Visionen von Frauen für die Stadt für alle
Warum werden Debatten um Mobilität und Stadtplanung meist von Männern dominiert? Was ändert eine weibliche Perspektive auf Verkehrsplanung? Von Nikolas Linck.
Wie gelangen wir zu einer Stadt mit weniger Autoverkehr und mehr Lebensqualität für alle? Der ADFC Berlin lud fünf Expertinnen ein, um ihre Visionen einer »Stadt für alle« zu diskutieren.
»Es wird viel diskutiert, protestiert und geplant – hoffentlich wird bald auch ein Spaten in die Hand genommen.« In ihrer Begrüßung spricht Birgitte Jensen von der Dänischen Botschaft dem Publikum, das sich am 28. März im Felleshus der Nordischen Botschaften versammelt hat, aus der Seele.
Erwartungsvoll richten sich die Blicke deshalb nach der Keynote von Marianne Weinreich (zum Interview gehts hier) auf die Vertreterin aus der Politik, Grünen-Fraktionsvorsitzende Antje Kapek. Die hatte immerhin 2016 versprochen, alle Forderungen des Volksentscheids Fahrrad zu übernehmen und setzte mit ihrer Partei Regine Günther als Senatorin für Verkehr ein. Doch auf den Straßen ist bisher wenig Veränderung zu sehen – lediglich »zweieinhalb geschützte Radwege« (zwei ausreichend breite und ein zu schmaler auf der Hasenheide) in den zweieinhalb Jahren mit Rot-Rot-Grün an der Regierung, wie Lara Eckstein zusammenfasst, die für den ADFC Berlin auf dem Podium sitzt.
Kapek gibt sich selbstkritisch: »Ich finde auch, es geht zu langsam«. Dennoch nimmt sie die Senatorin in Schutz: Tag und Nacht sei Regine Günther für sichere Radwege und die Verkehrswende im Einsatz. Günther ist eine der wenigen Frauen in der Verkehrspolitik. Wenn es nicht an ihr liegt, dass es nicht vorangeht – woran dann? Auf dem Podium herrscht zwischen allen Frauen Einigkeit: Um eine Stadt lebenswert und fahrradfreundlich zu machen, muss man den wachsenden Autoverkehr einschränken. Nur wie?
Marianne Weinreich, Managerin im dänischen Beratungsunternehmen Ramboll, erklärt, nicht das Auto selbst sei das Problem, sondern sein privater Besitz. Die Überzeugung, es sei »ein Menschenrecht, das eigene Auto immer direkt vor der Tür parken zu können«, wie Eckstein es ausdrückt, führt zu einem massiven Flächenverbrauch. Für Kapek ist klar: »Der Schlüssel ist das Parken.« Wenn das immer schwieriger und teurer werde, reduziere sich auch der Autoverkehr.
Expertinnenrunden wie diese gibt es viel zu selten. Verkehrsplanung ist eine Männerdomäne, bis heute. Isabell Eberlein von Bicicli, die das Podium moderiert, ist Initiatorin eines berlinweiten Netzwerks von Frauen, die zu den Themen Fahrrad und nachhaltige Mobilität aktiv sind. Auch im ADFC Berlin gibt es seit einem Jahr ein Frauen-Netzwerk. Aber Frauen wie Marianne Weinreich, die in High Heels auf dem Fahrrad von einem Business-Meeting zum nächsten unterwegs sind, gehören immer noch nicht so selbstverständlich zum Stadtbild, wie es eigentlich sein sollte.
Alle auf dem Podium können von Situationen berichten, in denen sie als Frauen nicht ernst genommen wurden. Kapek beispielsweise erzählt von ihrem ersten Tag als Studentin der Verkehrsplanung: Ihr Besuch einer Vorlesung in der Uni war scheinbar so exotisch, dass die männliche Studentenschaft sie bei Betreten des Raumes für eine Reinigungskraft hielt und darum bat, doch bitte später wiederzukommen.
Längst angekommen in der Verkehrsbranche ist Nicole Grummini, die bei der BVG den Bereich U-Bahn leitet. Gern würden die Verkehrsbetriebe, die mit Sigrid Nikutta auch eine weibliche Chefin haben, mehr Frauen einstellen, so Grummini. Doch die seien besonders in den technischen Berufen kaum zu kriegen. Mit Blick auf die Verkehrssituation gesteht die U-Bahn-Chefin ein, dass sie sich in Berlin »weniger traut«, Fahrrad zu fahren und lieber ihr eigenes Produkt nutzt, um von A nach B zu kommen. Mehr Radverkehr wünscht sie sich trotzdem und würde gern die Fahrradmitnahme in den U-Bahnen erleichtern. Das sei jedoch nur mit mehr Wagen und engerer Taktung möglich. Sie bittet das Publikum um Geduld: »Leider sind wir nicht so schnell, wie es in dieser Stadt gerade notwendig wäre.«
Das Gefühl, in ihrer Branche in der Minderheit zu sein, kennt auch Architektin Hille Bekic. Neben ihrem Engagement für den Verein Changing Cities ist Bekic Vorstandsmitglied in der Berliner Architektenkammer und weiß, dass Frauen seltener als Männer den Sprung vom Architekturstudium in den Job schaffen. Sie rät Frauen, sich zu vernetzen – so wie sie es in der Architektenkammer tut. Warum das notwendig ist, weiß Eckstein: »Auch wir zivilgesellschaftlichen Organisationen müssen uns an die eigene Nase fassen«, zu oft seien Männer im Vordergrund und ihre Gesichter diejenigen in der Öffentlichkeit.
Dass Frauen seltener in repräsentative oder Entscheidungspositionen gelangen, liegt laut Weinreich nicht nur an Männern, die lieber unter sich bleiben. Es geht auch darum, dass Frauen den Mut fassen, wichtige Positionen zu besetzen, und dass sie dafür Unterstützung von anderen Frauen und von Männern bekommen.
Nur gemeinsam geht es vorwärts – das gilt für Geschlechtergerechtigkeit und das gilt auch in der Verkehrsplanung. ADFC-Vertreterin Eckstein fordert mehr Geschlossenheit innerhalb der Zivilgesellschaft – egal, ob man sich für Fuß-, Rad- oder öffentlichen Verkehr stark mache: »Wir sind die, die wollen, dass es besser wird. Deshalb müssen wir witziger sein, wir müssen cleverer sein, wir müssen schneller sein.« Eckstein wirbt dafür, mit einem breiten Bündnis Druck zu machen und appelliert an den Senat, sich »nicht von einzelnen Bezirken auf der Nase herumtanzen zu lassen«, die die Verkehrswende blockierten.
Antje Kapek entgegnet, Druck könne hilfreich sein, doch in der Radverkehrsdebatte werde die »Rote Linie« manchmal überschritten. »Manches, was auf Twitter abgeht, grenzt an Hatespeech«, erklärt die Grünen-Vorsitzende mit Blick auf den scharfen Ton einiger Aktivistinnen und Aktivisten – und vielleicht auch den der Opposition. Dass eine Verwaltung auch ganz anders, nämlich schneller sein kann, erklärt Hille Bekic mit dem Verweis auf Mexiko-City: Dort beginnt eine spezielle Abteilung der Verkehrsverwaltung erst um 22 Uhr den Dienst. In den leeren Straßen werden Straßen und Kreuzungen über Nacht umgestaltet. Solch eine »Guerilla in der Verwaltung« wünscht sich Bekic auch in Berlin und erntet damit großen Applaus.
Was macht sie nun aus, die weibliche Perspektive auf Verkehrsplanung? Klar ist, dass es keine ausschließlich »männliche« oder »weibliche« Planung gibt. Marianne Weinreich macht in ihrer Keynote eindrucksvoll klar, dass Frauen in der Gesamtbetrachtung ein anderes Mobilitätsverhalten an den Tag legen als Männer. Dass sie daher die politischen Rahmenbedingungen nicht nur mitbestimmen sollten, sondern auch können und müssen, haben die Gäste an diesem Abend eindrücklich bewiesen.
Die komplette Diskussion kann als Videomitschnitt online angeschaut werden.