Zukunftsmusik in Pankow
Es gibt viele tolle Pläne für Pankows Fahrradfahrer:innen, davon umgesetzt wurde bisher wenig. Eine Bestandsaufnahme in einem riesigen Bezirk. Von Karl Grünberg.
Weit und breit kein Radweg; dafür viele Autos, Lkw und Busse, die über die Bucher Straße brettern, um zur Auto bahn zu gelangen – und ich, der mit dem Fahrrad auf meinem täglichen Weg von Französisch Buchholz nach Karow fährt. Ein Lastwagenfahrer setzt zum Überholen an. Plötzlich kommt uns ein Müllauto entgegengebraust. Kein Platz für Müll auto, Laster und Fahrrad. Also zieht der Lastwagenfahrer wieder nach rechts, kommt näher und näher, ich steuere mein Fahrrad in den Straßengraben.
Die Bucher Straße macht als Radfahrer keinen Spaß – wie so viele Straßen im Norden von Pankow, die noch nie eine Radverkehrsanlage gesehen haben. Hoffnung macht, dass sich die Menschen dennoch aufs Fahrrad setzen, um zum Beispiel zu den Bahnhöfen zu gelangen. Allein am S-Bahnhof Karow gibt es 286 Fahrradbügel: wer nach acht Uhr morgens kommt, findet kaum noch einen freien Platz. Wie viel mehr Rad ‐ fahrer:innen wohl unterwegs sein würden, wenn es auch hier gute Radwege gäbe?
In den 13 Ortsteilen von Pankow wohnen 424.307 Menschen, so viel wie in keinem anderen Bezirk von Berlin, darunter auch die meisten Kinder – und der Bezirk wächst weiter, diverse Neubaugebiete sind geplant. Wobei die Innenstadt- und Randgebiete dieses riesigen Bezirkes sehr unterschiedlich an den Verkehr angebunden sind. Im dicht besiedelten Prenzlauer Berg fahren Straßenbahnen und Busse, U-Bahnen wie S-Bahn. Auch die Fahrradinfrastruktur wird mehr, „zwar langsam, aber es wird besser“, sagt Susanne Jäger, die in der ADFC-Stadtteilgruppe Pankow aktiv ist. So wird der ge schützte Radweg auf der Schönhauser Allee nach jahrelanger Planung gebaut.
Doch ob nach Buch oder Weißensee raus – je weiter man sich von der Innenstadt entfernt, umso mehr dominiert das Auto die Straße, dünnen die ÖPNV-Anbindungen aus und umso häufiger bleibt Radfahrer:innen wegen fehlender Radwege nichts anderes übrig, als auf der Fahrbahn zu fahren. Erst im September 2023 ist eine 33-jährige Frau auf ihrem Fahrrad von einem Lkw auf der Berliner Allee in Weißensee angefahren worden. Sie kam schwerverletzt ins Krankenhaus. Die Berliner Allee ist teilweise vierspurig, hat Straßenbahnen und keinerlei Radwege.
Trotz dieser Bedingungen setzen die Pankower:innen stärker auf klimafreundliche Fortbewegung als der Rest von Berlin: 31 Prozent erledigen ihre Wege zu Fuß, 22 Prozent entscheiden sich für das Rad, 28 Prozent für den ÖPNV und nur 19 Prozent für das Auto, so lautet der Modal Split für den Bezirk. Im berlinweiten Modal Split entscheiden sich wiede ‐ rum nur 18 Prozent für das Fahrrad und ganze 26 Prozent für das Auto.
Doch wo hakt es in Pankow am meisten? Welche Haupt ‐ straßen brauchen dringend jetzt einen Radweg? Und was ist noch Zukunftsmusik? Unterwegs mit Susanne Jäger und Micha Herda von der ADFC-Stadtteilgruppe Pankow. Sie organisieren Kiezfahrten und Demos, vor allem aber begleiten sie sehr kritisch, was der Bezirk plant und was nicht. Dafür beugen sie sich über Stra ‐ ßen querschnitte, sprechen im FahrRat mit, besuchen den Verkehrsausschuss und machen Druck.
Stopp in der 1,5 Kilometer langen Neumannstraße im südlichen Pankow. 4.500 Kinder gehen hier angrenzend auf fünf Schulen und sieben Kindergärten. Immer wieder donnern Autos, Busse und Lkw durch die Straße, viele der Fahrer:innen wollen die Staus auf der Prenzlauer Promenade oder der Berliner Straße umfahren. Einen Fahrradweg hat die Neumannstraße nicht, obwohl dieser bereits seit 2010 angedacht ist. 2017 stellte die Bezirksverordnetenversammlung dann endlich konkretere Ideen vor. 2019 war man optimistisch, dass es sich nur noch um ein paar Monate bis Baubeginn handelt. Doch passiert ist immer noch nichts.
2023, ein neuer Anlauf, diesmal sollte es soweit sein: ein geschützter Radweg. Dann aber wurde Manja Schreiner neue Verkehrssenatorin – und mit ihr kam der Radwegestopp. Wieder gab es eine Unterbrechung, doch diesmal soll der Radweg kommen. Wann genau? Im Januar bestätigte Cordelia Koch, Pankower Bürgermeisterin, einen Baubeginn im Juli 2024. Auch im bezirklichen FahrRat wurde der Baubeginn für 2024 angekündigt. Doch bereits im April fehlt die Neumannstraße unter den aufgelisteten Radwegeprojekten, die in diesem Jahr verwirklicht werden sollen. Und auf der Internetseite von infraVelo wird nun doch erst das zweite Quartal 2025 als Baubeginn angegeben. „15 Jahre und immer noch kein Rad weg, das ist echt peinlich. Damit endlich etwas passiert, fordern wir wenigstens einen temporären geschützten Pop-Up-Radweg, damit die Kinder sicher zur Schule kommen“, sagt Micha, dessen Kinder auch hier zur Schule gehen.
Ortswechsel zur Mühlenstraße, 1,3 Kilometer lang, die als viel befahrene Hauptstraße und Teil der Bundesstraße 96a ebenfalls keinen einzigen Meter Rad weg hat. Die letzten vorgestellten Planungen für einen geschützten Radweg stammen aus dem Jahr 2020. „Die waren in Ordnung“, sagt Susanne, die sich damals mit über die Pläne gebeugt hatte. Doch die BVG inter venierte wegen einer Wendeschleife für ihre Busse ganz am Anfang der Müh len straße. „Seitdem liegt das Projekt wieder auf irgend einem Schreibtisch und wir haben nie wieder etwas von der Mühlenstraße gehört.“ Die infraVelo gibt als möglichen Bauzeitraum das zweite Quartal 2025 bis drittes Quartal 2026 an.
Ebenfalls ziemlich gut hören sich die Pläne für den Panke- Trail an: eine Radschnellverbindung mit einer Länge von 18,4 Kilometern, die den Pankower Norden mit der Stadtmitte verbinden soll, inklusive eigener Fahrradbrücken. „Für Pendler, die in die Stadt wollen, wäre diese Strecke eine fantastische Alternative zum Auto oder zum ÖPNV“, sagt Susanne. Ge ‐ schätzte Kosten: 80 Millionen Euro. Ursprünglich war ein Bau beginn für 2027 angepeilt, der aber jetzt schon hinfällig ist. „Ich würde es schön finden, wenn ich den Panke-Trail noch erleben darf “, sagt Susanne.
Fantastisch hörte es sich auch an, als 2020 der damalige Stadtentwicklungsstadtrat Vollrad Kuhn (Grüne) verkündete, 20 Fahrradstraßen bis 2023 einzurichten – zusätzlich zu den fünf, die es schon gab. Erst zwei davon sind bisher realisiert worden, eventuell kommen noch zwei weitere in diesem Jahr dazu. „Die Straßenverkehrsbehörde des Bezirks, die Fahrradstraßen anordnet, ist völlig überlastet und wegen Krankheit, Personal mangel und hoher Fluktuation praktisch nicht arbeitsfähig ist“, sagt Micha.
Immerhin zwei neue Radwege kommen in diesem Jahr ganz bestimmt: Auf der Hansastraße in Weißensee wird ein geschützter Radstreifen auf einer Länge von 1.081 Metern gebaut und auf der Grellstraße und Storkower Straße entsteht auf einer Länge von 1.700 Metern ein grün beschichteter Radfahrstreifen. Es gibt viele Pläne in Pankow, vieles davon ist Zukunftsmusik.