Tourentipp: Tollensesee
Die hügelige 40km lange Runde um den Tollensesee gehört landschaftlich zum Schönsten, was sich zwischen Berlin und Ostsee finden lässt. Von Stefan Jacobs.
Man merkt das nicht sofort beim Start am Neubrandenburger Hauptbahnhof. Die 1945 niedergebrannte Stadt ist eher praktisch als schön wiederaufgebaut worden. Immerhin blieben zwei Kirchen und die gewaltige Stadtmauer mit ihren „Wieckhäusern“ und Toren erhalten.
Das Hochhaus auf dem Marktplatz – direkt am Weg vom Bahnhof zum See gelegen – eignet sich dank einer öffentlichen Aussichtsetage (gratis) für den ersten Überblick. Von oben grüßt der See, dem die Eiszeit ein schönes Bett gemacht hat: gut zehn Kilometer lang und zwei breit. Und: Der See hat nur einen kleinen Abfluss nach Norden Richtung Ostsee, er hängt damit nicht im Netz der Mecklenburger Seenplatte und bleibt so vom Motorbootgebrumm weitgehend verschont.
Woanders belegen Villen mit hohen Zäunen die besten Plätze am Wasser, hier breitet ein großer Park zum See hin aus. Für die Tour im Uhrzeigersinn biegt man links ab, radelt an Dampfersteg, Spielplätzen und Stränden des Augustabades vorbei und taucht in abwechslungsreichen Mischwald ein. Die breite Straße aufwärts führt zum Aussichtsturm Behmshöhe (gratis). Der Rundweg führt auf gut fahrbarem Naturbelag am östlichen Seeufer entlang. Zeitweise verläuft eine breite, gesperrte Straße parallel: eine alte Panzerteststrecke der Nazis.
Nach ein paar sehr idyllischen Kilometern zwischen alten Buchen und windschiefen Kiefern wird der Waldweg zur Dorfstraße von Klein Nemerow – eine Sommerfrische mit uralter Burgruine, Badestelle, Bootsanleger und schlichtem, aber nettem Hofcafé in einer Einfahrt. Südlich des Dorfes öffnet sich die Landschaft; der Weg verläuft zwischen grasbewachsenen Hügeln und blühenden Wiesen mit Blick auf den See. Der Anblick von Pferden verschönert die Landschaft; je nach Wind und Wetter leuchtet der See türkisblau oder glitzert silbern. Hinterm Hotel Bornmühle geht es fein asphaltiert, aber steil bergauf weiter und am Golfplatz (wo man für ein paar Euro Schläger und Bälle leihen kann) entlang zur B96. Jene B96, die in Berlin beispielsweise Mehringdamm und Schönhauser Allee heißt. Stark befahren ist sie auch hier, aber der Radweg folgt ihr nur kurz, und Ablenkung hat man wegen des heftigen Aufs und Ab, der wechselhaften Beläge und der weiten Blicke in die andere Richtung reichlich.
Obwohl das Südende des Tollensesees längst erreicht ist, entfernt sich der Rundweg noch weiter vom Wasser. Er führt auch um die Lieps herum, wie der See heißt, der ganz anders ist als sein Nachbar: flach, trübe, rundlich. Beide Seen sind mit einem Kanal verbunden, über den aber keine Brücke führt, nicht mal ein Weg in die Nähe. Das liegt daran, dass die Gegend Naturschutzgebiet ist und Brutrevier beispielsweise für Kraniche und Adler. Im Schuss geht es auf dem nun wieder gut asphaltierten Weg hinab zur Lieps und ins Dorf Prillwitz, in dem ein Mini-Abstecher zum Gutspark und zum Steg lohnt. Der eröffnet den besten Blick auf eine Kormoraninsel, die aussieht wie aus einem Endzeitfilm.
An dieser Stelle kann man einen Schlenker, sechs Kilometer hin und zurück, nach Hohenzieritz machen. Das Schloss beherbergt ein anrührendes kleines Museum rund um das Zimmer, in dem die vom Volk geliebte Königin Luise 1810 mit 35 Jahren starb. Außerdem gibt’s zum Schloss einen herrlichen Park am Hang und im Dorf ein Café, das von der Straße aus wenig hermacht, umso besser ist der Kuchen.
Zippelow besteht im Wesentlichen aus einem Klapptisch-Miniladen und einer Metzgerei, die Wurst und Fleisch lokaler Limousin-Rinder und Wasserbüffel verkauft. Die Überlebenden grasen direkt am Weg. Eine weitere Verpflegungsmöglichkeit bietet der Imbiss in Wustrow. Die Fischbrötchen lohnen den Umweg (insgesamt zwei Kilometer) – auch die Badestelle, an der man Stand-Up-Boards mieten kann. Wobei sich spätestens dann die Frage stellt, ob man aus der Tollensesee-Runde nicht gleich eine Wochenendtour machen sollte – zumal die Tour noch weitere Hügel zu bieten hat. Die nächsten warten vor Alt Rehse, dem interessantesten Dorf entlang der Runde. Der Ort wurde von den Nazis – auf Kosten des dafür abgerissenen Vorgängerdorfes – als vermeintlicher Prototyp des idyllischen Landlebens angelegt. Die Reetdachhäuser sind nach den einstigen Gauen benannt und tragen im Gebälk Inschriften wie „Erbaut im vierten Jahre“ nach dem nationalsozialistischen Machtantritt.
Der Rückweg nach Neubrandenburg beginnt mit einer wunderbaren Abfahrt auf einer Allee zum See, bevor der Weg wieder in den Wald eintaucht und ein Potpourri an Belägen präsentiert: Platten längs und quer, fester Kies, loser Kies, grober Splitt, feiner Splitt. Zwischendurch gibt’s noch ein paar prächtige Buchen, eine FKK-Badestelle und einen Campingplatz mit Kiosk. Am letzten Hügel vor Neubrandenburg thront oberhalb des jetzt am Hochufer exponierten und asphaltierten Weges das Belvedere. Das ist aber nicht die letzte Gelegenheit für einen Blick über den See. Denn erst im Kulturpark schließt sich die Runde, also auf den Wiesen hinterm Strand, auf denen es ein Eiscafé gibt und das Hotelrestaurant „Badehaus“ mit Blick längs über den See, von dem man sich schwer trennen kann.
An- und Abreise: Die Bahn (RE5) fährt im Stundentakt zwischen Berlin und Neubrandenburg und braucht circa 1 Stunde und 45 Minuten.
Karte: Mecklenburgische Seen Ost (RK-MV07), Verlag Esterbauer