„Ich kann nur empfehlen, sich etwas zu trauen!“ - Monika Herrmann im Interview

Monika Herrmann, Bezirksbürgermeisterin in Berlin Friedrichshain-Kreuzberg, im radzeit-Interview über die neuen Pop-Up-Radwege im Bezirk und warum Pkw-Parken teurer werden muss. Das Interview führte Lisa Feitsch.

Frau Herrmann, die ganze Welt redet über die Pop-Up-Radwege in Berlin, zum größten Teil ist damit Friedrichshain-Kreuzberg gemeint. Wie fühlt sich das an?
Das fühlt sich gut an. Radaktivist*innen sind sehr kritisch, aber sie sind mit die einzigen Aktivist*innen, die ich kenne, die auch sagen, wenn etwas gut läuft. Das ist eine ganz neue und positive Erfahrung besonders für die Kolleg*innen in der Verwaltung und auch eine Unterstützung, die uns im Bezirksamt sehr hilft.

Ist es das, was bisher gefehlt hat? Auch mal eine positive Rückmeldung als Motivation?
Auch ich war lange Zeit unzufrieden mit dem, was in unserem Bezirk in puncto Fahrradfreundlichkeit und Fahrradsicherheit passiert ist. Das hat sich erst in den letzten Jahren wirklich spürbar gebessert. Das hat sicher auch was mit Personal zu tun, das gefehlt hat. Ich freue mich, dass jetzt einiges gut läuft. Aber es bleibt viel zu tun: Ich kriege immer wieder mal Fotos über Twitter oder auf anderen Wegen, von Baustellen oder anderer Infrastruktur, die nicht besonders radfreundlich gestaltet ist. Ich glaube, was uns allen gut tut, ist, dass wir das Gefühl haben, zwar sehr kritisch begleitet zu werden, aber dass wir doch ein gemeinsames Ziel haben.

Wenn man diese Erfahrungen zusammennimmt, was würden Sie anderen Bezirken davon mitgeben wollen?
Das werde ich öfter gefragt. Da bin ich sehr vorsichtig. Selbst wir als Grüne im Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg haben das Thema Radverkehr lange nicht ernst genug genommen. Das ist jetzt anders. Ein Problem ist in allen Bezirken die Personalsituation. Um Radinfrastruktur zu schaffen, brauchst du entsprechende Fachleute im Amt. Ich kenne Kolleg*-innen aus anderen Bezirken, von denen ich weiß, dass sie etwas bewegen wollen. Und dann gibt es andere, bei denen es schwieriger ist als bei uns. Ich möchte nicht über die anderen Bezirke urteilen. Ich kann nur empfehlen, sich etwas zu trauen und sich genau anzugucken, was wir mit den Pop-Up-Radwegen gemacht haben. Das ist einfach eine Baustellenanordnung. Das ist so banal. Und solche Sachen muss man machen, darauf muss man kommen, und da muss man auch ein bisschen mutiger sein.

Kann man davon ausgehen, dass es jetzt immer so läuft?
Was die gute Zusammenarbeit zwischen dem Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg und der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz betrifft: ja. Wenn alle wollen, dann ist sehr, sehr viel möglich in Berlin. Aber es wäre schon schön, wenn die Ergebnisse in den Bezirken vergleichbarer wären. Mir geht es ja auch so: Sobald ich Friedrichshain-Kreuzberg verlasse, fehlt mir die Radinfrastruktur. Ich möchte natürlich durch ganz Berlin bequem und sicher mit dem Rad fahren können.

Uns interessiert auch das Thema Verstetigung. Die temporäre Anordnung der Pop-Up-Radwege ist bis Ende des Jahres verlängert worden. Wie geht es dann weiter?
Durch die temporäre Baustellenanordnung sind wir sozusagen schon mitten in der praktischen Analyse. Wir gucken uns alles an, können nochmal nachbessern. Und dann werden die Radwege sukzessive verstetigt. Beim Thema Poller wollen wir verschiedene Varianten ausprobieren. Wie man die gestaltet – ob das nun die Tannenbäume sind oder was anderes –, muss man gucken. An der Frankfurter Allee zum Beispiel täten Poller sehr gut.

Ja, ein Albtraum, wenn man alle paar Meter wegen Falschparker*innen in den Autoverkehr ausweichen muss.
Genau, das eine sind Falschparker. Das andere ist die Situation an Kreuzungen, die wir uns auf alle Fälle genauer ansehen müssen. Das ist unabhängig davon, dass Lkw den Abbiegeassistenten brauchen. Aber ich fände es schon gut, wenn wir auch verschiedene Lösungen an Kreuzungen ausprobieren. Da ist noch viel zu machen. Das gilt dann auch für zu Fuß Gehende, nicht nur für Radfahrende.

So eine spezielle Stelle im Bezirk ist der „Kotti“, das Kottbusser Tor. Da wurde auch schon einiges ausprobiert, trotzdem ist die Kreuzung nach wie vor Unfallschwerpunkt.
Ja, der Kotti ist trotz Umbau gefährlich. Dass da nicht noch viel mehr passiert, ist eigentlich ein Wunder. Wir haben mit dem Senat darüber intensiv gesprochen, dass der gesamte Kotti komplett neu geplant werden muss. Ich weiß nicht, wie schnell da was geht. So einen Verkehrsknotenpunkt wie den Kotti musst du richtig umbauen, das ist nicht mit einer gelben Markierung getan. Das sind dann immer sehr aufwendige und langwierige Planungen. Sehr schwierig finde ich, dass das Ändern einer Ampelschaltung auch ein Jahr dauert. Aber das wird auf alle Fälle angegangen, und dann müssen die Autos halt auch mal länger stehen.

Durch die Ost-West-Route am Kotti fahren ja nicht nur zig Pkw, sondern sie kriegen auch richtig Tempo. Gibt es Pläne, die Geschwindigkeit rauszunehmen?
Es ist ja so: Wenn wir Tempo rausnehmen, muss das auch überwacht werden. Ansonsten interessiert es ja keinen. Das ist ein riesen Problem. Die Polizei Berlin sagt – und das finde ich eigentlich einen absoluten Skandal –, sie habe nicht genug Blitzer. Die brauchen wir dort, wo Autorennen stattfinden. Und ich würde an jede Ampel ein Blitzgerät hängen, schwupp verändert sich das mit dem bei Rot über die Ampel Fahren sehr schnell. Aber wir sind dran am Kotti, das wird nicht weiter ignoriert wie in der Vergangenheit.

Springen wir mal vom fließenden zum ruhenden Verkehr: Ein Privat-Pkw steht im Schnitt mehr als 23 Stunden am Tag still und nimmt dabei wertvollen Platz in Anspruch. Gerade in einem Wohnbezirk wie Xhain könnte man den gut gebrauchen für Wohnraum, Spielplätze, Straßencafés, Urban-Gardening-Projekte, mehr Gemeinschaft im Kiez. Was sind Ihre Pläne, dem Pkw Platz wegzunehmen, um solche Visionen hin zur lebenswerten Stadt umzusetzen?
Wir haben ein Programm aus verschiedenen Elementen. Das eine ist, dass wir 5.000 Parkplätze umwandeln wollen. Das andere ist, dass wir Fahrrad-Abstellmöglichkeiten auf die Straße setzen, runter vom Gehweg, gemeinsam mit den E-Scootern oder Leihrädern. Und ich bin eine große Verfechterin davon, dass Parken deutlich teurer wird. Ich bin mir nicht sicher, ob Berlin als Landesregierung da schon alle Möglichkeiten nutzt, die Preise zu erhöhen. Wir wollen die Parkraumbewirtschaftung flächendeckend in unserem Bezirk einführen. Das dient auch dazu, dass die Leute sich überlegen, ob sie wirklich einen Parkplatz brauchen. Und wenn du dann autofreie Straßen hast, also für Menschen zu Fuß und auf dem Rad, brauchst du den Asphalt nicht mehr überall. Du kannst also viel mehr entsiegeln. Das brauchen wir auch fürs Klima.

Das haben auch die letzten Hitzesommer gezeigt: Wir brauchen viel mehr Grünflächen in der Stadt.
Richtig, und da müssen wir ein bisschen radikaler sein, damit die Leute sehen, dass autofrei auch heißt: mehr Platz. Leider machen wir die Dinge dann oft nur modellhaft, damit man es überhaupt machen darf. Das ist so ein bisschen das Problem in Berlin. Das Verrückte ist ja, mal ehrlich, dass wir hier als radikal abgefeiert und angefeindet werden, weil wir Pop-Up-Radwege bauen. Dass das schon revolutionär ist, ist auch traurig.

Stichwort „radikal“. Vieles ist ja auch schon festgeschrieben. Das umzusetzen, wäre mal ein Anfang. Will Friedrichshain-Kreuzberg der erste Bezirk Berlins werden, der die Straßen Mobilitätsgesetz-konform umbaut?
Ja. Aber da wir nicht alleine bauen, ist das ein bisschen schwierig. Wir sind große Fans des Gesetzes und wollen das natürlich am liebsten zu 100 Prozent umsetzen. Bei der Hasenheide hatte man sich ja richtig miteinander verhakelt, was die Breite des Radweges betraf. Ich war froh, dass das Ding überhaupt gemacht wurde. Aber ich glaube, dass wir in Friedrichshain-Kreuzberg auf einem sehr guten Weg sind.

Vielen Dank für das Gespräch, Frau Herrmann!

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https://berlin.adfc.de/artikel/monika-herrmann-ich-kann-nur-empfehlen-sich-etwas-zu-trauen-1-1

Häufige Fragen von Alltagsfahrer*innen

  • Was macht der ADFC?

    Der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club e.V. (ADFC) ist mit bundesweit mehr als 200.000 Mitgliedern, die größte Interessenvertretung der Radfahrerinnen und Radfahrer in Deutschland und weltweit. Politisch engagiert sich der ADFC auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene für die konsequente Förderung des Radverkehrs. Er berät in allen Fragen rund ums Fahrrad: Recht, Technik, Tourismus.

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  • Was bringt mir eine ADFC-Mitgliedschaft?

    Radfahren muss sicherer und komfortabler werden. Wir nehmen dafür – auch Dank Ihrer Mitgliedschaft – nicht nur Einfluß auf Bundestagsabgeordnete, sondern setzen uns auf Landes- und Kommunalebene für die Interessen von Radfahrern ein. Für Sie hat die ADFC Mitgliedskarte aber nicht nur den Vorteil, dass wir uns für einen sicheren und komfortablen Radverkehr einsetzen: Sie können egal, wo Sie mit Ihrem Fahrrad unterwegs sind, deutschlandweit auf die ADFC-Pannenhilfe zählen. Außerdem erhalten Sie mit unserem zweimonatlich erscheinenden ADFC-Magazin Information rund um alles, was Sie als Radfahrer politisch, technisch und im Alltag bewegt. Zählen können ADFC-Mitglieder außerdem auf besonders vorteilhafte Sonderkonditionen, die wir mit Mietrad- und Carsharing-Anbietern sowie Versicherern und Ökostrom-Anbietern ausgehandelt haben. Sie sind noch kein Mitglied?

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  • Was muss ich beachten, um mein Fahrrad verkehrssicher zu machen?

    Wie ein Fahrrad verkehrstauglich auszustatten ist, legt die Straßenverkehrszulassungsordnung (StVZO) fest. Vorgesehen sind darin zwei voneinander unabhängige Bremsen, die einen sicheren Halt ermöglichen. Für Aufmerksamkeit sorgen Radler*innen mit einer helltönenden Klingel, während zwei rutschfeste und festverschraubte Pedale nicht nur für den richtigen Antrieb sorgen. Je zwei nach vorn und hinten wirkende, gelbe Rückstrahler an den Pedalen stellen nämlich darüber hinaus sicher, dass Sie auch bei eintretender Dämmerung gut gesehen werden können. Ein rotes Rücklicht erhöht zusätzlich die Sichtbarkeit nach hinten und ein weißer Frontscheinwerfer trägt dazu bei, dass Radfahrende die vor sich liegende Strecke gut erkennen. Reflektoren oder wahlweise Reflektorstreifen an den Speichen sind ebenfalls vorgeschrieben. Hinzu kommen ein weißer Reflektor vorne und ein roter Großrückstrahler hinten, die laut StVZO zwingend vorgeschrieben sind.

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  • Worauf sollte ich als Radfahrer*in achten?

    Menschen, die Rad fahren oder zu Fuß gehen, gehören zu den ungeschützten Verkehrsteilnehmern. Sie haben keine Knautschzone – deshalb ist es umso wichtiger, sich umsichtig im Straßenverkehr zu verhalten. Dazu gehört es, selbstbewusst als Radfahrender im Straßenverkehr aufzutreten, aber gleichzeitig defensiv zu agieren, stets vorausschauend zu fahren und mit Fehlern von anderen Verkehrsteilnehmern zu rechnen.Passen Sie Ihre Fahrweise der entsprechenden Situation an und verhalten Sie sich vorhersehbar, in dem Sie beispielsweise Ihr Abbiegen durch Handzeichen ankündigen. Halten Sie Abstand von Lkw, Lieferwagen und Kommunalfahrzeugen. Aus bestimmten Winkeln können Fahrer nicht erkennen, ob sich seitlich neben dem Lkw Radfahrende befinden. Das kann bei Abbiegemanövern zu schrecklichen Unfällen führen. Beachten Sie immer die für alle Verkehrsteilnehmer gültigen Regeln – und seien Sie nicht als Geisterfahrer auf Straßen und Radwegen unterwegs.

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