Ostsee, gleich gegenüber
In Südschweden beginnt der Radelurlaub direkt am Fährhafen. VON STEFAN JACOBS
Diese Schwedentour hat mit Palmen angefangen und geht mit hausgemachten Weintrauben weiter. Es ist August, wir sind mit der Fähre von Rostock nach Trelleborg getuckert, am Hafen einfach rechts abgebogen und folgen der Küste. Ein simpler Plan, der sich als gut erweist. Die (zugegeben: leicht gerupfte) Palmenallee von Trelleborg geht bald in eine Panoramastraße am Meer über. Ferienhäuschen hocken zwischen den Fachwerkkaten alter Fischerdörfer. Die Querstraßen enden am absurd menschenleeren Strand. Wir sind einerseits weit weg, aber andererseits nur 150 Kilometer nördlich von Usedom. Wir haben also dasselbe warme Wasser, dasselbe schöne Wetter – aber viel mehr Platz. Schweden hat zehn Prozent der Einwohner Deutschlands auf 30 Prozent mehr Fläche. Und die Einheimischen machen meist im Juli Urlaub, so dass die Nachsaison im August beginnt. Oft dann, wenn es in Deutschland wegen eines Skandinavienhochs zu heiß zum Radeln wird. Ein Hoch auf Skandinavien! Durch Ystad, das sehr nach Puppenstube und gar nicht nach Mankells Wallander aussieht, sind wir nach Sandhammaren gekommen, wo der Strand zwischen Dünen landeinwärts wuchert und so fein ist, dass es unter den Füßen quietscht. Ein schöner Platz zum Rasten, zumal der nächste Campingplatz samt Hüttenvermietung – wie fast immer an Südschwedens Küste – nicht weit ist. Bald schwingt sich das Land zu ein paar Hügeln auf, die an die schönsten Ecken von Brandenburg erinnern, aber jenen den Meerblickvoraus haben. Dann wendet sich die Küste nordwärts und die Straße erreicht Dörfer, deren Schönheit fast kitschig ist: Rotbackige Äpfel leuchten auf sattgrünen Wiesen vor tiefblauem Meer mit weißen Fischerbooten, die rosa Bojen geladen haben. Farben wie auf einer Kinderzeichnung. Und wir sitzen mittendrin und staunen über die Süße jener Traube, die wir in einem der landestypischen Läden gekauft haben. Die bestehen meist aus einem Holzregal im Vorgarten oder am Straßenrand mit der Aufschrift »Frukt« und einer Dose als Kasse. Das Angebot reicht von Äpfeln und Himbeeren über Zucchini und Kartoffeln bis zu Most und Honig. Wie schön, wenn das Klima so gnädig und die Gärten so groß sind. Als ein Schild am Straßenrand Himbeeren verspricht, muss die Gartenbesitzerin passen: »Oh, ich bin heute noch gar nicht zum Pflücken gekommen. Hier, nehmt euch zwei Schalen und kommt vorbei, wenn Ihr sie voll habt.« So einfach ist das zwischen Ostsee und Bullerbü. »Apfelreich« heißt die südöstlichste Ecke. Hinter der Mosterei von Kivik wachsen mindestens 30 Sorten. Wir probieren uns durchs Fallobst und beschließen, fürs große Lachsmenü im Hofcafé später wiederzukommen. »Dagens Meny« gibt es überall und mittags zu sehr volkstümlichen Preisen, lernen wir. Für den kleinen Hunger pflücken wir uns immer mal wieder eine Schachtel voll Brombeeren am Wegesrand. Der Weg, das ist mal die Küstenstraße mit breitem Seitenstreifen, mal ein beschilderter Radweg auf Wirtschaftswegen und Wohnstraßen. Wenn es uns landeinwärts zieht, dann auf den kleinen Landstraßen, die selbst mit Kinderanhänger nie zum Fürchten sind: Die Schweden fahren Auto, als hätten sie ewig Zeit. Bei Åhus tun wir es ihnen gleich und bleiben ein paar Tage. Die zehn Kilometer Strand teilen wir nur mit ein paar Möwen und den wenigen Glücklichen, die ständig in den im Dünenwald verstreuten Ferienhäusern wohnen. Landeinwärts rasten die ersten Kraniche. Und eine halbe Tagestour weiter nördlich, am Ivö See, beginnt Bilderbuchschweden: Mischwälder lösen die Felder des Südens ab, in den Tälern blitzen Seen mit kleinen und winzigen Inseln, zwischen Fichten leuchten rotweiße Holzhäuser. Streusiedlungen im Wald, Pilze am Straßenrand, bestimmt auch Elche – aber unsichtbar. So geht das theoretisch 2000 Kilometer nordwärts. Wir haben kaum 200, aber sind längst angekommen.