Mit Pollerbü kommt Schwung nach Mitte
Lange fristete der Radverkehr im Bezirk Mitte ein stiefmütterliches Dasein, doch plötzlich ploppen hier und da Poller auf – sind sie die heiß ersehnten Vorboten der Verkehrswende in Berlins Zentrum? Von Lisa Feitsch.
Rot-weiß-rot steht er da. Gestreift und starr. Und noch einer, und noch einer, und noch einer. Mehrere rot-weiß-rot gestreifte Poller bereichern seit Ende 2021 die Bellermannstraße in Berlin-Wedding. Weitere zig ploppten im August 2022 in der Müllerstraße auf und schützen dort einen Radweg. „Es ist eine Wohltat, hier langzufahren“, schwärmt eine Anwohnerin auf dem Fahrrad auf der Müllerstraße. „Plötzlich können wir einfach über die Straße rüber, um mit den Kindern zum Spielplatz zu laufen“, freut sich die Kita im Bellermannkiez. „Solche Rückmeldungen, besonders wie die aus der Kita, freuen uns natürlich wahnsinnig“, sagt die Frau, die für das #Pollerbü, wie es auf Twitter mittlerweile heißt, verantwortlich ist: Almut Neumann, Bezirksstadträtin in Berlin-Mitte, zuständig u. a. für Verkehr und Ordnung. Seit November 2021 sitzt sie am Drücker. Ihr Ziel: „Dinge auf die Straße bringen. Wir haben die Verpflichtung, für Verkehrssicherheit zu sorgen“, sagt sie im radzeit-Interview. „Neumann hat eine intrinsische Motivation, die Verkehrswende voranzubringen, das wird deutlich. Eingeschränkt wird ihr Wille zur Veränderung durch knappe Ressourcen wie Personal und Finanzen“, fasst es die Stadtteilgruppe ADFC Mitte zusammen. Zu Neumanns Plänen zählen: Fahrradstraßen „am Fließband produzieren“, sichere Wege für Kinder schaffen und: den Bezirk Mitte zum Kiezblock-Vorreiter machen.
Kiezblock ist der Berliner Name für etwas, das Barcelona schon seit Anfang der frühen 1990er Jahre unter dem Namen „Superblock“ umsetzt. „Das Konzept der ‚Superblocks‘ […] hat zum Ziel, umweltfreundliche und für alle zugängliche Stadtteilzentren zu schaffen und dadurch die Aufenthaltsqualität für die Anwohner:innen zu verbessern“, heißt es in der ADFC-Publikation InnoRAD (2021), in der die Autorinnen die besten Verkehrswende-Ideen aus dem Ausland auf deren Anwendbarkeit in Deutschland bewerten. „Innerhalb des Superblocks wird der Verkehr weitgehend auf Anwohner:innen, Lieferverkehr und Notdienste reduziert, die beim Befahren immer wieder abbiegen müssen und an Kreuzungen nicht geradeaus fahren dürfen. […] Ziel ist es, dass Kfz-Fahrten in diesen Straßen nur dann sinnvoll sind, wenn sich dort ihr Start oder Ziel befinden. Dadurch verringert sich der motorisierte Verkehr insgesamt erheblich, besonders aber der Durchgangsverkehr. Der Radverkehr ist hingegen in alle Richtungen erlaubt und kann den Superblock ohne Einschränkungen durchqueren.“
Ziel der Städteplaner:innen ist es, mit Superblocks lebenswerte Wohnkieze zu schaffen. „Dort wo Superblocks umgesetzt wurden, sind zahlreiche positive Effekte zu verzeichnen: So verbesserte sich die städtische Lebensqualität insgesamt, wurde der soziale Zusammenhalt gestärkt, stieg die wirtschaftliche Aktivität, während sich gleichzeitig die Belastungen für die Umwelt verringerten“, beschreibt InnoRAD. Eigentlich perfekt für eine Stadt wie Berlin. Perfekt für dicht besiedelte Wohngegenden – wie etwa Gesundbrunnen, Moabit oder Wedding in Mitte.
„Fast alle Elemente, die in Barcelona zum Umsetzen der Superblocks verwendet werden, sind auch in Deutschland bekannt“, erläutern die Autorinnen in InnoRAD. „Sie sind auf der Grundlage des Straßenverkehrsrechts oder des Straßenrechts hierzulande ebenfalls umsetzbar. Zum Teil sind es gestalterische Maßnahmen, die sich ohne rechtliche Vorgaben übertragen lassen. Neu ist ihre Kombination innerhalb eines Gesamtkonzepts.“ Das macht sich auch Almut Neumann in Mitte zunutze. Im Interview erklärt sie, wie sie Maßnahmen für den Radverkehr mit Maßnahmen für lebenswerte Kieze in Berlins Zentrum kombinieren will. Eine Einbahnstraße hier, eine Diagonalsperre da, Netzeffekte mit Fahrradstraßen, Poller, Fahrradbügel – stets ist die Reduktion des Kfz-Verkehrs das Ziel, um die Sicherheit aller zu erhöhen.
Mitte ist Wohnbezirk, Mitte ist aber auch Durchgangsbezirk. Ein Gros des Radverkehrs verläuft nach oder durch Mitte, wo Büros und Arbeitsplätze liegen. Eine der 19 Berliner Radverkehrszählstellen steht an der Karl-Marx-Allee in Mitte. An einem normalen Oktobermontag zählte sie 4.223 Radfahrerinnen und Radfahrer. Seit 1. Januar 2022 weist sie bereits 884.720 Radfahrer:innen aus (Stand 11.10.2022). Damit rangiert die Zählstelle im vorderen Drittel aller Berliner Zählstellen. Mitte liegt auf der Pendelroute vieler Radfahrender. Gemessen daran ist in der Vergangenheit sehr wenig für den Radverkehr passiert.
Da brettert der Kfz-Verkehr auf der Autopiste Leipziger Straße mitten durchs Wohngebiet , um die Friedrichstraße wird diskutiert, als wäre sie Berlins einzige Straße und Unter den Linden will allen gefallen, nur nicht den Radfahrenden. Viele der großen Kfz-Pendelschneisen liegen auf zukünftigen Radschnellverbindungen. Teilstrecken werden nicht, wie der ADFC Berlin es fordert, Schritt für Schritt in Betrieb gehen. Hier mischen infraVelo, Senat und Bezirke mit, jahrelange Planungszeiten sind der Regelfall. „Das wird sich noch ziehen“, sagt Almut Neumann. Doch gerade wichtig für den Radverkehr sind die Radwege an den Hauptverkehrsstraßen.
Ein Bezirk alleine kann tatsächlich nicht alles regeln; die Bußgelder fürs Falschparken kann er nicht anheben, Tempo 30 nicht zur Regelgeschwindigkeit an Hauptverkehrsstraßen machen, die StVO nicht zu Gunsten von zu Fuß Gehenden und Radfahrenden novellieren. Gleichzeitig hat der Bezirk doch auch einige Instrumente in der Hand, um die Verkehrswende auf die Straße zu bringen: Er kann Fahrradstraßen einrichten; und zwar die guten mit den baulichen Elementen zum Schutz vor unerlaubtem Kfz-Durchgangsverkehr. Er kann sein Ordnungsamt anweisen, falsch geparkte Fahrzeuge konsequent abschleppen zu lassen und so Verkehrssicherheit herzustellen. Er kann Kiezblocks einrichten, mit gegenläufigen Einbahnstraßen und Pollern als Durchfahrtsperre für den Kfz-Verkehr. Er kann Parkzonen anordnen und damit den Wert des öffentlichen Raums unterstreichen. Und er kann Kreuzungen im Nebenstraßennetz sicherer machen, indem er z.B. Fahrradbügel an vor den Ecken installiert; eine Maßnahme gegen das Falschparken und zur besseren Sicht an Einmündungen. Als Nebeneffekt entstehen dadurch mehr sichere Abstellplätze für Fahrräder im öffentlichen Raum.
Beachtlich ist die Menge an Hebeln aus dem bezirklichen Repertoire der Verkehrswendemaßnahmen, die Neumann in Bewegung setzen will. „Während der Radverkehr im Bezirksamt Mitte zuvor ein stiefmütterliches Dasein führte, ist jetzt Bewegung in die Verkehrswende gekommen“, schildert es der ADFC Mitte. „Jetzt muss handfeste Radinfrastruktur folgen.“ Es liegt viel Arbeit vor Neumann, doch sie schwärmt von agilem Verwaltungshandeln, rechnet vor, welche Maßnahmen sich wie skalieren lassen. Ihre Mission ist, das wird deutlich, ausschöpfen und möglich machen, was in der Handhabe des Bezirks liegt. Bauliche Elemente bringen mit wenig Aufwand hohen Nutzen. Ein Poller macht noch keinen Radweg, aber viele Poller verteilen den öffentlichen Raum konsequent da um, wo es nötig ist. Fahrradbügel, Poller und Sperren funktionieren, so viel ist schon jetzt klar. Mangelndes Personal im Bezirksamt ist jedoch ein großes Thema. Entscheidend für Neumanns Erfolg in Mitte wird sein, wie viel davon sie tatsächlich auf die Straße bringt, um wie viele Kilometer Radweg, wie viele Kiezblocks der Bezirk Mitte nach ihrer Amtszeit reicher sein wird.
Hier geht es zum radzeit-Interview mit Bezirksstadträtin Almut Neumann.