Hanse jut jemacht!

Der Radfernweg Hamburg-Berlin verbindet Deutschlands größte Städte, zwischen denen es erstaunlich einsam ist. TEXT UND FOTOS VON STEFAN JACOBS.

Uns kann keener. Oder doch – Hamburg vielleicht? Immerhin Deutschlands zweitgrößte Stadt. Hat zwar nur halb so viele Einwohner wie Berlin, halb so viele Schulden und mit der Elbphilharmonie den nicht mal halb so großen Bauskandal im Vergleich zum BER. Aber soll ja schön sein und ist außerdem per IC auch für Radfahrer gut erreichbar. Und einen Bikeline-Spiralo gibt’s: »Radfernweg Hamburg-Berlin«. Dabei handelt es sich um eine nicht extra beschilderte Kombination aus Elbe-, Havel- und Havellandradweg. Und zwar stromaufwärts, aber das kann bei 30 Meter Höhenunterschied auf 360 Kilometern egal sein. Viel mehr zähltder Wind, der statistisch zwei Drittel des Jahres von Westen weht. Nach gut zwei Stunden Bahnfahrt stehen wir an der Alster und fahren erst mal eine Runde drum herum. Schöner wohnen auf zehn Kilometern. So mondän sieht Berlin höchstens in Dahlem aus. Hamburg punktet zwar mit einem Radweg durch den Grünstreifen um die Außenalster, aber der ist für den erlaubten Zweirichtungsverkehr recht schmal. Zeitgemäße Radspuren und Wegweiser sind eher die Ausnahme. Nicht verkehrstechnisch, aber architektonisch erweist sich die Speicherstadt als das Highlight schlechthin, wenn man lange nicht da war: Die Backsteinfassaden sind so eindrucksvoll wie eh, aber auch die Neubauten dahinter stünden dem mit so vielen langweiligen Büroklötzen zugebauten Berlin gut zu Gesicht. Die Elbphilharmonie schaut weit über den Fluss, der sich an den Landungsbrücken wie ein Meeresarm weitet. Die Linienfähren nehmen Fahrräder mit – zum Beispiel nach Finkenwerder, wo es ums riesige Airbus-Werk und mit einer weiteren Fähre hinüber nach Blankenese geht. Das Treppenviertel dort muss man gesehen haben, hat eine Hamburger Freundin gesagt. Recht hat sie: steile Gässchen führen zwischen üppig bewachsenen Gärten und Mäuerlein kreuz und quer durchs Villenviertel am Hang, während auf der mächtigen Elbe die noch mächtigeren Pötte den Weltmeeren entgegengleiten. Zurück in die City geht’s lauschig am Ufer entlang.

Ostwärts, also Richtung Berlin, führt der Elberadweg durch Industriegebiete und an einem Kraftwerk vorbei, bevor es ländlich wird: Backstein hinter Deichen, dazwischen sattgrüne Wiesen und Gärten mit englischem Rasen – dem legendären Hamburger Niesel sei dank. Der Wind dazu bläst heute aus Ost, was Tempo und Euphorie bremst. Aber die Landschaft verdient Entschleunigung, denn die bis hierher reichende Lüneburger Heide ist menschenleer und still, ohne dabei jemals trist zu scheinen. Hortensien blühen vor großen alten Bauernhäusern, Schafe und Pferde beleben den Horizont. Der schwingt sich am nördlichen Elbufer um Lauenburg zu beachtlichen Hügeln auf. Wir betrachten sie zufrieden vom platten Süden her. Nur unser Nachtquartier, Hotel Lauenburger Mühle, liegt ebenfalls im Norden. Der Name hätte uns Warnung sein können. Es handelt sich nämlich nicht um eine Wasser- sondern um eine Windmühle, die sinnvollerweise… – eben! Der Anstieg ist heftig, aber das grandiose, großenteils aus dem 16. Jahrhundert stammende Ensemble aus Fachwerk und Backstein von Lauenburg verdient wahrlich Schritttempo. Auch am nächsten Tag wechseln wir zweimal das Ufer – um Berge zu sparen und um so reizende Orte wie Bleckede und Hitzacker nicht zu verpassen. Letzteres wirkt wie ein Spielzeugstädtchen; die mit vier Fahrrädern gut gefüllte Fähre passt dazu. In Dömitz dagegen sei »gar nichts los«, hatte ein entgegenkommendes Paar berichtet. Von wegen: Das am Südwestzipfel von Mecklenburg gelegene Städtchen hat eine beachtliche fünfeckige Festung und das Glück eines wagemutigen Investors, der aus einem alten Getreidespeicher – dem höchsten Gebäude weit und breit – ein Hotel samt Dachcafé gemacht hat. Ein Highlight im Sinne des Wortes.

Klappernde Störche, trällernde Pirole und oft ein Kuckuck – das ist der Soundtrack, der uns durch Gorleben und auf dem Elbdeich nach Brandenburg begleitet. Gut, Havelberg mit seinem mächtigen Dom und unserem Quartier liegt in Sachsen-Anhalt, aber bald sind wir auch gefühlt nahe an Berlin. Nun geht es an der Havel lang, die ihr Wasser (und das der Spree) gemächlich zur Elbe bringt. Stille Dörfer und weite Blicke prägen das Westhavelland, durch das der dank der Buga 2015 gut ausgebaute Havel-Radweg führt. Er ist nicht zu verwechseln mit dem Havelland-Radweg, auf den wir in Rathenow wechseln. Der führt nördlich des Flusses durch Wälder und über Felder via Nauen nach Berlin. Der Weg ist das Ziel – und zwar eins zum Genießen, denn der elende Ostwind hat nachgelassen und der Belag ist perfekt. Mit dem von Fontane gewürdigten Ribbeck im Havelland gibt es auch noch ein lohnendes Etappenziel, zumal nicht nur das Schloss schick renoviert ist, sondern sogar der vom Dichter gewürdigte Birnbaum an der Kirche wieder sprießt. Nicht derselbe, aber ein junger, gut aussehender. In Nauen hätten wir in den Zug steigen können und vielleicht auch sollen, denn nun geht es erst an der Bundesstraße entlang und dann durch den Speckgürtel etwas umständlich nach Spandau. Aber wenn der Radweg schon »Hamburg-Berlin« heißt, soll es auch so sein. Fazit: Hamburg ist eine Reise wert, jenseits der Städte ging es stressfrei und komfortabel. Wie schön, dass es zwischen den beiden größten deutschen Städten so viel Natur und so wenig Menschen gibt. Wer immer ihn erfunden hat: Dieser Radweg war eine gute Idee.

 

 


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