40 Jahre ADFC Berlin: Wir schauen auf eine bewegte Geschichte
40 Jahre ist der ADFC Berlin alt und hat in dieser Zeit vieles für das Fahrrad und für die Fahrradfahrer:innen in Berlin erreichen können, aber auch Rückschläge einstecken müssen.
Ende der 1970er Jahre war es genug: Waldsterben, Dioxinverseuchung – ein Umweltskandal jagte den nächsten. Gleichzeitig drohten die Städte am Kraftverkehrskollaps und den giftigen Abgasen zu ersticken. Tatsächlich hatten die Verkehrsplaner:innen in den 1960er und 1970er alles dafür getan, den Autoverkehr zu vermehren. Radfahrer:innen störten den Autofluss da nur. Sie sollten sich gefälligst mit schmalen Streifen auf Gehsteigen begnügen. Rad zu fahren, das wagten damals nur wenige Mutige oder Verrückte. Doch immer mehr Autobahnen und immer mehr Verkehr – das war für viele Teile der Gesellschaft nicht mehr die Lösung ihrer Probleme. Das zivilgesellschaftliche Engagement lebte auf; es entstanden Organisationen wie der BUND, der VCD, Fuss e.V. und eben auch der ADFC.
Neun gründeten den ADFC Berlin
Am 14. Juni 1983 war es auch in West-Berlin soweit: Neun Aktive gründeten den ADFC Berlin und Tilman Bracher wurde der erste Vorsitzende. Schnell gewann der Landesverband neue Mitglieder. Sie setzten sich für sichere Radwege und für Fahrradabstellanlagen ein, beschäftigten sich mit Verkehrssicherheit und boten die ersten Fahrradtouren an. Doch Politik und Gesellschaft blieben erst einmal autozentriert, dementsprechend schwer war es, mit ADFC-Aktionen in den Zeitungen zu landen. Ein tragischer Unfall führte dazu, dass der ADFC Berlin zum ersten Mal gehört wurde. In Kreuzberg wurde 1984 ein Kind von einem rechtsabbiegenden Lkw totgefahren – an einer Kreuzung, an der es täglich Beinahe-Unfälle gab. Der ADFC Berlin gab eine Pressemitteilung heraus, eine Kundgebung wurde organisiert – von da an war Sicherheit für Radfahrer:innen ein Thema in der Stadt.
Eine eigene Geschäftsstelle
Mauerfall, Wiedervereinigung – der ADFC Berlin wurde größer und zog in die neue Geschäftsstelle in der Brunnenstraße 28 ein, symbolisch im Osten, aber ganz nah am alten Westen. Das war auch gut so, denn bei der Grundsanierung der Straßen im Ostteil der Stadt setzte die Senatsverwaltung auf Radwege auf dem Gehsteig. Der ADFC Berlin ging auf Konfrontationskurs, die Zeitungen berichteten, die Mitgliedszahlen stiegen, doch der Kontakt zur Politik brach ab.
Das änderte sich mit dem neuen Vorsitzenden Michael Föge, der viele, neue Impulse setzte. Die Vereinszeitschrift radzeit wurde zu einem vollfarbigen Magazin mit doppelter Auflage und breiter Streuung, die Sternfahrt zu einer jährlichen Großdemo. Erfolge stellten sich ein: Erste Einbahnstraßen wurden für Radfahrer:innen in die Gegenrichtung freigegeben, ein Gesamtberliner Veloroutennetz erarbeitet. Im Juni 2000 ernannte Verkehrssenator Peter Strieder (SPD) Michael Föge zum ersten Fahrradbeauftragen von Berlin. Viele Forderungen wurden nun umgesetzt, der Radverkehr nahm zu. Doch Föge starb 2003 im Alter von 50 an Krebs. Ihm folgte Benno Koch als Vorsitzender, der medial lautstark auftrat. Nach ihm widmete sich die Verkehrsplanerin Sarah Stark als Vorsitzende der internen Verbandsentwicklung, der Transparenz und einem konsolidierten Haushalt.
12.000 Mitglieder
Vor zehn Jahren, 2013, hatte der ADFC Berlin um die 12.000 Mitglieder und seinen Ruf als Fachverband ausgebaut, dessen Stimme in Gremien und Ausschüssen vertreten war. Immer mehr Menschen fuhren Fahrrad, doch die Infrastruktur für Radfahrende blieb mangelhaft. „Wir mussten raus aus den kleinteiligen Verbesserungen hin zu einem großen Wurf“, sagt Frank Masurat, der zu dieser Zeit im Vorstand erst für die Finanzen und Politik zuständig war und später die Nachfolge von Eva-Maria Scheel als Vorsitzender antrat.
Mit dem Fahrradentscheid zu geschützten Radwegen
2016 sollte die Wahl zum Abgeordnetenhaus stattfinden. Wie könnte der Radverkehr zum Wahlkampfthema werden. Was können wir machen, mit wem können wir uns zusammentun, welche Ideen brauchte es, den Radverkehr voranzubringen? Mit diesen Fragen lud der ADFC Berlin bereits 2015 mehrere Radaktive zu einer großen Runde ein. Mit dabei war auch Heinrich Strößenreuther, der die Idee eines Volksentscheides mitbrachte. „Manchen war das zu groß, andere fanden das toll“, sagt Frank Masurat. Sie trafen sich wieder und legten die zehn wichtigsten Ziele eines solchen Volksentscheides fest, zum Beispiel „sichere Radwege an allen Hauptverkehrsstraßen“.
Doch wer sollte das organisieren? Der ADFC Berlin? „Wir haben uns in dem Moment dagegen entschieden“, erinnert sich Masurat. Die Befürchtung war, dass ein Volksentscheid auf Initiative einer bestehenden Organisation – wie des ADFC Berlin – nicht so erfolgreich sein würde. Also gründeten sich die „Initiative Volksentscheid Fahrrad“ und machten sich an die Arbeit: Gesetz schreiben, Unterschriften sammeln, Lobbyarbeit betreiben. Nach einer längeren Diskussion entschied dann auch die Mitgliederversammlung des ADFC Berlin, den Radentscheid offiziell zu unterstützen.
Allein auf der ADFC-Sternfahrt 2016 kam ein großer Teil des Quorums zusammen, der für die Einleitung eines Volksbegehrens – als erster Stufe auf dem Weg zum Volksentscheid – notwendig ist. Nach nur drei Wochen Sammelphase konnten am 14. Juni 2016 insgesamt 105.425 Unterschriften bei der für die Prüfung zuständigen Senatsverwaltung für Inneres abgegeben werden. Was für ein Erfolg! Die Ziele des Volksentscheides wurden somit zum Teil des Wahlkampfes.
SPD, Grüne und Linke bildeten die neue Regierung nach der Wahl im September, die Grünen stellten mit Regine Günther die Verkehrssenatorin. Der neue Senat wollte es nicht auf einen Radentscheid ankommen lassen. Stattdessen übernahm er dessen Ziele und entschloss sich, das erste Mobilitätsgesetz Deutschlands zu erarbeiten – mit dem der Rad- und der Fußverkehr sowie der ÖPNV geregelt und systematisch ausgebaut werden sollten.
Das erste Mobilitätsgesetz Deutschlands
Danach ging die eigentliche Arbeit erst los. Das Gesetz musste im Detail ausformuliert werden. „Das war die größte Leistung des ADFC Berlin, die ich mitgemacht habe“, sagt Frank Masurat. In nur drei Monaten mussten alle Eckpunkte des Gesetzes erarbeitet und geschrieben werden. Neben den Abgeordneten der Koalitionsparteien und der Verwaltung waren der BUND Berlin, Vertreter des Volksentscheids Fahrrad und Frank Masurat, Evan Vosberg und SuSanne Grittner für den ADFC Berlin beteiligt. „Wir drei haben verhandelt, hinter uns standen natürlich die vielen ADFC-Aktiven, die die Themen mit erarbeitet haben.“ Am 28. Juni 2018 verabschiedete das Berliner Abgeordnetenhaus das Mobilitätsgesetz.
Neue Regierung, weniger Fahrrad
Die Umsetzung des Gesetzes zog – und zieht sich hin. Die ersten geschützten Radwege wurden nur zögerlich gebaut, bis plötzlich infolge der Corona-Pandemie über den Umweg der Pop-Up-Radwege schnell und unbürokratisch mehr sichere Radwege entstanden. Doch bevor das Radnetz in Berlin überhaupt richtig ausgerollt werden konnte, wechselten Anfang 2023 aufgrund der Wiederholungswahl die Mehrheiten im Abgeordnetenhaus. Manja Schreiner (CDU) wurde neue Verkehrssenatorin; bereits kurz nach Amtsantritt verhängte sie einen sogenannten Prüf-Stopp für den Bau neuer Radwege.
Was dann folgte, kann man als Aufstand der Radfahrer:innen bezeichnen – mit dem ADFC Berlin in der ersten Reihe. Fast täglich fanden Kiezdemos an betroffenen Straßen statt. Am 2. Juli 2023 beteiligten sich 13.000 Menschen an einer vom ADFC Berlin im Bündnis mit vielen anderen Vereinen und Initiativen organisierten Großdemo. So aktiv und ausdauernd war die fahrradbewegte Stadt schon lange nicht mehr. Und der Protest wirkte. Schritt für Schritt musste die Senatorin den Prüf-Stopp zurücknehmen. Als Nächstes wird es darum gehen müssen, das Mobilitätsgesetz zu verteidigen, nachdem die CDU nun einen Änderungsentwurf zum Nachteil des Radverkehrs vorgelegt hat.
Gründung der fLotte Berlin
2017 brachten Aktive des ADFC und andere Lastenradfreund:innen ein weiteres, großes Projekt mit auf den Weg: die fLotte. Lastenräder können in der Nachbarschaft kostenlos über eine Buchungsplattform ausgeliehen werden. Das Ziel: Lastenräder sollen populärer werden und somit Kfz-Fahrten ersetzen. Betreut werden die Räder von ehrenamtlichen Radpat:innen vor Ort. Heute gibt es 280 buchbare Räder, 45 davon in Brandenburg. Die Berliner Bezirksämter und der Senat beteiligen sich. Bisher läuft die fLotte unter der Schirmherrschaft des ADFC Berlin, ideell, juristisch und organisatorisch. Für 2024 ist eine Übergabe des Projektes an den neugegründeten fLotte e.V. geplant.
Mit dem ADFC Berlin hat sich in den letzten Jahren eine breite Fahrrad-Demonstrationskultur etabliert. Da sind die Vision-Zero-Demos nach dem Tod eines:r Radfahrers:in im Straßenverkehr, bei denen ein Geisterrad zum Unfallort transportiert und es dort im Rahmen einer gemeinsamen Mahnwache mit Changing Cities e. V. aufgestellt wird. Jedes Jahr am dritten Mittwoch im Mai findet in Berlin der Ride of Silence statt. Weltweit wird an diesem Tag der im Verkehr getöteten Radfahrer:innen gedacht und gleichzeitig Maßnahmen zum Erreichen der Vision Zero – dem Ziel von null Toten und Schwerverletzten im Straßenverkehr – eingefordert werden. Da sind die vielen kleinen Demonstrationen, die an den Kidical Mass Wochenenden zweimal im Jahr stattfinden und an denen sich zwischen 1.000 und 2.000 Kinder, Jugendliche und Eltern beteiligen. Die Sternfahrt erhält nach den Corona-Jahren wieder größeren Zulauf: 2023 fuhren mehr als 50.000 Menschen mit. Und dann sind da noch die Kreisfahrt, die kleine Schwester der Sternfahrt und die Lichterfahrt zu Beginn der dunklen Jahreszeit; bei beiden sind dieses Jahr mehr als 1.000 Menschen mitgeradelt.
Darüber hinaus engagieren sich in jedem Bezirk die ADFC-Stadtteilgruppen, die vor Ort Druck machen, Demos organisieren und den Ausbau der Radinfrastruktur fordern. In den zwölf Arbeitsgruppen des ADFC Berlin findet wichtige inhaltliche und praktische Arbeit statt. Die AG Politik bewertet beispielsweise aktuelle verkehrspolitische Themen und überlegt sich, wie der Landesverband darauf reagieren kann. In der Selbsthilfewerkstatt kann man dreimal in der Woche unter Anleitung sein Fahrrad reparieren. Im Frauen*Netzwerk treffen sich Frauen, die fahrradpolitische aktiv sind oder einfach gerne Fahrrad fahren.
Das Engagement der Aktiven des ADFC Berlin ist in die Breite gewachsen, wie auch unsere Mitgliederzahlen. In diesem Jahr durften wir das 20.000 Mitglied begrüßen!
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