Zwischen Stückwerk und Hoffnung
Wer in Berlin mit dem Rad unterwegs ist und sich über schlechte oder gar fehlende Radwege ärgert, fragt sich selten, in welchem Bezirk er unterwegs ist. Das aber – so zeigt es die langjährige Erfahrung des ADFC – ist entscheidend. Von Philipp Poll.
Die Berliner Bezirke spielen eine entscheidende Rolle bei der Planung, Sanierung oder Umsetzung von Radverkehrsmaßnahmen. Die radzeit macht deshalb eine Tour durch alle 12 Bezirke und stoppt dieses Mal in Tempelhof-Schöneberg.
»Würde man diese Kreuzung endlich anpassen, wäre die ganze Route durchgehend befahrbar«, ereifert sich Tilo Schütz, »und hier ist der Behörde klar, was geschehen muss! Es ist eine überschaubare Maßnahme, ein begrenzter Aufwand, aber wie wir sehen, ist in den letzten fünf Jahren noch immer nichts passiert.« Eigentlich ist der Stadtplaner, der sich seit Jahren beim BUND ehrenamtlich für ein radfahrfreundliches Berlin einsetzt, ein ausgeglichener Mensch, aber in solchen Fällen gerät er in Wallung.
Die Rede ist von der Kreuzung Winterfeldt- Ecke Potsdamer Straße, Teil der einzigen einigermaßen autofreien Ost-West-Verbindung in Schöneberg.
Dass es im Bezirk beim Radverkehr nicht recht vorangeht, ist auch der Eindruck von Gisela Meiners-Michalke, die die ADFC-Stadtteilgruppe in Tempelhof leitet. »In unserem Bezirk hat der Radverkehr in den letzten Jahrzehnten nur eine untergeordnete Rolle gespielt«, sagt sie. »Die Geschwindigkeit beim Umsetzen von Radverkehrsmaßnahmen ist seit Jahrzehnten sehr gering und hat sich in der letzten Legislaturperiode noch verlangsamt.«
Markus Kollar vom ADFC Schöneberg sieht das ähnlich: »Mittlerweile ist mehr als die Hälfte der aktuellen Legislatur um. Wir Verbände haben eine umfangreiche Mängelliste mit Vorschlägen zur Priorisierung erstellt, die seit mehr als drei Jahren auf dem Tisch der Bezirksstadträtin liegt. Bislang sind die Erfolge spärlich.«
Schlechtes Image bei der Sicherheit
Negative Schlagzeilen erntete der Bezirk im Januar 2018 nach dem tödlichen Unfall einer Radfahrerin am Kaiser-Wilhelm-Platz. Hier kommen Radfahrende, die die Kreuzung überqueren wollen, regelmäßig in Konflikt mit dem Autostrom, der rechts zum Kleistpark abbiegt.
ADFC und Changing Cities forderten, endlich einen sichtbaren breiten Radfahrstreifen einzurichten. Die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) hatte bereits ein halbes Jahr zuvor vom Bezirksamt eine sichere Lösung eingefordert. Die für den Verkehr zuständige Bezirksstadträtin Christiane Heiß (Grüne) verwies auf die Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz (SenUVK) und die Verkehrslenkung Berlin (VLB), die die Anordnungen für Hauptstraßen treffen.
Der öffentliche Druck der Verbände und der Presse sorgte schließlich dafür, dass sich die üblicherweise Monate dauernden Abstimmungsprozesse auf wenige Wochen verkürzten. Der Radfahrstreifen wurde auf zwei Meter verbreitert und rot markiert. Eine Spur für Autos entfiel. Prompt nutzten Autofahrer:innen den Radfahrstreifen zum Abbiegen. Nach weiteren Schlagzeilen und Kritik in den sozialen Medien, brauchten VLB und Bezirk weitere Monate zum Aufdübeln sogenannter „Leit-Boys“, die nun den Radfahrstreifen gegen illegale Mitbenutzung durch Autofahrende absichern.
Klein-Klein
Wer die bezirkliche Liste der Fahrrad-Maßnahmen durchgeht – der umgesetzten wie der noch in Planung befindlichen –, findet dort zahlreiche Kleinstmaßnahmen: eine Querungsstelle hier, eine Asphaltierung dort, hier ein kurzer Zwei-Richtungs-Abschnitt in einer Grünfläche, da die Sanierung von ein paar hundert Metern Radweg. Die bezirklichen Tiefbauer arbeiten sich dabei an den Nebenrouten 1, 7 und 11 ab. In den Jahren 2013/2014 hatten ADFC und BUND als Vertreter im FahrRat mit dem Bezirksamt eine Radverkehrsstrategie und ein Nebenroutenkonzept erarbeitet [1]. Fraglos führen die Kleinstmaßnahmen zu Verbesserungen für Radfahrende und doch ist es Stückwerk. Weil die drei fast fertiggestellten Routen nicht ausgeschildert wurden, bleiben diese Fortschritte praktisch unsichtbar.
Andere Maßnahmen wie die Radfahrstreifen auf der Manteuffelstraße oder Monumentenbrücke haben den Makel, dass sie nur Teilschritte sind und noch keine lückenlose Radroute herstellen.
Über das zähe Tempo bei der Umsetzung wundern sich die Verbände längst nicht mehr. Es ist bekannt, dass die derzeitigen Personalressourcen im Bezirk nicht ausreichen, um den Instandhaltungsstau und den Ausbau der Nebenrouten gleichzeitig zu wuppen, von der im Mobilitätsgesetz geforderten Verkehrswende gar nicht zu reden. »Der Bezirk schafft es nicht einmal, die offenen Ingenieurstellen für den Radverkehr zu besetzen!«, moniert Gisela Meiners-Michalke. »Deshalb haben wir Anfang Januar einen offenen Brief an die Bezirksbürgermeisterin Angelika Schöttler [2] geschrieben, die uns dann im Mai zu einem Treffen einlud. Fazit unsererseits: Engagement für diese Sache sieht anders aus.«
Bewegung am T-Damm
Dass im Bezirk Hopfen und Malz nicht verloren sind, zeigt das Beispiel Tempelhofer Damm, kurz T-Damm. Seit die Magistrale 1981 an die Stadtautobahn angeschlossen wurde, steigerte sich der Autoverkehr auf heute über 40.000, abschnittweise sogar 46.000 Fahrzeuge am Tag. Der Anteil des Schwerlastverkehrs ist hoch. Die Stickoxidgrenzwerte werden regelmäßig überschritten, der Lärmpegel liegt tagsüber mit über 75 dB(A) deutlich über dem Grenzwert. Zwischen Alt-Tempelhof und Alt-Mariendorf gibt es keine Radverkehrsanlagen. Hinter vorgehaltener Hand sprechen Verwaltungsmitarbeiter:innen auch von einer Opferstraße – einer Straße, die dem Kraftfahrzeugverkehr geopfert wurde. Damit will sich ein Bündnis aus Bürgerinnen und Bürgern, dem ADFC und dem Netzwerk Fahrradfreundliches Tempelhof-Schöneberg nicht mehr abfinden. Mit Aktionen und Demos machen sie auf die Missstände aufmerksam, zuletzt mit einer Pool-Nudel-Aktion im April. Und sie haben etwas erreicht.
Die Verkehrsstadträtin Heiß hat eine Machbarkeitsstudie in Auftrag gegeben, wie die Situation für Fußgänger:innen und Radfahrende verbessert werden kann. In einer Beiratstagung sorgten Entwurfsvarianten des Ingenieurbüros IVAS (siehe Abb. 1) unlängst für hitzige Debatten. Stadträtin Heiß spricht sich für eine etappenweise Einführung geschützter Radfahrstreifen aus (siehe Interview).
Eine weitergehende Variante, bei der zwei KFZ-Fahrspuren entfallen würden, ist von IVAS ebenfalls untersucht worden, würde aber grünes Licht von der Senatsverkehrsverwaltung benötigen. Denn, ob der Straßenzug weiterhin die Opferstraße B96 bleibt oder wieder eine attraktive Einkaufsstraße und Kiezzentrum wird, liegt in Verantwortung des Senats.
Bilder: Titelbild: © Netzwerk, Abb. 1: © IVAS, Abb. 2: © Tilo Schütz