In der Gurke liegt die Kraft

Der Spreewald lässt sich nicht nur per Kahn entdecken, sondern auch ganz leicht erradeln. Man muss nur dem Gemüse folgen. Text und Fotos von Stefan Jacobs.

Erst nur Bäumebäumebäume, aber plötzlich öffnet sich der Wald zu einer großen bunten Blumenwiese, die aussieht, als hätte ein Rudel Großstadthipster Samenbomben geworfen. Dabei gibt es die hier gar nicht, die Hipster. Nicht auf dem Gurkenradweg, der in vier sich berührenden Rundkursen den ganzen Spreewald erschließt und noch ein bisschen mehr. Vier sportliche Tagestouren, zusammen knapp 300 Kilometer lang.

Man kennt den Spreewald als Klischee, mit Kahn vor Heuschober-Holzhaus-Idyll. Aber unterwegs gibt’s dann doch viel mehr – wie diese Wiese bei Krausnick an der nördlichen Schleife. Die führt von Lübben aus in großem Bogen bis fast ins Dahme-Seengebiet. Hier gibt es ein paar weniger Flussarme als im Kerngebiet des Spreewaldes, aber dafür ein paar mehr Seen und den einzigen ernstzunehmenden Berg der Tour. Der Wehlaberg, der sich viel höher anfühlt als die 144 Meter, die ein Schild am immer geöffneten Aussichtsturm auf seinem Gipfel verkündet. Die gefühlte Höhe mag auch am groben Schotter des Weges hinauf legen, der aber die Ausnahme ist: Ganz überwiegend ist der Gurkenradweg asphaltiert oder mit gut befahrbarem Naturbelag bestückt. Beschildert sowieso; die grüne Radelgurke auf gelbem Grund weist den Weg.

Vom Aussichtsturm erscheint Brandenburg als urzeitlicher Kiefernwald, in den Riesen ein paar Windräder gespießt und die absurd große Tropical-Islands-Halle geworfen haben. Aber der Eindruck täuscht, wie der stete Wechsel aus Dörfern, Wäldchen, Feldern und Seen später zeigt. Das Hinweisschild auf „Gurken-Radler“ nach der Bergetappe kommt in Groß Wasserburg gerade recht. Im Gartenrestaurant (und anderswo in der Region) wird ein sehr grünes, überaus erfrischendes Getränk serviert, das bei gründlichem Etikettenstudium mit Gurken etwa so viel zu tun hat wie Bockwurst und die Innovationskraft der heimischen Lebensmittelchemie beweist. Derart erheitert und erfrischt geht es weiter auf der gut 80 Kilometer langen Etappe, die in Lübben begann und dort auch enden soll. Das letzte Viertel ist das idyllischste: Hinter Schlepzig mit seinen durchweg an der Spree gelegenen Gärten und der knuffigen Fachwerkkirche mit hineingemaltem Schönwetterhimmel taucht der Weg in ein Teichland ein, in dem sich schnäbelnde Schwäne spiegeln, weil das Wasser so glatt und still liegt. Dann folgt der Weg einem Spreearm, holpert kurz durch dichten Wald, an dessen Ende man schon mitten durch Lübben rollt. Wer noch Kraft hat, schaut am besten gleich beim Schloss vorbei, das am Rande eines von Wasserläufen durchzogenen Stadtparks samt Badestelle liegt.

An- und Abreise z.B. mit RE und RB zwischen Berlin und Lübben (jeweils im Stundentakt).
Zum Gurkenradweg ist ein Spiralo mit Karten 1:50.000 im BVA-Verlag erschienen.

Das Wesentliche zur Region und ein gpx-Track zum Download findet sich unter www.gurkenradweg.de.
Die Strecke ist bis auf eine Ausnahme bei Krausnick flach und größtenteils gut ausgebaut. Auf der Westschleife muss ein stärker befahrenes Stück Landstraße genutzt werden.

Als komfortable Bett&Bike-Quartiere erwiesen sich die Hotels Spreeblick in Lübben (Tel. 03546-2320) sowie Spreebalance (035603-759490) und Eiche in Burg (035603-67000).


Neuer Tag, neue Runde: Die Westschleife ist mit rund 50 Kilometern die kürzeste – und vielleicht die, die man bei knappem Zeitbudget am ehesten weglassen kann. Allerdings verpasst man dann nicht nur die hier noch als Bächlein mäandernde Dahme, sondern womöglich auch die „Gurkenflieger“. Das sind Traktoren mit Auslegern, unter deren Folienbespannung auf jeder Seite rund zehn Erntehelfer bäuchlings liegen und die Gurken pflücken, während der Traktor im Schneckentempo rollt. Ein Knochenjob für das Gemüse, von dem nicht nur der Spreewald zehrt.

Mehr dazu ist auf der dritten Etappe zu erfahren, die von Lübben auf dem Deich der Hauptspree nach Lübbenau ins Herz dieser Landschaft führt und sich mit einem Abstecher nach Boblitz verbinden lässt. Dort kann nach Anmeldung die Gurkenfabrik „Spreewald-Rabe“ besichtigt werden. Der Familienbetrieb hat Kriege und DDR überstanden und sichert sich mit mehr als 100 überwiegend saisonalen Beschäftigten das EU-Herkunftssiegel auf den Gläsern. Mehr als 3000 Tonnen werden in manchen Sommern hier in der Fabrikhalle verarbeitet, neben der die Kräuter für die Würzmischung wachsen: Thymian, Fenchel, Dill, Basilikum. 2017 mit dem Frost im April und dem Monsun im Sommer war ein eher bescheidenes Jahr, erzählt die Führerin. Hinter ihr fahren die Gläser Achterbahn. Frauen sortieren die Gurken per Hand im Wasserbad, füllen sie ein. Von der Seite kommt die Würzmischung dazu; das Ganze kurz erhitzt, und weiter geht’s zum automatischen Zuschrauben. Dann wird mit kurzem Zisch der Datumsstempel draufgelasert und die Ware in Kartons gepackt. Außerhalb der Saure-Gurken-Zeit werden Kraut, Letscho und Meerrettich verarbeitet. Es tut einem als Stadtmensch ganz gut, das hier mal gesehen zu haben.

Die Gurkenfabrik liegt nur zwei Kilometer von Lübbenau entfernt, das mit Schloss samt Park sowie der Altstadt und den Kahnhäfen ein Touristenmagnet ist. Doch viele verpassen das Haus für Mensch und Natur in der Schulstraße. In der modernen Ausstellung überblickt man dieses wie eine Badewanne im Urstomtal gelegene Binnendelta, das der Spreewald ist. Knapp 1600 Kilometer lang ist das Gewässernetz, das erst seit dem 17. Jahrhundert soweit reguliert wurde, dass Landwirtschaft möglich war und Menschen dauerhaft hier wohnen konnten. Etwa 250 Wehre regulieren heute das Wasser, das in 50 Kilometer Landschaft nur sechs Meter Gefälle hat und so allgegenwärtig ist, dass die große Infrastruktur – Bahntrassen, Bundesstraßen, Autobahn – drumherum auf dem trockenen Rand dieser geologischen Badewanne gewachsen ist und den Spreewald selbst weitgehend verschont hat.

Mit dieser Erkenntnis geht es weiter nach Burg, die größte Streusiedlung Deutschlands. Fast jeder der 600 Höfe liegt irgendwie am Wasser und hängt am Netz der Ministraßen, die kaum breiter als ein Auto sind. Trubel herrscht nur im Ortskern, wo die Restaurants, Hotels, Eisläden und die Therme sich drängen und der Kräuterladen beim Bismarckturm mit „Peters Unkrautbowle“ aus Giersch und anderen Wildkräutern wirbt. Die Fließe wirken idyllisch, obwohl viel los ist. Es liegt wohl daran, dass gestakt und gepaddelt wird, aber nicht gebrummt.

Auf glatten Wegen geht’s durch den Wald nach Cottbus, wo man wahlweise nur entlang der Spree in die City fährt oder noch zwei Kilometer weiter in Fürst Pücklers Branitzer Park. Und dann wieder nordwärts, am Rande des Tagebaus entlang, der Brandenburgs größter See werden soll. Ende 2018 dürfte die Flutung beginnen.

Durchs idyllische Peitzer Teichland rollt es auf dem glatten Asphalt einer praktisch autofreien Allee mit Blick aufs Kraftwerk Jänschwalde, Brandenburgs größten Beitrag zum Klimawandel. Dann wendet sich der Weg wieder westwärts Richtung Burg, folgt Fließen, quert Wehre und lässt viel Platz für den Blick zum Horizont und zum Himmel, an dem Störche und Greifvögel kreisen. Es ist wohl nicht nur für Touristen ein Glück, dass der Spreewald für die moderne Zivilisation so mühsam zu erobern war.

Verwandte Themen

am Vorderrad angeschlossenes Fahrrad

Rad und Tat: Diebstahlprävention von Fahrrädern

Alle 19 Minuten wird in Berlin ein Fahrrad gestohlen. Warum das die Mobilitätswende gefährdet und was dagegen getan…

Schlaubetal

Das ganze Jahr auf dem Rad? Schlaube locker!

Der kleine Fluss im Osten Brandenburgs lockt rund ums Jahr mit einem eigenen Naturpark – und einer gut ausgebauten…

Durchs Auenland

Wiesen in sattem Grün, die weite Landschaft nur ab und an von sanften Hügeln unterbrochen: das Auenland, Heimat der…

Auf zu neuen Ufern im Lausitzer Seenland

Hörner, Körper und Schwanz sind knallrot, ein verschwörerisches Lächeln umspielt die Mundwinkel. Hier sitzt der Teufel…

Schild mit Kilometeranzeige für Radfahrende nach Köpenick, Oberschöneweide

Tourentipp: Einmal Berlin, bitte!

Dieser Berliner Radtouren-Tipp bietet viele grüne Wege, Wasserblicke und interessante Stadtgeschichte. Start und Ziel…

Fahrraddemo durch die Stadt

Fahrrad-Kreisfahrt um Stadtzentrum am 17. September 2022

Mit einer Fahrrad-Kreisfahrt rund um das Berliner Stadtzentrum lud der ADFC Berlin alle ein, einen Tag lang das Fahrrad…

Auf der Spur des Weines

Preußenkönig Friedrich Wilhelm I. liebte einen edlen Tropfen. Wenn er Gäste ins Schloss Königs Wusterhausen einlud,…

Ostsee, gleich gegenüber

In Südschweden beginnt der Radelurlaub direkt am Fährhafen. VON STEFAN JACOBS

Brandenburg: Träumen vom Radreiseland

Während das Thermometer sinkt und das goldene Laub Brandenburg in ein herbstliches Paradies verwandelt, klingt für die…

https://berlin.adfc.de/artikel/in-der-gurke-liegt-die-kraft

Häufige Fragen von Alltagsfahrer*innen

  • Was macht der ADFC?

    Der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club e.V. (ADFC) ist mit bundesweit mehr als 200.000 Mitgliedern, die größte Interessenvertretung der Radfahrerinnen und Radfahrer in Deutschland und weltweit. Politisch engagiert sich der ADFC auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene für die konsequente Förderung des Radverkehrs. Er berät in allen Fragen rund ums Fahrrad: Recht, Technik, Tourismus.

    weiterlesen

  • Was bringt mir eine ADFC-Mitgliedschaft?

    Radfahren muss sicherer und komfortabler werden. Wir nehmen dafür – auch Dank Ihrer Mitgliedschaft – nicht nur Einfluß auf Bundestagsabgeordnete, sondern setzen uns auf Landes- und Kommunalebene für die Interessen von Radfahrern ein. Für Sie hat die ADFC Mitgliedskarte aber nicht nur den Vorteil, dass wir uns für einen sicheren und komfortablen Radverkehr einsetzen: Sie können egal, wo Sie mit Ihrem Fahrrad unterwegs sind, deutschlandweit auf die ADFC-Pannenhilfe zählen. Außerdem erhalten Sie mit unserem zweimonatlich erscheinenden ADFC-Magazin Information rund um alles, was Sie als Radfahrer politisch, technisch und im Alltag bewegt. Zählen können ADFC-Mitglieder außerdem auf besonders vorteilhafte Sonderkonditionen, die wir mit Mietrad- und Carsharing-Anbietern sowie Versicherern und Ökostrom-Anbietern ausgehandelt haben. Sie sind noch kein Mitglied?

    weiterlesen

  • Was muss ich beachten, um mein Fahrrad verkehrssicher zu machen?

    Wie ein Fahrrad verkehrstauglich auszustatten ist, legt die Straßenverkehrszulassungsordnung (StVZO) fest. Vorgesehen sind darin zwei voneinander unabhängige Bremsen, die einen sicheren Halt ermöglichen. Für Aufmerksamkeit sorgen Radler*innen mit einer helltönenden Klingel, während zwei rutschfeste und festverschraubte Pedale nicht nur für den richtigen Antrieb sorgen. Je zwei nach vorn und hinten wirkende, gelbe Rückstrahler an den Pedalen stellen nämlich darüber hinaus sicher, dass Sie auch bei eintretender Dämmerung gut gesehen werden können. Ein rotes Rücklicht erhöht zusätzlich die Sichtbarkeit nach hinten und ein weißer Frontscheinwerfer trägt dazu bei, dass Radfahrende die vor sich liegende Strecke gut erkennen. Reflektoren oder wahlweise Reflektorstreifen an den Speichen sind ebenfalls vorgeschrieben. Hinzu kommen ein weißer Reflektor vorne und ein roter Großrückstrahler hinten, die laut StVZO zwingend vorgeschrieben sind.

    weiterlesen

  • Worauf sollte ich als Radfahrer*in achten?

    Menschen, die Rad fahren oder zu Fuß gehen, gehören zu den ungeschützten Verkehrsteilnehmern. Sie haben keine Knautschzone – deshalb ist es umso wichtiger, sich umsichtig im Straßenverkehr zu verhalten. Dazu gehört es, selbstbewusst als Radfahrender im Straßenverkehr aufzutreten, aber gleichzeitig defensiv zu agieren, stets vorausschauend zu fahren und mit Fehlern von anderen Verkehrsteilnehmern zu rechnen.Passen Sie Ihre Fahrweise der entsprechenden Situation an und verhalten Sie sich vorhersehbar, in dem Sie beispielsweise Ihr Abbiegen durch Handzeichen ankündigen. Halten Sie Abstand von Lkw, Lieferwagen und Kommunalfahrzeugen. Aus bestimmten Winkeln können Fahrer nicht erkennen, ob sich seitlich neben dem Lkw Radfahrende befinden. Das kann bei Abbiegemanövern zu schrecklichen Unfällen führen. Beachten Sie immer die für alle Verkehrsteilnehmer gültigen Regeln – und seien Sie nicht als Geisterfahrer auf Straßen und Radwegen unterwegs.

    weiterlesen

  • Was ist der Unterschied zwischen Pedelecs und E-Bikes?

    Das Angebot an Elektrofahrrädern teilt sich in unterschiedliche Kategorien auf: Es gibt Pedelecs, schnelle Pedelecs und E-Bikes. Pedelecs sind Fahrräder, die durch einen Elektromotor bis 25 km/h unterstützt werden, wenn der Fahrer in die Pedale tritt. Bei Geschwindigkeiten über 25 km/h regelt der Motor runter. Das schnelle Pedelec unterstützt Fahrende beim Treten bis zu einer Geschwindigkeit von 45 km/h. Damit gilt das S-Pedelec als Kleinkraftrad und für die Benutzung sind ein Versicherungskennzeichen, eine Betriebserlaubnis und eine Fahrerlaubnis der Klasse AM sowie das Tragen eines Helms vorgeschrieben. Ein E-Bike hingegen ist ein Elektro-Mofa, das Radfahrende bis 25 km/h unterstützt, auch wenn diese nicht in die Pedale treten. Für E-Bikes gibt es keine Helmpflicht, aber Versicherungskennzeichen, Betriebserlaubnis und mindestens ein Mofa-Führerschein sind notwendig. E-Bikes spielen am Markt keine große Rolle. Dennoch wird der Begriff E-Bike oft benutzt, obwohl eigentlich Pedelecs gemeint sind – rein rechtlich gibt es große Unterschiede zwischen Pedelecs und E-Bikes.

    weiterlesen

  • Gibt es vom ADFC empfohlene Radtouren für meine Reiseplanung?

    Wir können die Frage eindeutig bejahen, wobei wir Ihnen die Auswahl dennoch nicht leicht machen: Der ADFC-Radurlaubsplaner „Deutschland per Rad entdecken“ stellt Ihnen mehr als 165 ausgewählte Radrouten in Deutschland vor. Zusätzlich vergibt der ADFC Sterne für Radrouten. Ähnlich wie bei Hotels sind bis zu fünf Sterne für eine ausgezeichnete Qualität möglich. Durch die Sterne erkennen Sie auf einen Blick mit welcher Güte Sie bei den ADFC-Qualitätsradrouten rechnen können.

    weiterlesen

Bleiben Sie in Kontakt