Vom öffentlich zugänglichen ehemaligen Grenzturm bei Lenzen hat man die Elbe gut im Blick.

Durchs Auenland

Wiesen in sattem Grün, die weite Landschaft nur ab und an von sanften Hügeln unterbrochen: das Auenland, Heimat der Hobbits.

Wer die Verfilmung des Tolkien-Buches im Kino gesehen hat, versteht nur zu gut, dass Frodo Sehnsucht nach dem ach so fernen Auenland hat. Berliner haben es da besser als der kleine Mann mit den behaarten Füßen: Sie brauchen nur gut eine Stunde mit dem Zug bis in die Lenzener Elbtalaue. VON CLAUDIA LIPPERT (TEXT) UND KATRIN STARKE (FOTOS).

In Bad Wilsnack starten wir unsere Radtour. Vom Bahnhof aus ein paar Mal kräftig in die Pedale getreten, schon stehen wir vor dem mächtigen Backsteinbau von St. Nikolai. Im Spätmittelalter bedeutendes Wallfahrtsziel, zieht die „Wunderblutkirche“ heuer wieder Pilger an, die den 130 Kilometer langen Weg von der Berliner Marienkirche am Alex hierher zu Fuß zurücklegen. Für manche ist das der „Probelauf“, bevor sie in Hape Kerkelings Fußstapfen treten und nach Santiago de Compostela pilgern, erzählt Martina Richter vom Förderverein der Kirche. Nicht alle der jährlich 25.000 Besucher sind Pilger, „aber es werden immer mehr“. Vor der Kirche sind Radwege ausgeschildert. An der Mastspitze eine weiße 40 auf rotem Grund. „Unsere Knotenpunktbeschilderung“, erläutert Uwe Neumann, Chef des Tourismusverbandes Prignitz. Seit 2011 werden die regionalen Radrouten so gekennzeichnet. „Den Kreuzungen mindestens dreier Radwege wird je ein Knotenpunkt samt Nummer zugeordnet. Auf einer Übersichtskarte kann der Radler anhand der nächsten Nummern seine Route planen“, sagt Neumann. „An jedem Wegweiser im Radwegenetz sind dann die nächsten Knotenpunkte ausgeschildert.“ So ganz verstanden haben wir das zwar noch nicht, aber wir werden ja sehen, ob’s klappt auf unserer Tour „Treffpunkt Adebar“.

Durch Felder führt der Weg über Abbendorf an die Elbe, hier sind wir mittendrin im UNESCO-Biosphärenreservat „Flusslandschaft Elbe“, nehmen Kurs auf die Havelmündung am Gnevsdorfer Wehr. „Auf den feuchten Wiesen am Strom finden Störche reichlich Nahrung“, erzählt Naturwacht- Ranger Jürgen Herper. Wohl um uns einzustimmen aufs erste Etappenziel: Rühstädt. Das Dorf beherbergt die größte Weißstorch-Kolonie Europas. 32 Paare haben 2012 auf Dächern und Schornsteinen ihre Jungen groß gezogen. Auf ihrem Zug nach Süden fliegen sie bis zu 500 Kilometer am Tag, wie die NABU-Ausstellung „Weltenbummler Adebar“ im Besucherzentrum erläutert. Der Ranger will uns noch einen Biberbau zeigen, weshalb wir die 26,5 Kilometer lange Adebar- Rundtour hier verlassen und stattdessen weiter an der Elbe entlang nach Wittenberge radeln. Den hinter Schilf versteckten Eingang zur Nager-Wohnung hätten wir ohne unseren Begleiter schlicht übersehen. Im brandenburgischen Teil des Biosphärenreservats leben mehr als 70 Biberpaare mit ihrem Nachwuchs. Auch Fischotter, Kranich oder Rotmilan sind hier zu Hause, berichtet Herper. Plötzlich steigt er in die Bremse, richtet den Blick gen Himmel auf einen Vogel, der majestätisch seine Kreise zieht: „Ein Seeadler.“ Mehr als 50 bedrohten Vogelarten bietet die Elbtalniederung ein Zuhause. Am nächsten Tag fahren wir weiter auf dem Elberadweg in Richtung Lenzen. Links von uns bahnt sich die Elbe in großen Bögen ihren Weg nach Nordwesten. Einigen Bögen sind wir schon gefolgt, als uns am Wegesrand eine junge Frau zuwinkt, ihr betagtes Rennrad neben sich im Gras geparkt: Birgit Felinks ist Biologin beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND).

Dem BUND gehört seit 1993 die Burg Lenzen, wo es im Besucherzentrum Ausstellungen zur Flusslandschaft gibt. Hier sind auch Radtouren buchbar, bei denen Felinks erklärt, wie nach der Rückverlegung des Elbdeichs zwischen dem „Bösen Ort“, wo die Elbe einen fast rechtwinkligen Knick macht, und dem Hafen Lenzen wieder natürliche Auenlandschaft entsteht. „Trockenperioden im Sommer, starke Überschwemmungen im Winter – diese starken Schwankungen machen eine Aue als Lebensraum so interessant“, erklärt die Biologin. Diesen Lebensraum hatte es nicht mehr gegeben, befand sich der Deich doch bis nach der Jahrtausendwende unmittelbar am Elbufer, bis im Zuge des Naturschutzgroßprojekts „Lenzener Elbtalaue“ der flussnahe Deich um bis zu 1,3 Kilometer zurückverlegt und der alte Deich in sechs Abschnitten geöffnet wurde. 2009 wurde das Projekt abgeschlossen, 2010 konnte das Areal im Winter erstmalig voll Wasser laufen, seither entwickelt sich das „neue Auenland“. Mit Silber-, Korb- und Bruchweide, mit Eschen und Flatterulmen, die „nasse Füße“ problemlos wegstecken. Stundenlang könnten wir Birgit Felinks noch zuhören, wie sie über die „Jahrhundertfluten“ von 2002, 2006 und 2011 spricht und über die Schafe, die mit ihrem „goldenen Tritt“ den Deich pflegen, und uns die „Liebenthaler Wildlinge“ zeigt – diese kräftigen Pferde, die auf mehr als 80 Hektar im Auenland leben. Aber dann würden wir die 27 Kilometer lange Lenzerwische-Tour heute nicht mehr schaffen: Von Lenzen aus entlang der Elbe nach Kietz zum Slawenwall und durchs Künstlerdorf Breetz mit seinen 14 Häusern, das allein schon wert ist, bald mal wieder eine Radtour durch die Prignitz zu unternehmen. Auch wenn man die Elben, diese Hobbit-Freunde mit dem langen blonden Haar, hier vergebens sucht …


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https://berlin.adfc.de/artikel/durchs-auenland

Häufige Fragen von Alltagsfahrer*innen

  • Was macht der ADFC?

    Der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club e.V. (ADFC) ist mit bundesweit mehr als 200.000 Mitgliedern, die größte Interessenvertretung der Radfahrerinnen und Radfahrer in Deutschland und weltweit. Politisch engagiert sich der ADFC auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene für die konsequente Förderung des Radverkehrs. Er berät in allen Fragen rund ums Fahrrad: Recht, Technik, Tourismus.

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  • Was bringt mir eine ADFC-Mitgliedschaft?

    Radfahren muss sicherer und komfortabler werden. Wir nehmen dafür – auch Dank Ihrer Mitgliedschaft – nicht nur Einfluß auf Bundestagsabgeordnete, sondern setzen uns auf Landes- und Kommunalebene für die Interessen von Radfahrern ein. Für Sie hat die ADFC Mitgliedskarte aber nicht nur den Vorteil, dass wir uns für einen sicheren und komfortablen Radverkehr einsetzen: Sie können egal, wo Sie mit Ihrem Fahrrad unterwegs sind, deutschlandweit auf die ADFC-Pannenhilfe zählen. Außerdem erhalten Sie mit unserem zweimonatlich erscheinenden ADFC-Magazin Information rund um alles, was Sie als Radfahrer politisch, technisch und im Alltag bewegt. Zählen können ADFC-Mitglieder außerdem auf besonders vorteilhafte Sonderkonditionen, die wir mit Mietrad- und Carsharing-Anbietern sowie Versicherern und Ökostrom-Anbietern ausgehandelt haben. Sie sind noch kein Mitglied?

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  • Was muss ich beachten, um mein Fahrrad verkehrssicher zu machen?

    Wie ein Fahrrad verkehrstauglich auszustatten ist, legt die Straßenverkehrszulassungsordnung (StVZO) fest. Vorgesehen sind darin zwei voneinander unabhängige Bremsen, die einen sicheren Halt ermöglichen. Für Aufmerksamkeit sorgen Radler*innen mit einer helltönenden Klingel, während zwei rutschfeste und festverschraubte Pedale nicht nur für den richtigen Antrieb sorgen. Je zwei nach vorn und hinten wirkende, gelbe Rückstrahler an den Pedalen stellen nämlich darüber hinaus sicher, dass Sie auch bei eintretender Dämmerung gut gesehen werden können. Ein rotes Rücklicht erhöht zusätzlich die Sichtbarkeit nach hinten und ein weißer Frontscheinwerfer trägt dazu bei, dass Radfahrende die vor sich liegende Strecke gut erkennen. Reflektoren oder wahlweise Reflektorstreifen an den Speichen sind ebenfalls vorgeschrieben. Hinzu kommen ein weißer Reflektor vorne und ein roter Großrückstrahler hinten, die laut StVZO zwingend vorgeschrieben sind.

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  • Worauf sollte ich als Radfahrer*in achten?

    Menschen, die Rad fahren oder zu Fuß gehen, gehören zu den ungeschützten Verkehrsteilnehmern. Sie haben keine Knautschzone – deshalb ist es umso wichtiger, sich umsichtig im Straßenverkehr zu verhalten. Dazu gehört es, selbstbewusst als Radfahrender im Straßenverkehr aufzutreten, aber gleichzeitig defensiv zu agieren, stets vorausschauend zu fahren und mit Fehlern von anderen Verkehrsteilnehmern zu rechnen.Passen Sie Ihre Fahrweise der entsprechenden Situation an und verhalten Sie sich vorhersehbar, in dem Sie beispielsweise Ihr Abbiegen durch Handzeichen ankündigen. Halten Sie Abstand von Lkw, Lieferwagen und Kommunalfahrzeugen. Aus bestimmten Winkeln können Fahrer nicht erkennen, ob sich seitlich neben dem Lkw Radfahrende befinden. Das kann bei Abbiegemanövern zu schrecklichen Unfällen führen. Beachten Sie immer die für alle Verkehrsteilnehmer gültigen Regeln – und seien Sie nicht als Geisterfahrer auf Straßen und Radwegen unterwegs.

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  • Was ist der Unterschied zwischen Pedelecs und E-Bikes?

    Das Angebot an Elektrofahrrädern teilt sich in unterschiedliche Kategorien auf: Es gibt Pedelecs, schnelle Pedelecs und E-Bikes. Pedelecs sind Fahrräder, die durch einen Elektromotor bis 25 km/h unterstützt werden, wenn der Fahrer in die Pedale tritt. Bei Geschwindigkeiten über 25 km/h regelt der Motor runter. Das schnelle Pedelec unterstützt Fahrende beim Treten bis zu einer Geschwindigkeit von 45 km/h. Damit gilt das S-Pedelec als Kleinkraftrad und für die Benutzung sind ein Versicherungskennzeichen, eine Betriebserlaubnis und eine Fahrerlaubnis der Klasse AM sowie das Tragen eines Helms vorgeschrieben. Ein E-Bike hingegen ist ein Elektro-Mofa, das Radfahrende bis 25 km/h unterstützt, auch wenn diese nicht in die Pedale treten. Für E-Bikes gibt es keine Helmpflicht, aber Versicherungskennzeichen, Betriebserlaubnis und mindestens ein Mofa-Führerschein sind notwendig. E-Bikes spielen am Markt keine große Rolle. Dennoch wird der Begriff E-Bike oft benutzt, obwohl eigentlich Pedelecs gemeint sind – rein rechtlich gibt es große Unterschiede zwischen Pedelecs und E-Bikes.

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  • Gibt es vom ADFC empfohlene Radtouren für meine Reiseplanung?

    Wir können die Frage eindeutig bejahen, wobei wir Ihnen die Auswahl dennoch nicht leicht machen: Der ADFC-Radurlaubsplaner „Deutschland per Rad entdecken“ stellt Ihnen mehr als 165 ausgewählte Radrouten in Deutschland vor. Zusätzlich vergibt der ADFC Sterne für Radrouten. Ähnlich wie bei Hotels sind bis zu fünf Sterne für eine ausgezeichnete Qualität möglich. Durch die Sterne erkennen Sie auf einen Blick mit welcher Güte Sie bei den ADFC-Qualitätsradrouten rechnen können.

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