Monte Kali voraus: Skyline bei Heringen.

Werratal-Radweg: Fach-Werk-Fluss

Die Werra fließt vom Thüringer Wald zum Südzipfel Niedersachsens - zwischen grünen und weißen Bergen und durch Städte mit tollem Gebälk. Von STEFAN JACOBS

Wenn man morgens in Berlin den ersten ICE Richtung Süden nimmt und sich ab Coburg den Berg hochdieseln lässt, kann man zur Frühstückszeit auf dem Kamm des Thüringer Waldes losradeln. Weckerklingeln um drei war zwar nicht der perfekte Tagesstart, aber die Ankunft in Neuhaus am Rennweg entschädigt: Uns liegt nicht nur der Tag zu Füßen, sondern auch der Thüringer Wald. Denn der Dieselzug endet auf 800 Meter Höhe direkt am Rennsteig. Der in Wanderer-kreisen berühmte Kammweg ist zugleich der Zubringer zu unserer Tour: Wir wollen der Werra folgen, die hier entspringt und nordwestwärts fließt bis zum Südzipfel Niedersachsens. Der gut 320 Kilometer lange, in einem Bikeline-Spiralo beschriebene Werratal-Radweg folgt ihrem Lauf – und lässt sich je nach Ehrgeiz notfalls in vier, besser in fünf oder sechs Etappen erradeln.
Entschleunigung sichert der Rennsteig-Radweg, der sich rumplig mit einigem Auf und Ab durchs Fichtendickicht schlängelt bis zum Abzweig zur ersten Werraquelle. Die strullert trinkflaschenfreundlich aus einem Röhrchen, bevor sie zunächst unter dem irritierenden Namen Saar einer Bundes-straße folgt. Die Radroute führt abseits durch den Wald und streift nach ein paar Hügeln auch die zweite Werraquelle. Die galt einst als die einzig wahre, aber Forschungen ergaben Gleichberechtigung zwischen beiden. Die zweite bekommt dennoch einen Bonuspunkt: fürs Gasthaus mit Sonnenterrasse.
Frisch gestärkt brausen wir talwärts, soweit sich das auf dem kurvigen Waldweg entlang dem plätschernden Bächlein verantworten lässt. In Schwarzenbrunn wird der Belag glatt und der Fluss komplett, denn dort vereint sich die Bundes-straßensaar mit unserer Plätscherwerra. Nun geht es gemäch-licher weiter durch die jetzt offenere Landschaft mit weiteren Tälern und flacheren Hängen. Von Dorf zu Dorf rollen wir meist auf separat geführtem Asphaltband. In den Orten geht’s auf passabel zu fahrenden Straßen weiter und an mancher Sehenswürdigkeit vorbei: am Schloss Eisfeld mit seinem leuch-tend roten Gebälk, über den von herrschaftlichen Häusern umstandenen Markt von Hildburghausen, am weitläufigen Kloster Veßra. Die Werra ist bereits deutlich gewachsen und wirkt fast schon träge, während unser Weg ihr mal gemächlich folgt und mal mit kurzen, steilen Anstiegen ein paar Extra-touren macht.
In Meiningen prägt der Fluss den Park in der Stadt, die mit ihrer wohlproportionierten romanischen Riesenkirche auch sonst eine Erkundung lohnt. Weil es gerade passt, folgen wir am Morgen – Samstag um zehn – einer Führung durchs Dampflokwerk. Hier wartet die DB Veteranen wie Harzquer-bahn, Molly und Rasenden Roland. Hier ist Kesselflicker noch ein Beruf. Von den in Spitzenzeiten (1960er-Jahre) 3000 Jobs sind knapp 100 geblieben, erzählt der ehemalige Betriebsrats-vorsitzende bei der Führung, während sein Publikum auf dicke Bleche klopft und Metallgeruch einatmet.


Der Radweg führt nordwärts weiter durchs breite Tal; nicht immer autofrei, aber entspannt. Und: nicht spektakulär, aber durchweg hübsch mit hellgrünen Wiesen zwischen dunkel bewaldeten Hängen, auf denen gelegentlich eine Burg aufragt. Später am Tag, wir sind inzwischen in Hessen, kommen weiße Berge hinzu: bis zu 200 Meter hohe, noch immer weiter aufgeschüttete Kalisalzhalden. Surreal überragen sie die Dörfer entlang der einstigen innerdeutschen Grenze. Die überque-ren wir in den nächsten Tagen noch mehrmals. Nur in Hörschel an der Hörsel geht’s tiefer nach Thüringen hinein: Ein zwei mal zehn Kilometer langer Abstecher nach Eisenach gehört offiziell zum Werratal-Radweg. Nördlich davon beginnt der land-schaftlich interessanteste Abschnitt der Tour: Zwischen Creuzburg und Treffurt hat sich die Werra zwischen teils senkrecht aufragende Felsen gefräst. An manchen Stellen reicht der Platz gerade für Fluss und Radweg, an anderen passt auch noch eine Wiese in die Lücke. So mäandern Werra und Weg wieder nach Hessen – in eine Region mit bemerkenswerten Fach-werk-Ensembles. In Eschwege sollen es mehr als 1000 Fachwerkhäuser sein, die ganze Straßenzüge schmücken und mit ihrer Vielfalt an Ornamenten und Figuren genaue Betrachtung lohnen. Als Geheimtipp erweist sich der hinter einer kleinen Tür verborgene, im dicht bebauten Zentrum gelegene Sophiengarten. Der entstand ab 1997 als Projekt Eschweger Bürger:innen auf dem Gelände eines verwilderten Vorgängergartens. Nun ziehen sich Wege durch die sorgsam gepflegte Oase, in der es summt und duftet und in jedem Winkel ein wenig anders blüht und grünt.
Auf unserer Schlussetappe bekommen wir beinahe eine Fachwerküberdosis: Während es in Eschwege die Masse mach-te, ist es in Bad Sooden der Auftritt als Ensemble: einmal längs durch die Altstadtstraße, in die unser Radweg nach vielen unbebauten Flussbiegungen übergeht.

Beeindruckend schief stehen sie da mit ihrem Jahrhunderte alten Gebälk – keins wie das andere, aber alle zusammen stilbildend für das Städtchen. Zu dem gehört außerdem der Ortsteil Allendorf auf der an-deren Werraseite; geprägt vom Kurbetrieb rund um Gradier-werk und Therme.
Auf den letzten Kilometern bleibt der Weg meist dicht am Fluss, der trübe seinem Ziel entgegenfließt, das auch unseres ist: Hannoversch Münden, fast am südlichsten Punkt von Niedersachsen. Noch mal Fachwerk satt und ein gewaltiges Schloss, das auf die letzten Meter der Werra blickt, bevor von links die wasserreichere Fulda einbiegt und mit der Werra zur Weser wird. Aber das ist eine andere Geschichte. Die würde jetzt zu weit führen, nämlich bis in die Nordsee. Unsere endet hier zwischen den Hügeln. Genauer gesagt: In einer halben Stunde mit dem Zug auf Gleis 2.

Die gpx-Trackdaten gibt es anbei zum Download.

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