Spandau? Stillstand für das Fahrrad
Seit Jahren geht in Spandau in Sachen Fahrrad kaum etwas voran, Millionen Euro wurden nicht abgerufen. Woran liegt es?
Die Prioritäten liegen woanders.
Das Problem beginnt bereits am Bahnhof Rathaus Spandau. Wer hier sein Fahrrad abschließen will, findet nur schwer einen freien Platz. „Jeder Grashalm wird dazu genutzt“, sagt Christoph Grabka, Sprecher der ADFC-Stadtteilgruppe Spandau. Er blickt sich um – tatsächlich steht an jeder möglichen Stelle ein angeschlossenes Fahrrad. Rund um den Bahnhof gibt es 578 offizielle Stellplätze; gebraucht werden laut infraVelo jedoch doppelt so viele. Pläne, wie diese bis 2030 gebaut werden könnten, gibt es keine. Überhaupt wurden in ganz Spandau seit 2017 nur 376 neue Fahrradbügel aufgestellt – trotz des umfangreichen Berliner Förderprogramms „Fahrradbügel für Berlin“.
Spandau ist ein großer Berliner Außenbezirk mit einer Fläche von 91,9 Quadratkilometern, 257.091 Einwohner:innen und einer Nord-Süd-Ausdehnung von 20 Kilometern. Es gibt viel Wald, viel Wasser, und viele Parks. Für Fahrradausflüge ist Spandau ideal. Entspannt lässt sich eine 16-Kilometer-Rundtour durch den Spektegrünzug über die Gartenstadt Staaken bis zum Bullengraben unternehmen. Diese Wege führen größten teils durch Parks und über gemeinsame Fuß- und Radwege. Seine andere Verkehrsseite zeigt Spandau, wenn man mit dem Rad von A nach B möchte, zur Arbeit, zum Einkaufen, in die Schule. Kopfsteinpflaster, gefährliche Kreuzungen, marode Radwege und schmale, ungeschützte Radstreifen auf der Straße – wenn es überhaupt welche gibt. „Radfahrer:innen werden in Spandau regelrecht schikaniert. Einerseits hat das Radwegenetz große Lücken. Andererseits werden bestehende Radwege einfach so auf die Straße geführt, völlig überraschend für Autofahrer:innen und Radfahrer:innen. Das ist mehr als unschön“, sagt Christoph Grabka.
Ein Ärgernis ist der Rathausvorplatz: Will man auf dem Hochbordradweg entlang des Rathauses Spandau fahren, steht man plötzlich in einer Traube von Menschen, die dort auf den Bus warten. Schlecht geplant, schlecht gemacht – Radfahrer:innen sind die Leidtragenden. Auch die Kreuzung vor dem Rathaus ist sehr gefährlich; hier wurden in den letzten Jahren zwei Radfahrer:innen von Autofahrer:innen getötet. Hinzu kommen die weiten Strecken: Wohnt man beispielsweise in Kladow, ganz am Rand von Spandau, braucht man 40 Minuten mit dem Fahrrad, um in die Spandauer Altstadt oder 60 Minuten, um zur nächsten Ringbahn-Haltestelle zu gelangen.
Diese Fahrradunfreundlichkeit spiegelt sich auch im Modal-Split des Bezirks wider. Die letzte Erhebung fand 2018 statt und zeigte, dass in Spandau nur rund 10 Prozent der Wege mit dem Fahrrad, 25 Prozent zu Fuß, 20 Prozent mit dem ÖPNV und 41 Prozent mit dem Auto oder einer Kombination dieser Mobilitätsarten zurückgelegt werden. Mit anderen Worten: Das Fahrradpotenzial des Bezirks ist noch lange nicht ausgeschöpft. Es gibt beispielsweise nur eine einzige Fahrradstraße im Bezirk; weitere sind nicht geplant. Christoph Grabka fallen spontan mindestens drei Straßen ein, die sich hervorragend zu Fahrradstraßen umwidmen ließen.
Doch was ist in den letzten Jahren konkret passiert?
Betrachtet man die jeweiligen Radfortschrittsberichte, fällt das Ergebnis mager aus. 2020 wurden null Meter Radwege in Spandau auf die Straße gebracht. 2021 wurden 100 Meter Radweg saniert und insgesamt 1,1 Kilometer Radweg angelegt. Dabei handelt es sich um baulich getrennte Radwege, die im Zuge des Umbaus des Ferdinand-Friedensburg-Platzes erneuert und verbreitert wurden. Im Jahr 2022 wurde auf einer Länge von 100 Metern ein baulich getrennter Radweg an der Falkenseer Chaussee fertiggestellt. 2023 wurde auf 800 Metern ein 1,25 Meter breiter, ungeschützter Radstreifen einseitig auf der Fahrbahn der Gatower Straße markiert. Außerdem wurde ein 1.441 Meter langer gemeinsamer Fuß- und Radweg im Wilhelm-von-Siemens-Park asphaltiert. Insgesamt hatte Spandau im Jahr 2021 2,03 Millionen Euro für den Radwegeausbau zur Verfügung, ausgegeben wurden jedoch lediglich 175.432 Euro. Im Jahr 2022 standen 2,16 Millionen Euro zur Verfügung, davon wurden 74.705 Euro ausgegeben. Im Jahr 2023 stellte das Land 1,92 Millionen Euro bereit, davon verwendete Spandau 541.446 Euro. Spandau hatte also ein Vielfaches an Geld für den Radwegeausbau vom Senat zur Verfügung gestellt bekommen, jedoch nur einen Bruchteil davon abgerufen. Wie kann das sein?
Spandau wird von der CDU regiert; bei der Wiederholungswahl zum Abgeordnetenhaus 2023 erreichte die Partei 39,1 Prozent. Zuständig für die Bereiche Bauen, Planen, Umwelt- und Naturschutz – und damit auch für den Radwegeausbau – ist der Bezirksstadtrat Thorsten Schatz (CDU). Zwar betont er in Interviews, dass ihm der Rad wege ausbau wichtig sei; gleichzeitig schrieb er bereits 2022 auf seinem Facebook-Account, dass es mit ihm nur Radwege geben werde, für die kein Kfz-Fahrstreifen wegfalle. Zu dem eher lauwarmen Interesse an Fahrradthemen passt auch, dass die letzte Sitzung des FahrRates am 15. Januar 2020 stattfand. Seitdem wurde kein einziger FahrRat mehr abgehalten, obwohl dieser viermal jährlich angesetzt werden müsste und außerdem im Mobilitätsgesetz fest geschrieben ist. FahrRäte sind die bezirklichen Beratungsgremien für den Radverkehr, an denen auch ADFC-Stadtteilgruppen teilnehmen. Im mer hin: Im nächsten Frühjahr soll erstmals ein sogenannter Mobilitätsrat zusammen treten. Betrachtet man die letzten 290 Facebook-Posts, die Schatz als Stadtrat veröffentlichte, geht es um Spiel platzeinweihungen, Boulebahneröffnungen, Friedhofserweiterungen und Spatenstiche bei Baustellen – aber nur ein einziges Mal positiv um das Fahrrad: Er begrüßte die Einweihung einer Fahrradreparaturstation. Diese Verkehrsausrichtung hat Folgen. Spandau hat mehrere Radwegeprojekte, die dringend auf die Straße müssten. Eines davon ist beispielsweise der Magistratsweg, auf dem es nur auf einer Straßenseite einen sehr schmalen Radfahrstreifen gibt. Hier sollten eigentlich beidseitig neue Radstreifen angelegt werden. Schatz stoppte diese Pläne, da dafür Parkplätze entfallen müssten. Die gefährliche Verkehrssituation für Radfahrer:innen bleibt bestehen. Wie es mit dem Radweg weitergeht, bleibt unklar.
Besonders peinlich findet Christoph Grabka den Fall des „Radwegs der Sympathie“, der durch Falkensee, Spandau und dann erneut durch Falkensee verläuft. Auf der Brandenburger Seite ist der Radweg hervorragend ausgebaut und sogar beleuchtet. Paradiesische Zustände, die jedoch an der Berliner Landesgrenze und beim Übertritt in den Bezirk Spandau enden. Ab Spandau erwartet eine etwa hundert Meter lange Sandpiste die täglichen Radpendler:innen. Neun Jahre schon plant hier das Bezirksamt. Mal sind es Kröten, dann der Waschbär, die es unmöglich machen, den Lückenschluss zu vollziehen. „In Brandenburg geht es, nur bei uns in Spandau nicht“, klagt Grabka. Die Planungen laufen, heißt es Jahr für Jahr aus dem Bezirksamt. Einige Lichtblicke tun sich dennoch auf. Ein Teilstück des Radwegs an der Charlottenburger Chaussee ist eben fertiggestellt worden. Seit 2016 in Planung, seit 2017 war der alte und marode Hochbordradweg dann sogar gesperrt und die
Radfahrer:innen auf den Fußweg geleitet worden. Ursprünglich hätte 2021 mit den Bauarbeiten begonnen wer den sollen. Doch erneut kollidierten die Radwegbreiten des Mobilitätsgesetzes von 2,50 Metern im Vorrangnetz mit den verkehrspolitischen Vorstellungen in Spandau. Wieder argumentierte Schatz, diesmal gegenüber dem RBB, mit „starren Rechtsverordnungen“ und führte das Schreckgespenst der Grundstücksenteignung ins Spiel.
Tatsächlich ist die Straße nicht an allen Stellen breit genug, doch das Mobilitätsgesetz fordert dies auch nicht und erlaubt in begründeten Ausnahme ‐fällen eine geringere Breite. Da man sich mit der Verkehrsverwaltung nicht einigen konnte, wurden die Arbeiten nicht aus Senatsmitteln, sondern aus dem Bezirkshaushalt finanziert. Die Folge: Weitere drei Jahre Stillstand, bis der Radweg auf einer Länge von 500 Metern und mit einer Breite von 2,16 Metern eben erst fertig gebaut wurde. Dem Lichtblick folgt sofort wieder Scha琀琀en: Das geplante, zweistöckige Fahrradparkhaus mit insgesamt 350 Stellplätzen am Spandauer U-Bahnhof Haselhorst war ein Hoffnungsschimmer für alle Fahrrad-ÖPNV-Pendler:innen. Doch daraus wird nichts, denn die neue Verkehrssenatorin Ute Bonde (CDU) stoppte den Bau von vier Fahrradparkhäusern, darunter auch das in Haselhorst. Als Grund nennt sie fehlende finanzielle Mittel, obwohl umfangreiche Bundesmittel zur Verfügung stehen. Christoph Grabka und die anderen Mitglieder der ADFC-Stadtteilgruppe werden weiterhin in Spandau für bessere Bedingungen für Radfahrer:innen kämpfen, auch wenn es nur mühsam vorangeht. Thorsten Schatz stand für ein Interview aus persönlichen Gründen nicht zur Verfügung.