, bis auf der Kantstraße endlich ein Radweg eingerichtet wird.
Dabei steigt der Anteil der Wege, die mit dem Rad zurückgelegt werden seit Jahren an. Der Anteil der mit dem Auto zurückgelegten Wege hingegen sinkt, in C-W mit 9 Prozent sogar deutlich stärker als der Berliner Durchschnitt (siehe Grafik). Auf der Straße merkte man schon vor der Corona-Pandemie die steigende Zahl an Radfahrenden. Beim Autoverkehr sieht das anders aus. In absoluten Zahlen hat auch er zugenommen. Wie kann das sein?

Obwohl prozentual weniger Menschen das Auto nutzen, sind absolut mehr Autos unterwegs. Das hat zwei Ursachen: zum einen die Bevölkerungszunahme. C-W ist seit 2010 um 23.000 Einwohnerinnen gewachsen (ein Plus von 7,2 Prozent) und liegt auch damit über dem Berliner Durchschnitt. Zum anderen haben mehr Menschen Arbeit als zu der Zeit, als Berlin arm aber sexy war. In der Konsequenz gibt es mehr Arbeitswege – die auch mit dem Auto zurückgelegt werden. Denn auch das ist C-W: 19 km Autobahn.

Eines der zahlreichen Projekte der ADFC Stadtteilgruppe City-West ist es, die A100 zwischen Spandauer Damm und Siemensdamm mit einem Radweg auszustatten. »Die Rudolf-Wissell-Brü­c­ke wird in den kommenden Jahren ohnehin komplett neu gebaut«, sagt ihr Sprecher Henning Voget, »da wäre es ein Unding, den Radverkehr nicht mitzudenken«. Er hat einen Plan gemacht, wie das gehen könnte. Ein Weg an der Unterseite der Brücke würde die Radfahrenden über die Lehrter Bahn, die Spree und den Westhafenkanal führen. Auch am Umbau des Autobahndreiecks Funkturm ist die Gruppe dran. Eine wahre Krampfader des Autoverkehrs, unglaubliche Verkehrsflächen, Verschlin­gungen, aufgeständerte Betonrampen, dazwischen ein Radweg vom Rathenauplatz aus kommend. Durch eine absurde Tunnelrampe unter dem ICC führt er die Radfahrenden zum Messe­damm, wo architektonischer Brutalismus auf Verkehrsvisionen der 70er Jahre trifft. Auf der Großkreuzung von Messedamm und Kantstraße werden Passant:innen unter die Erde geführt. Durch das unterirdische Kachelmuseum muss jede:r, der:die zu Fuß unterwegs ist. Menschen mit Handicap haben das Nachsehen. Sie und Messebesucher:in­nen, die die Radwege als solche nicht erkennen, nutzen die Radfurten, um den Fahrdamm zu queren, doch die Grünphase ist für Menschen zu Fuß oder im Rollstuhl zu kurz. Sie kommen – mit Glück – bis zur Straßenmitte. Diese Kreuzung ist auch so ein heißes Eisen, an das sich weder Bezirk noch Senat herantrauen.

Ein Grund dafür ist der Personalmangel. Insbesondere im Bezirksamt. Jahrelang konnten die ausgeschriebenen Planerstellen nicht besetzt werden. Potentielle Kan­didat:innen zog es gleich zur Senatsverwaltung oder zu InfraVelo, die beide besser bezahlen. »Und das, obwohl die Arbeit bei uns oft sogar verantwortungsvoller ist«, klagt Stadtrat Oliver Schruoffeneger von den Grünen. Er ist im Bezirksamt für das Tiefbauamt zuständig. Seine Mitarbeiter:innen setzt er dort ein, wo gerade ein Leitungsbetrieb wie z.B. die Berliner Wasserbetriebe eine Leitung verlegen. »Es wäre ja verrückt, wenn wir da nicht planend eingreifen und die ohnehin nötige Maßnahme zur Verbesserung des Radwegs nutzen«, argumentiert er. »Wir fokussieren unsere Plan­ungskapazitäten dann auf diese Pro­jekte. Und wenn dann noch Kapazitäten frei sind, kann man eigene Prioritäten setzen. Da sind dann aber meistens keine Kapazitäten mehr frei.« Der Bezirk wird somit faktisch von außen durch Einzelprojekte getrieben. Das Ergebnis bei den Fahrradwegen: ein Flickenteppich von erneuerten guten Abschnitten und sol­chen, die im Ursprungszustand ver­bleiben und zudem oft baufällig sind.

Selbst Stadtrat Schruoffeneger räumt im ADFC-Interview ein, dass in seiner Amtszeit wenig Sichtbares für den Radverkehr umgesetzt wurde. Sein Augenmerk liegt auf dem personellen Aufbau des Tiefbauamts und auf konzeptioneller Arbeit. Er will die Quartiere von dem quälenden Lieferverkehr befreien, der überall in zweiter Reihe parkt und Radfahrende gefährdet. In C-W sollen künftig an fünf City-Hubs Pakete vom Lieferwagen auf Lastenräder umgeschlagen werden. »Wir haben jetzt die Konzepte in der Tasche«, sagt Schru­­offeneger, und ergänzt: »Damit wird es in der nächsten Legislatur einfacher, Dinge umzusetzen.« Das ist dringend zu hoffen.

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Ist auch die Polizei auf dem Fahrrad unterwegs, hat das gleich mehrere Vorteile. So setzt die Stadt ein sichtbares Zeichen dafür, dass Radfahrende für sie ernstzunehmende Verkehrsteilnehmende sind. Die Beamt:innen profitieren dadurch, dass sie in der Praxis nun die Perspektive Jener einnehmen, die sie schützen sollen. Sie sind zudem näher dran am Menschen,weil sie nicht von der Karosserie eines Streifenwagens verdeckt werden.

Förderung des Radverkehrs durch die Polizei

Ist auch die Polizei auf dem Fahrrad unterwegs, hat das viele Vorteile.

https://berlin.adfc.de/artikel/im-westen-erst-mal-nur-konzepte-1

Häufige Fragen von Alltagsfahrer*innen

  • Was macht der ADFC?

    Der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club e.V. (ADFC) ist mit bundesweit mehr als 200.000 Mitgliedern, die größte Interessenvertretung der Radfahrerinnen und Radfahrer in Deutschland und weltweit. Politisch engagiert sich der ADFC auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene für die konsequente Förderung des Radverkehrs. Er berät in allen Fragen rund ums Fahrrad: Recht, Technik, Tourismus.

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  • Was bringt mir eine ADFC-Mitgliedschaft?

    Radfahren muss sicherer und komfortabler werden. Wir nehmen dafür – auch Dank Ihrer Mitgliedschaft – nicht nur Einfluß auf Bundestagsabgeordnete, sondern setzen uns auf Landes- und Kommunalebene für die Interessen von Radfahrern ein. Für Sie hat die ADFC Mitgliedskarte aber nicht nur den Vorteil, dass wir uns für einen sicheren und komfortablen Radverkehr einsetzen: Sie können egal, wo Sie mit Ihrem Fahrrad unterwegs sind, deutschlandweit auf die ADFC-Pannenhilfe zählen. Außerdem erhalten Sie mit unserem zweimonatlich erscheinenden ADFC-Magazin Information rund um alles, was Sie als Radfahrer politisch, technisch und im Alltag bewegt. Zählen können ADFC-Mitglieder außerdem auf besonders vorteilhafte Sonderkonditionen, die wir mit Mietrad- und Carsharing-Anbietern sowie Versicherern und Ökostrom-Anbietern ausgehandelt haben. Sie sind noch kein Mitglied?

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  • Was muss ich beachten, um mein Fahrrad verkehrssicher zu machen?

    Wie ein Fahrrad verkehrstauglich auszustatten ist, legt die Straßenverkehrszulassungsordnung (StVZO) fest. Vorgesehen sind darin zwei voneinander unabhängige Bremsen, die einen sicheren Halt ermöglichen. Für Aufmerksamkeit sorgen Radler*innen mit einer helltönenden Klingel, während zwei rutschfeste und festverschraubte Pedale nicht nur für den richtigen Antrieb sorgen. Je zwei nach vorn und hinten wirkende, gelbe Rückstrahler an den Pedalen stellen nämlich darüber hinaus sicher, dass Sie auch bei eintretender Dämmerung gut gesehen werden können. Ein rotes Rücklicht erhöht zusätzlich die Sichtbarkeit nach hinten und ein weißer Frontscheinwerfer trägt dazu bei, dass Radfahrende die vor sich liegende Strecke gut erkennen. Reflektoren oder wahlweise Reflektorstreifen an den Speichen sind ebenfalls vorgeschrieben. Hinzu kommen ein weißer Reflektor vorne und ein roter Großrückstrahler hinten, die laut StVZO zwingend vorgeschrieben sind.

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  • Worauf sollte ich als Radfahrer*in achten?

    Menschen, die Rad fahren oder zu Fuß gehen, gehören zu den ungeschützten Verkehrsteilnehmern. Sie haben keine Knautschzone – deshalb ist es umso wichtiger, sich umsichtig im Straßenverkehr zu verhalten. Dazu gehört es, selbstbewusst als Radfahrender im Straßenverkehr aufzutreten, aber gleichzeitig defensiv zu agieren, stets vorausschauend zu fahren und mit Fehlern von anderen Verkehrsteilnehmern zu rechnen.Passen Sie Ihre Fahrweise der entsprechenden Situation an und verhalten Sie sich vorhersehbar, in dem Sie beispielsweise Ihr Abbiegen durch Handzeichen ankündigen. Halten Sie Abstand von Lkw, Lieferwagen und Kommunalfahrzeugen. Aus bestimmten Winkeln können Fahrer nicht erkennen, ob sich seitlich neben dem Lkw Radfahrende befinden. Das kann bei Abbiegemanövern zu schrecklichen Unfällen führen. Beachten Sie immer die für alle Verkehrsteilnehmer gültigen Regeln – und seien Sie nicht als Geisterfahrer auf Straßen und Radwegen unterwegs.

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  • Gibt es vom ADFC empfohlene Radtouren für meine Reiseplanung?

    Wir können die Frage eindeutig bejahen, wobei wir Ihnen die Auswahl dennoch nicht leicht machen: Der ADFC-Radurlaubsplaner „Deutschland per Rad entdecken“ stellt Ihnen mehr als 165 ausgewählte Radrouten in Deutschland vor. Zusätzlich vergibt der ADFC Sterne für Radrouten. Ähnlich wie bei Hotels sind bis zu fünf Sterne für eine ausgezeichnete Qualität möglich. Durch die Sterne erkennen Sie auf einen Blick mit welcher Güte Sie bei den ADFC-Qualitätsradrouten rechnen können.

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