
Ungeschützter Radstreifen auf Marienfelder Allee © ADFC Berlin / Karl Grünberg
Wo zwischen Himmel und Hölle nur eine Kreuzung liegt
Der Bezirk Tempelhof-Schöneberg ist Spitzenreiter beim Radwegebau. Doch während in Schöneberg das Radnetz erlebbar besser wird, ruckelt es erheblich, je näher man der Stadtgrenze kommt.
Wie weit geht der Ausbau noch – und wo stockt er? Ein Blick auf Erfolge, Hindernisse und den Kampf um sichere Wege. Von Karl Grünberg.
Eben noch fährt man auf dem holprigen, buckeligen Hochbordradweg am Anfang der Rathausstraße. Plötzlich, wie aus dem Nichts, wird man auf die enge, vielbefahrene Fahrbahn geleitet. Es bleibt keine Zeit, um nach hinten zu schauen und sich zu vergewissern, dass kein Lkw einen mitnimmt. Puh, alles noch einmal gut gegangen. Aber der Schreck war da. Wie überhaupt der Schreck häufig mitfährt, je weiter man sich von Schöneberg über Tempelhof, Marienfelde und Lankwitz dem Stadt rand nähert.
In Tempelhof-Schöneberg hat sich in den letzten paar Jahren sehr viel für den Radverkehr getan, sagen sowohl Claudia Thiele von der ADFC Stadtteilgruppe Schöneberg als auch Mechtild Lutze von der ADFC-Stadtteilgruppe Tempelhof. Ein wichtiges Startsignal für den Fahrrad-Wege-Schub war der Tempelhofer Damm.
Der Weg war lang: 2008 wurde ein 14-jähriges Mädchen auf dem Tempelhofer Damm von einem Lkw-Fahrer getötet. Erst jetzt entstand so viel politischer Druck, dass nach und nach die Idee eines Radweges auch im Verkehrsausschuss undin der BVV ankam. 2017 gab es endlich einen entsprechenden Beschluss der BVV. Doch wieder passierte nichts, bis der ADFC Tempelhof zusammen mit anderen Verbänden ab 2020 monatlich demonstrierte. „Uns war die Hutschnur geplatzt“, sagt Mechtild Lutze. Im Herbst 2022 war es dann soweit, der geschützte Radweg wurde eingeweiht. Mit Erfolg: Wo vorher sich kein:e Radfahrer:in auf die Straße traute, düst heute – ob jung oder alt – ein:e Radler:in nach dem:der anderen vorbei.
Tatsächlich ist Tempelhof-Schöneberg einer der Bezirke, in dem der Radwegeausbau besonders Fahrt aufgenommen hat. 2024 belegte der Bezirk mit 5,7 Kilo metern neuen Radwegen den Spitzenplatz, darunter war auch der lang erwartete und geschützte Radweg auf der Haupt straße. Andere Bezirke schaffen nicht einmal einen Kilometer.
Ebenfalls richtig gut finden Claudia Thiele und Mechtild Lutze den neuen geschützten Radweg auf dem Marienfelder Damm, der sich 1,4 Kilometer lang von der Ullsteinstraße bis Alt-Mariendorf erstreckt und 2024 fertig wurde. Hier fühlt sich Radfahren endlich sicher an, trotz des vielen Kfz-Verkehrs. Das wirkt sich aus: Im Vorher-nachher-Vergleich ist der Radverkehr an der Radzählstelle Mariendorfer Damm um 20 Prozent gestiegen.
Tempelhofer Damm, Marienfelder Damm, Hauptstraße – woher kommen diese vielen Erfolge? „Wir profitieren immer noch von der Projekteinheit Radverkehr, die es unter der alten Senatsverwaltung noch gab. infraVelo, Bezirk und Senat haben Hand in Hand sehr schnell planen und anordnen können“, sagt Saskia Ellenbeck (Bündnis 90/Grüne), Be zirks stadträtin für Verkehr im Bezirk, im Interview mit dem ADFC Berlin (S. 4). Und heute? Heute gibt es diese Projekteinheit nicht mehr, und die seit 2023 von der CDU geführte Senatsverwaltung für Verkehr bremst, wo sie nur kann.
Ein Beispiel für diese Bremspolitik ist die Grunewaldstraße in Schöneberg: Eigentlich längst fertig geplant, stoppte die Senatsverwaltung für Verkehr dieses Projekt erst im Sommer 2023. Die Begründung: Parkplätze sollten erhalten bleiben. Doch mit dem Protest vom ADFC Berlin, anderer Verkehrsverbände und von Anwohnenden hatte sie nicht gerechnet. Jetzt wird der Radweg mit zwei Jahren Verspätung doch noch gebaut werden: 1,5 Kilometer und geschützt – ein echter Erfolg für alle Beteiligten. Das Problem dabei: Es wird einer der letzten großen Radwegprojekte an Hauptstraßen im Bezirk bleiben.
Der Bezirk würde sich jetzt auf die Nebenstraßen und damit auf Maßnahmen konzentrieren, die er selbst und ohne die Senatsverwaltung umsetzen kann. So werden in diesem Jahr noch die Monumentenstraße-Langenscheidtstraße sowie die Belziger Straße zu Fahrradstraßen umgebaut. Diese Maßnahme finanziert der Bezirk selbst, nachdem der Senat entsprechende Förderanträge an den Bund nicht weitergeleitet hatte. Das Radnetz in dem Teilbezirk Schöneberg wird immer dichter, so wie es das Mobilitätsgesetz eigentlich vorgibt.
Anders sieht es aus, je weiter man an den Stadtrand gelangt. Eben noch fährt man sicher auf dem Radweg des Marienfelder Damms. Kommt man dann jedoch an die Friedensstraße, ändert sich das schlagartig: „Vom Himmel in die Hölle“, sagt Mechtild Lutze. Über die Kreuzung rüber geht es auf einen extrem schmalen und holprigen Hochbordradweg. Ein Einzel fall? Nein, ab hier beginnt das Gebiet der holprigen, alten und gefährlichen Radinfrastruktur.
Warum also endet der tolle Radweg einfach und wird nicht weitergeführt? Im Bezirk ist man sich über einen möglichen Weiterbau nicht einig. Die Grünen wären dafür, die SPD dagegen. Zusammen mit der CDU blockiert sie hier den Rad verkehrsfortschritt. Ähnlich sieht es auf der Marienfelder Allee aus, hier passieren täglich 21.000 Pkw und 2.000 Lkw, einen Radweg gibt es keinen. Aktuell demonstriert der ADFC Tempelhof hier monatlich – zusammen mit Anwohner:innen und anderen Initiativen. Parkplätze weg, Radweg her, plus sichere Querungshilfen für Fußgänger:innen lauten die Forderungen. Doch: „Wir kommen auf den Hauptstraßen aktuell nicht weiter“, sagt Saskia Ellenbeck. Ihr Ärger darüber ist ihr anzumerken: Das Mobilitätsgesetz sieht eindeutig sichere Radwege an Hauptstraßen vor. Und das Mobilitätsgesetz gilt nach wie vor. Es wird nur ignoriert.
Je mehr es in Schöneberg vorangeht, umso größer wird der Kontrast, je weiter man an den Stadtrand kommt. Es bleibt also noch eine Menge zu tun, um im ganzen Bezirk gut und sicher Radfahren zu können. Einerseits bleiben die Aussichten bewölkt. Andererseits wird es immer kleine Fortschritte geben. In Lichtenrade wird es nun eine Schulstraße geben, damit Schüler:innen sicher in die Schule kommen und das ohne Elterntaxi. Da waren Bezirksverordnetenversammlung, die Anwohnenden, die Eltern und Schüler:innen ausnahmsweise einmal alle dafür. Schritt für Schritt.