Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Landesverband Berlin e. V.

Die fLotte Berlin in Marzahn-Hellersdorf

Die fLotte Berlin in Marzahn-Hellersdorf © ADFC Berlin

"Unsere Straßen sind jetzt schon voll" - Nadja Zivkovic im Interview

Nadja Zivkovic ist seit anderthalb Jahren Stadträtin für Verkehr in Marzahn-Hellersdorf. Das radzeit-Interview führte Nikolas Linck.

Frau Zivkovic, kann man in MarzahnHellersdorf gut Rad fahren?
Wir haben insgesamt 540 km Straße und 111 km Radwege. Natürlich haben wir viele Stellen, wo man was machen müsste. Aber ich finde: Ein Fünftel Radwege, das könnte schlimmer sein.

Sie fahren selbst auch Rad?
Ich bin früher viel mehr Rad gefahren, mit dem Rennrad. Das schaffe ich jetzt aufgrund der Termindichte nicht. Aber wir haben hier ein E-Bike und das könnten alle Mitarbeiter nutzen. Wenn es passt, mache ich das auch sehr gern.

Das Radfahren im Bezirk macht Ihnen Spaß?
Ja. Also wenn ich nicht gerade über die Marzahner Brücken muss. Da war ich ein einziges Mal in meinem Leben. Ich fuhr die Landsberger Allee hoch, stand plötzlich auf der Brücke und dachte: ups, das ist keine gute Lösung. Aber es geht, wenn man auf den Fußweg fährt, das Rad die Treppen hinunterträgt und die Unterführung benutzt. Das ist nicht sehr komfortabel und für den Radverkehr wahnsinnig unattraktiv. Das muss man dann wissen. Auf der Märkischen Allee fahre ich auch ungern, dort gibt es keinen Radweg. Aber da suche ich mir alternative Wege, die oft auch schöner sind.

Aber sollte der Anspruch nicht sein, dass auch die direkten Wege per Rad sicher und angenehm sind?
Auf jeden Fall. Wir müssen dahinkommen, dass das Fahrrad gleichberechtig mit dem Auto ist. Aber wir können in unserem Bezirk aufs Auto nicht komplett verzichten. In der Innenstadt ist das leichter, weil es eine bessere Anbindung mit dem ÖPNV gibt. Die Vorgabe von höchstens 500 Metern Fußweg bis zur nächsten Haltestelle wird hier teilweise nicht erfüllt. Die Menschen sind auf ihr Auto angewiesen, deshalb müssen wir mit dem Radverkehr anders umgehen als in der Innenstadt.

Was heißt das konkret?
Ich kann nicht auf dieser oder jenen Straße einfach eine ganze Spur wegnehmen und dem Radverkehr geben. Da muss ich mir überlegen, ob vielleicht ein Radweg auf einem Grünstreifen daneben entstehen kann. Wir haben auch 35.000 Pendler, die jeden Tag über die B1 einfahren. Die werden auch nicht wegfallen. Dafür müssten wir den ÖPNV stärken, der ist leider noch nicht so attraktiv. Aber das liegt in der Hand des Senats, nicht des Bezirks.

Fühlen Sie sich da vom Senat allein gelassen?
Allein gelassen nicht. Aber ich denke, man könnte konzentrierter und rigoroser an das Thema ÖPNV-Ausbau herangehen, als es der Senat macht.

Ehrlich gesagt habe ich mich ziemlich oft unsicher gefühlt, als ich vorhin vor unserem Interview durch den Bezirk geradelt bin. Sie sind offenbar hartgesottener als ich.
Ich bin früher oft durch den Wedding gefahren, dagegen finde ich das hier easy. Aber das ist auch immer ein persönliches Empfinden und man muss dafür sorgen, dass es allen gut geht.

Ein Beispiel wäre die Kastanienallee. Eine Nebenstraße mit einer Schule und einem Kinderforschungszentrum. Trotzdem kein Radweg und rechts eine Reihe parkender Autos, an denen man im Slalom vorbei muss. Für Kinder viel zu gefährlich.
Die Straße ist nicht sehr breit. Der ADFC möchte gern ein Parkverbot auf dieser Straße. Ich bin in einem Widerstreit, weil es dort auch Anwohner gibt, die zur Arbeit oder woanders hinkommen müssen. Ich bin mir des Problems bewusst, aber eine direkte Lösung habe ich im Moment noch nicht.

Eine Lösung wäre, die parkenden Autos dort wegzunehmen.
Die Parksituation in der Kastanienallee und der Umgebung ist sehr angespannt. Die Autos da gänzlich wegzunehmen ist keine gute Lösung, die allen hilft.

Aber gehören solche Entscheidungen nicht dazu? Es gibt ja immer mehr Menschen und immer mehr Autos im Bezirk, die auch immer mehr Fläche brauchen.
Aber inzwischen müssen nur noch 0,25 Stellplätze pro Wohnungsneubau vorhanden sein. Und deshalb machen sich die Menschen Gedanken, ob sie sich ein Auto anschaffen oder nicht. Meinen Sie nicht, dass da auch ein gewisser Bewusstseinswandel bei den Menschen stattfindet?

Wenn sie wie in der Kastanienalle einen Parkplatz direkt vor der Tür haben, wahrscheinlich nicht. Aber unsere Straßen sind jetzt schon voll, wir haben ja gar keinen Platz mehr. Wenn ich hier herziehen würde und die Parkplatzsituation sehe, würde ich mir drei Mal überlegen, ob ich mir ein Auto anschaffe.

Radschnellverbindungen machen auch längere Strecken fürs Fahrrad attraktiv. Wie stehen Sie zur Idee einer »Radbahn« entlang der U-Bahnline U5?
Das unterstütze ich komplett. Bereits mein Vorgänger hatte dazu ein Schreiben an die Senatsverwaltung verfasst. Die Antwort war etwas verwirrend, da wurde nach der politischen Willensbildung im Bezirk gefragt. Wir hatten dazu bereits drei Anträge in der BVV, die habe ich nun wieder zurückgeschickt.

Wie ist Ihre Zusammenarbeit mit der VLB?
Die Kollegen dort sind scheinbar sehr eingespannt. Wir würden uns wünschen, dass es an der einen oder anderen Stelle schneller laufen würde und wir eher eine Rückmeldung bekämen.

Auch die Marzahner Brücken sollen verändert werden. Ihr Bezirk hätte dort gern jetzt Radverkehrsanlagen, die VLB aber nicht.
Das Argument der VLB ist: Wenn wir da etwas machen, suggerieren wir ein Sicherheitsgefühl, das es nicht gibt. Die VLB ist aber nicht gewillt, dort einen Kompromiss einzugehen. Das ist schwierig. Auch hier war die Zusammenarbeit mit der Abteilung 4, die den Neubau der Brücke macht, wesentlich konstruktiver als mit der VLB.

Es gibt auch Maßnahmen, für die Sie den Senat gar nicht brauchen, etwa die Einrichtung von Fahrradstraßen. In Ihrem Bezirk gibt es bislang eine Fahrradstraße. Finden Sie das nicht ein bisschen wenig?
Ich würde das nicht an der Anzahl festmachen. Davon hängt nicht ab, ob wir ein fahrradfreundlicher Bezirk sind. Wir haben sehr viel Wohngebiet, da gilt generell Tempo 30. Ich bin eher für eine Gleichberechtigung von Autofahrern und Radfahrern, als für eine Bevorzugung. Ich bin nicht generell gegen Fahrradstraßen, aber mir fällt auch kein Beispiel ein, wo sie Sinn machen würden.

Finden Sie nicht, dass im Vergleich zu anderen Bezirken bei Ihnen eher wenig für den Radverkehr getan wird? Das Mobilitätsgesetz ist bereits anderthalb Jahre in Kraft.
Haben Sie sich auch andere Außenbezirke angeschaut? Die Infravelo ist mehr in der Innenstadt aktiv als in den Außenbezirken. Ich würde mich sehr freuen, wenn die Infravelo auch hier aktiver wäre.

Aber die Infravelo macht nur Grünfärbungen, Fahrradparken und Radschnellverbindungen.
Wir haben nicht eine einzige Grünfärbung im Bezirk bekommen. Ich lebe in Friedrichshain-Kreuzberg und sehe, wie viele vorhandene Radwege dort bereits Grünfärbungen bekommen haben. Da denke ich manchmal, es wäre sinnvoller, neue Radwege anzulegen, anstatt die alten grün zu färben.

Die Initiative für neue Radwege in Ihrem Bezirk könnte ja von Ihnen kommen.
Wenn ich Hauptstraßen neu gestalte, muss ich mir das Geld vom Senat für Investitionen geben lassen. Und dann kann ich neue Radverkehrsanlagen bauen. Wir machen das auf der Pilgramer Straße, außerdem werden wir nächstes Jahr die Lemkestraße anfassen und die Eisenacher Straße beginnen. Auch bei kleineren Vorhaben, etwa wenn wir den Offenbach-Kreisverkehr neu gestalten, werden die Radverkehrsanlagen neu gemacht. Aber das ist für mich jetzt kein Highlight, da haben wir vielleicht ein unterschiedliches Verständnis. Wenn ich etwas neu mache, dann so, dass es für alle Verkehrsteilnehmer gut ist.

Wie kommt es, dass Sie bislang nur eine der zwei vorgesehenen Stellen für die Radverkehrsplanung besetzen konnten?
Andere Bezirke konnten ihre Stellen besetzen. Wir sind mit einem ja schon fast gut ausgestattet. Die Ingenieure bewerben sich dort, wo sie kurze Arbeitswege haben. Die Senatsverwaltung schreibt die gleichen Stellen wie wir in einer höheren Entgeltgruppe aus.

Der eine Radverkehrsplaner, den Sie haben, muss dann auch noch andere Aufgaben wahrnehmen als nur die Radverkehrsplanung.
Das ist richtig. Der macht auch andere Straßen, aber die haben dann auch Radverkehrsanlagen. Wir haben insgesamt zwei Bezirksingenieure, obwohl es vier Stellen gibt. Die schaffen schon sehr viel und nehmen viele Überstunden in Kauf. Wir bräuchten aber eigentlich viel mehr Personal. Dafür bräuchten wir attraktivere Arbeitsbedingungen. Home Office, also Telearbeit, ist bei uns extrem unflexibel. Das ist in allen Bezirken so. Das sind keine attraktiven Arbeitsbedingungen für junge Menschen.

Bräuchte Berlin eine grundlegende Verwaltungsreform?
Ja. Es wird ja schon einiges getan, aber da müsste noch radikaler herangegangen werden.

Vielen Dank für das Interview, Frau Zivkovic!

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