Tourentipp: Durch Altmark und Bein © ADFC Berlin / Stefan Jacobs

Durch Altmark und Bein

Geheimtrip: Eine 500 Kilometer lange Runde durchs nördliche Sachsen-Anhalt lockt mit viel Kultur und wenig Verkehr. Links neben Berlin kommt das Havelland und dahinter… – tja. Die Altmark. Von Stefan Jacobs.

Terra incognita für die meisten, aber das hat sie nicht verdient. Zumal sie sich auf einer 500 Kilometer langen, komplett beschilderten und ganz überwiegend angenehm zu fahrenden Rundtour erkunden lässt.

Die Runde hat auf der Karte die Form eines unsportlichen, westwärts schwimmenden Fisches. Sie führt komplett durch Sachsen-Anhalt, aber das liegt von Wittenberge aus (wo der RE2 von und nach Berlin im Stundentakt fährt) direkt am anderen Elbufer. Dort also starten wir und folgen ein Stück der Elbe stromaufwärts, bevor der Weg nach Seehausen schwenkt. Der Ort erfüllt zwar das Klischee vom entvölkerten Osten, aber die gewaltige doppeltürmige Kirche aus der Zeit der Hanse lohnt sich umso mehr: Die von 1688 bis 1952 genutzte Turmwächterwohnung kann besichtigt werden. Der Weg hinauf führt an der Hühner-Etage vorbei und an der Wäscheleinen-Etage, bevor man in der Wohnung steht, zu deren Inventar ein Regenfass und ein Grammophon gehören sowie eine Trompete plus Fahnen (rot = Stadtbrand, weiß = Waldbrand) zur Bürgerinfo.

Etwas öde, aber flott geht’s parallel zur Bundesstraße nach Osterburg an der Biese, das außer einer dicken Kirche auch ein Flussbad hat. Apropos dicke Kirchen: Von denen sehen wir in den nächsten Tagen noch viele; die meisten in erfreulichem Zustand und aus einer Zeit, in der die Altmark schon brummte, während in der Mark Brandenburg noch die Sümpfe und Wälder erobert werden mussten. Allein acht Hansestädte liegen an unserer Strecke. Die kleinste ist Werben, ein hübsches Fachwerknest an der Elbe, nicht weit von der großen Nachbarin Havelberg. Dort kann man im von lokalen Unternehmern betriebenen Hotel Kiebitzberg so fürstlich wohnen und speisen, dass man am nächsten Morgen gar nicht weiter will. Zu sehen gäbe es genug für einen Extratag: Der hoch über der Havel gelegene Dom ist der dickste weit und breit. Er stand hier schon, als von Berlin noch keine Rede war. Dank seiner Lage an der Elbmündung der Havel boomte Havelberg über Jahrhunderte. Aus Prignitzer Eichenholz wurden hier Schiffe für die Weltmeere gebaut, berichtet die Leiterin des im Dom einquartierten Prignitz-Museums. Und weil Havelberg zwar günstig lag, aber strategisch unwichtig war, blieb es von Kriegen halbwegs verschont – und bewahrt Schätze wie das 740 Jahre alte hölzerne Chorgestühl.

Viel Zeit kann man auch im „Haus der Flüsse“ verbringen, das 2015 zur Bundesgartenschau eröffnet wurde. Hier werden Auwald und Vogelwelt mit staubfreien Präparaten und überhaupt modern erklärt. Wo sonst kann man per Tastendruck ein Froschkonzert inszenieren und im Hochwassersimulator mit einer Welle aus Kugeln testen, wie heftig eine Flut durch begradigte Flüsse schießt im Vergleich zu naturbelassenen?

Die Route folgt nun der Schwanzflosse des Fisches südwärts zwischen Havel und Elbe. Wälder, Wiesen, wenig Menschen – das ist das Programm. Um die Truppenübungsplätze bei Klietz wird es noch einsamer. Den Südzipfel bei Genthin schneiden wir ab, weil die Wege dort unbefestigt sind und die Stadt…, ach, schweigen wir und biegen ab nach Jerichow an der Elbe, wo köstliche Birnen von Alleebäumen hängen und die backsteinernen Türme des Klosters weithin den Weg weisen. Der führt nun wieder nordwärts an der Elbe, wobei ein kurzer Abstecher nach Tangermünde Pflicht ist. Hier sind sogar Touristen unterwegs, um die Burg mit ihrem herrlichen Elbblick und die Fachwerkhäuser aus dem 17. Jahrhundert zu bestaunen, die zu Füßen der wiederum sehr stattlichen Backsteinkirche stehen. Der Rest der Etappe führt zwischen Pflaumenhecken und über ein paar Hügel nach Arneburg, das an einem Steilhang über der Elbe – mit spektakulärer Aussichtsplattform – liegt und dabei ebenso reizend wie verschnarcht wirkt. Während wir im kleinen Restaurant am Hafen zu Abend essen, schwimmt nebenan ein Biber, und am blaurosa Himmel performt ein Starenschwarm.

Am nächsten Tag kommen wir trocken bis nach Stendal, das nach all der Einsamkeit wie eine Großstadt wirkt. Dann fahren wir im Dauerregen auf Wald- und Wirtschaftswegen nach Gardelegen, wo uns ein Mitarbeiter der Stadtverwaltung mit Zylinder, Frack und Spazierstock erwartet. In diesem Aufzug ist er der Altbürgermeister Julius Beck, der die Stadt ab 1881 gut 40 Jahre regiert und mit allem Nötigen versehen habe: Bahnanschluss, Altenheim, Friedhof, Pflasterstraßen. Auch einige Linden der 2,4 Kilometer langen Allee am Stadtwall stammen aus seiner Zeit. Ganz frisch sind dagegen die Forellen, die wir uns abends vor dem Blockhaus der Fischerei Gahrns – ein alteingesessener Familienbetrieb – auf der Terrasse am Teich schmecken lassen. Regionaler kann man nicht essen.

Der Westteil der Runde ist noch menschenleerer, wobei die Dörfer keineswegs trist wirken. Sie liegen nur weit verstreut in der Landschaft, die vom platten Naturpark Drömling mit seinen Wassergräben in hügeliges Terrain übergeht. Lange fahren wir auf Waldwegen gemischter Qualität, zwischendurch auf Landstraßen, auf denen kaum ein Auto stört. In Diesdorf zeigt uns der Leiter des Freilichtmuseums seine neueste Errungenschaft: ein aus einem Nachbardorf hierher gebrachtes Kirchlein, das nun zwischen komplett eingerichteten Bauernhäusern aus vier Jahrhunderten steht.

Nur ein paar Kilometer von der Grenze zu Niedersachsen entfernt führt der Rundkurs nun ostwärts nach Salzwedel, wo es neben Fachwerk und Backsteinkirchen mehrere Baumkuchenmanufakturen gibt: Hinter einer Glasscheibe kleckert der Bäcker etwa ein Dutzend Teigschichten auf eine vor einer Gasflamme rotierende Rolle. So entstehen die „Jahresringe“.

Unterbrochen von Mirabellenstopps fahren wir durch weitere hübsche Dörfer zum Arendsee. Der entstand vor 1200 Jahren beim Einbruch großer Salz- und Kalkstollen. Das gleichnamige Städtchen lockt mit Klosterruine, Strand und dem Hotelrestaurant im „Haus am See“, wo der Küchenchef knusprige Arendsee-Maräne bereitet und schon für seinen Gruß aus der Küche, einen Kartoffelschaum, einen Preis verdient hätte. Wie er den macht, erklärt er bei einem Kochkurs, der nun auf unserer To-Do-Liste für 2022ff. steht. Aber jetzt müssen wir weiter, auf der Rückenflosse des Fischs zur Elbe, bis die Brücke nach Wittenberge in Sicht kommt. Als wir im Zug zurück nach Berlin sitzen, sind wir noch immer angenehm überrascht von dieser Tour.

In der dunkelblauen Download-Box gibt es die einzelnen Etappen als GPX-Datei zum herunterladen ("Medien zum Artikel").

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https://berlin.adfc.de/artikel/durch-altmark-und-bein

Häufige Fragen von Alltagsfahrer*innen

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    Der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club e.V. (ADFC) ist mit bundesweit mehr als 200.000 Mitgliedern, die größte Interessenvertretung der Radfahrerinnen und Radfahrer in Deutschland und weltweit. Politisch engagiert sich der ADFC auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene für die konsequente Förderung des Radverkehrs. Er berät in allen Fragen rund ums Fahrrad: Recht, Technik, Tourismus.

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  • Was bringt mir eine ADFC-Mitgliedschaft?

    Radfahren muss sicherer und komfortabler werden. Wir nehmen dafür – auch Dank Ihrer Mitgliedschaft – nicht nur Einfluß auf Bundestagsabgeordnete, sondern setzen uns auf Landes- und Kommunalebene für die Interessen von Radfahrern ein. Für Sie hat die ADFC Mitgliedskarte aber nicht nur den Vorteil, dass wir uns für einen sicheren und komfortablen Radverkehr einsetzen: Sie können egal, wo Sie mit Ihrem Fahrrad unterwegs sind, deutschlandweit auf die ADFC-Pannenhilfe zählen. Außerdem erhalten Sie mit unserem zweimonatlich erscheinenden ADFC-Magazin Information rund um alles, was Sie als Radfahrer politisch, technisch und im Alltag bewegt. Zählen können ADFC-Mitglieder außerdem auf besonders vorteilhafte Sonderkonditionen, die wir mit Mietrad- und Carsharing-Anbietern sowie Versicherern und Ökostrom-Anbietern ausgehandelt haben. Sie sind noch kein Mitglied?

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  • Was muss ich beachten, um mein Fahrrad verkehrssicher zu machen?

    Wie ein Fahrrad verkehrstauglich auszustatten ist, legt die Straßenverkehrszulassungsordnung (StVZO) fest. Vorgesehen sind darin zwei voneinander unabhängige Bremsen, die einen sicheren Halt ermöglichen. Für Aufmerksamkeit sorgen Radler*innen mit einer helltönenden Klingel, während zwei rutschfeste und festverschraubte Pedale nicht nur für den richtigen Antrieb sorgen. Je zwei nach vorn und hinten wirkende, gelbe Rückstrahler an den Pedalen stellen nämlich darüber hinaus sicher, dass Sie auch bei eintretender Dämmerung gut gesehen werden können. Ein rotes Rücklicht erhöht zusätzlich die Sichtbarkeit nach hinten und ein weißer Frontscheinwerfer trägt dazu bei, dass Radfahrende die vor sich liegende Strecke gut erkennen. Reflektoren oder wahlweise Reflektorstreifen an den Speichen sind ebenfalls vorgeschrieben. Hinzu kommen ein weißer Reflektor vorne und ein roter Großrückstrahler hinten, die laut StVZO zwingend vorgeschrieben sind.

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  • Worauf sollte ich als Radfahrer*in achten?

    Menschen, die Rad fahren oder zu Fuß gehen, gehören zu den ungeschützten Verkehrsteilnehmern. Sie haben keine Knautschzone – deshalb ist es umso wichtiger, sich umsichtig im Straßenverkehr zu verhalten. Dazu gehört es, selbstbewusst als Radfahrender im Straßenverkehr aufzutreten, aber gleichzeitig defensiv zu agieren, stets vorausschauend zu fahren und mit Fehlern von anderen Verkehrsteilnehmern zu rechnen.Passen Sie Ihre Fahrweise der entsprechenden Situation an und verhalten Sie sich vorhersehbar, in dem Sie beispielsweise Ihr Abbiegen durch Handzeichen ankündigen. Halten Sie Abstand von Lkw, Lieferwagen und Kommunalfahrzeugen. Aus bestimmten Winkeln können Fahrer nicht erkennen, ob sich seitlich neben dem Lkw Radfahrende befinden. Das kann bei Abbiegemanövern zu schrecklichen Unfällen führen. Beachten Sie immer die für alle Verkehrsteilnehmer gültigen Regeln – und seien Sie nicht als Geisterfahrer auf Straßen und Radwegen unterwegs.

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