Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Landesverband Berlin e. V.

Endlich! Der geschützte Radweg auf dem Tempelhofer Damm wurde 2022 fertig.

Endlich! Der geschützte Radweg auf dem Tempelhofer Damm wurde 2022 fertig. © ADFC Berlin / Karl Grünberg

Wir konzentrieren uns auf die Nebenstraßen

Eine Verkehrsstadträtin, die nicht lange fackelt: Warum in ihrem Bezirk mehr für den Radverkehr passiert als anderswo. Wie sie den Senat umgeht. Und was sie trotzdem bremst. Von Karl Grünberg.

Frau Ellenbeck: Mit Blick auf die Verkehrswende – was charakterisiert Ihren Bezirk?

Die Vielseitigkeit! Schöneberg ist dicht bebaut, ein Ortsteil der kurzen Wege – perfekt fürs Fahrrad und zu Fuß. Dann geht es raus nach Tempelhof, Mariendorf, Lichtenrade – bis an den Stadtrand. Die Wege werden länger, Einfamilienhäuser und Gewerbegebiete prägen das Bild. Das führt zu unterschiedlichen Verkehrsbedürfnissen: Bin ich von Lärm betroffen? Komme ich gut in die Stadt? Diese Vielfalt macht meine Arbeit spannend.

In Ihrem Bezirk geht es für das Fahrrad voran, wie in kaum einem anderen in Berlin. Es gibt neue Fahrradstraßen und geschützte Radstreifen – mit der Hauptstraße und der Grunewaldstraße sogar richtige Leuchtturmprojekte. Warum läuft es bei Ihnen so gut?

Verkehrspolitik ist komplex, viele Akteure mischen mit. Ein klares Ziel und die notwendige Durchsetzungskraft sind entscheidend.

Was meinen Sie damit?

Nehmen wir den Radwegestopp nach dem Regierungswechsel auf Landesebene. Längst geplante Radwege lagen plötzlich auf Eis. Doch der Protest so vieler Menschen hat geholfen, die Projekte auf der Haupt- und nun der Grunewaldstraße doch noch umzusetzen. Ohne diesen Rückenwind wären die Projekte nicht wieder freigegeben worden. Auch die IHK und die Wissenschaft haben sich in die Debatte eingeschaltet – das ist der Rückenwind, den wir dann brauchen, um Dinge umzusetzen.

Was wollen Sie umsetzen?

Ich als Verkehrsstadträtin möchte zivilisierte Straßen und lebenswerte öffentliche Räume, in denen alle Menschen sicher und entspannt ankommen und sich auch gerne aufhalten. Dazu gehört im Übrigen auch unser so wichtiges Stadtgrün. Das ist immens wichtig für funktionierende Nachbarschaften und ein gesundes Stadtklima, aber es geht auch ganz grundsätzlich darum, überhaupt erst einmal sichere Infrastruktur zu schaffen. 55 getötete Menschen im Verkehr – wie im letzten Jahr – sind komplett inakzeptabel.

An welche Wege denken Sie da?

Hier direkt auf dem Tempelhofer Damm ist noch unter meiner Vorgängerin ein neuer geschützter Radstreifen entstanden. Früher gab es hier auf dieser vielbefahrenen Einfallsstraße überhaupt keinen Radverkehr, eine Schülerin starb 2008 hier auf dem Fahrrad. Jetzt sehe ich Schüler:innen mit ihren Tornistern auf dem Rücken, wie sie den Weg zur Schule mit ihrem Fahrrad selbstständig und geschützt vor dem fahrenden Autoverkehr bestreiten. Wenn ich dieses Bild morgens auf dem Weg zur Arbeit im Rathaus vor Augen habe, dann weiß ich, warum es sich lohnt, für gute Infrastruktur einzustehen. Dann verstehen viele Menschen, dass diese Veränderungen notwendig sind. Das Gleiche gilt für den Mariendorfer Damm: Auf 1,4 Kilometern haben wir einen geschützten Radweg auf einer Bundesstraße angelegt, wo vorher gar nichts war.

Wir haben jetzt zwei Jahre SPD-CDURegierung hinter uns, der Neubau von Radverkehrsanlagen ist mit etwa 20 Kilometern pro Jahr auf ein Minimum reduziert worden, die Finanzen werden zusammengestrichen. Wie gehen Sie auf Bezirksebene damit um?

Der Bau des Radweges auf der Grunewald straße ist im vollen Gang. Doch das wird eines der letzten großen Projekte an einer Hauptverkehrsstraße sein. Wir zehr en quasi noch von den Früchten der abgeschafften Projekteinheit Radverkehr, in der Bezirke, infraVelo und Senat zusammengearbeitet haben und in der Planung und Anordnung in einer Hand waren. Heute sind wir wieder bei dem alten Pingpong-Spiel.

Wie sieht dieses Pingpong-Spiel aus?

Im Hauptverkehrsnetz sind wir als Bezirk die Straßenbaulastträger, die Senatsverwaltung übernimmt dann die straßenverkehrsrechtliche Anordnung. Planen wir also einen Radweg auf einer Hauptstraße, kann die Senatsverwaltung diese Pläne ablehnen, zum Beispiel, weil Parkplätze wegfallen würden. Ohne die notwendige Anordnung ist eine Umsetzung nicht möglich, das Projekt wird somit verzögert. Da wir Bezirke außerdem nicht über ausreichend Finanzen verfügen, um größere Straßen verkehrsprojekte zu stemmen, sind wir auch hier auf die Senatsverwaltung angewiesen, auch wenn es um die Fördergelder vom Bund geht. Ende 2024 hat die SenMVKU Förderanträge für neue Fahrradstraßen nicht an den Bund weitergegeben.

Wie reagieren Sie?

Wir konzentrieren uns jetzt auf die Nebenstraßen und damit auf all das, wozu wir die Senatsverwaltung nicht brauchen. Die neuen Fahrradstraßen finanziert der Bezirk nun selbst.

Schauen wir einmal nach Tempelhof. Hier bremsen vor allem holprige Hochbordradwege das Fahrvergnügen. Warum geschieht hier nichts?

Hochbordradwege sind oft marode, aber die Sanierung schei tert an Wurzeln und Platzmangel. Stattdessen einen Radstreifen auf die Straße zu bringen, ist auch nicht möglich, weil wir dazu die Senatsverwaltung brau chen. Das ist unbefriedigend. Ich schaue jetzt vor allem, wo ich mit kleinen Maß nah men die Sicherheit von Rad fahrenden ver bessern kann – den Rad weg im Kreuzungsbereich geschützt vom Hochbordradweg auf die Straße holen, wo die Radfahrenden dann auch gesehen werden, zum Beispiel.

Was macht Ihnen Mut, dennoch weiterzumachen?

Es gibt viele Hürden, aber wenn eine neue Infrastruktur für die Mobilitätswende auf die Straße kommt und den Alltag der Menschen konkret verbessert, dann hat sich all das gelohnt.

Frau Ellenbeck, vielen Dank für das Gespräch.

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