Tempelhofer Damm - vorher und "nachher" © Fahrradfreundliches Tempelhof-Schöneberg

"Zu viel gespart" - Interview mit Stadträtin Christiane Heiß

Christiane Heiß ist seit 2016 als Bezirksstadträtin in Tempelhof-Schöneberg unter anderem für die Verkehrsplanung, Falschparkerkontrollen und Straßenbau verantwortlich. Von Philipp Poll.

Die diplomierte Landschaftsplanerin war zuvor im Umweltbundesamt und im Bundesumweltministerium tätig. Auf dem Weg zu ihrem Büro im Rathaus Tempelhof erhält man einen Eindruck, wie es im Bezirk steht. Nicht nur Radverkehrsanlagen sind marode und lückenhaft. Das Gebäude am Tempelhofer Damm ist der steingewordene Instandhaltungsstau – verschlissene Böden, Flickwerk überall. Das Interview führte Philipp Poll.

Frau Heiß, fahren Sie Fahrrad?

Ja – also ich fahre gern und täglich Fahrrad.

Und macht es Spaß, in Ihrem Bezirk radzufahren?

Unterschiedlich. Wenn’s irgendwie geht, radle ich natürlich mehr über Nebenrouten als über den T-Damm, wo mein Büro ist.

Auf dem T-Damm lässt sich ja leider auch nicht gut radfahren. Und leider gilt das gleichermaßen für die parallel verlaufende Boelckestraße, die auch immer noch ohne Radverkehrsanlagen ist.

Ja, die Planung ist fertig, wie auch für die Schöneberger Straße, die für mich die kürzeste Verbindung zwischen den beiden Rathäusern ist! Im Moment hängt die Umsetzung daran, dass die Wasserbetriebe erst Leitungen verlegen wollen, dann sind wir dran.

Ihr Bezirk Tempelhof-Schöneberg hat den Ruf, dass hier besonders wenig für Radfahrende getan wird. Was tun Sie, um den Radverkehr zu fördern?

Also nach den Daten, die ich habe, stimmt das nicht. Von derzeit rund 300 Radverkehrsprojekten, die die Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz (SenUVK) in Berlin fördert, sind bei uns 21 mit rd. 4,7 Mio. € unter bezirklicher Leitung. Hinzu kommen ca. 2,5 Mio. € aus anderen Fördertöpfen für weitere sieben Radprojekte, z. B. die Bahnhofsstraße in Lichtenrade. Unter Federführung von SenUVK erfolgen weitere neun Radverkehrsprojekte im Bezirk. 28 und 9 parallele Projekte trotz zwei offener Radingenieurstellen scheinen mir besser als der Ruf und sind eine steile Zunahme im Vergleich zu 2016. Was fehlt, ist ein Gesamtüberblick. Den baut die InfraVelo gerade auf. Tatsächlich könnte die Umsetzung schneller gehen, das wünsche ich mir auch. Aber dazu müssen wir die Verfahren und auch das allgemeine Zuständigkeitsgesetz (AZG) ändern.

Die Prüfprozesse innerhalb der Verwaltung sind derzeit ungeeignet, schnelle Ergebnisse zu erzielen. Sie folgen noch der alten Logik, möglichst wenig Geld auszugeben. 

Leider haben wir aber auch ganz neuartige Probleme. Nehmen wir als Beispiel die Sanierung des bestehenden Radweges am nördlichen Tempelhofer Damm: Vor einem Jahr haben wir der Tiefbaufirma den Auftrag erteilt und wie wir sehen, haben die bis heute noch nicht einmal angefangen.

In dieser Argumentation klingen Sie jetzt ein bisschen wie Ihre Vorgänger. Woher wissen wir jetzt, dass Sie es ernst meinen?

Das können Sie nicht wissen, da bitte ich um Vertrauen. Bei mir ist die Verkehrswende Chefinnensache. Ich setze mich für einzelne Pilotprojekte auch persönlich ein, dazu gehört u. a. das T-Damm-Projekt.

Zusätzlich engagiere ich mich mit SenUVK bei der Prozessoptimierung von Radverkehrsprojekten und habe hierbei auch die Leitung eines Teilprojektes übernommen. Gemeinsam mit vier anderen Bezirken und der Koordinierungsstelle Radverkehr wollen wir die Zusammenarbeit der zuständigen Fachämter verbessern und beschleunigen. Denn Berlin hat – da sind wir uns völlig einig – viel zu viele verwaltungsinterne Abstimmungsschritte, bis tatsächlich eine Baumaßnahme möglich wird.

Was ich aber nicht mache – das machen andere kämpferischer – sind Verkehrsversuche, die mit relativer Sicherheit in Gerichtsprozessen enden. Wenn zu derselben Frage an anderer Stelle schon ein Rechtsstreit geführt wird, warte ich erstmal das Ergebnis ab. Doppelarbeit können wir uns nicht leisten, wenn überall Personal fehlt. Daher ist mir gute Vorbereitung von Anordnungen wichtig. Bei Grundsatzfragen führen wir auch Musterprozesse.

Uns scheint, die Mitarbeiter haben immer Sorge, verklagt zu werden.

Verwaltung muss rechtssicher arbeiten. Alles andere wäre Willkür. Und ein 13 Jahre währendes Gerichtsverfahren wie bei der Prinzregentenstraße, das prägt – insbesondere, wenn man sowieso immer zu viel auf dem Schreibtisch hat. Auch wenn das Ergebnis am Ende positiv für den Radverkehr war.

Gut, das war ein Präzedenzfall.

Ja. Und an dem orientieren wir uns jetzt. Noch hilfreicher ist, wenn SenUVK zur Umsetzung des Mobilitätsgesetzes (MobG) auch die angepassten Ausführungsvorschriften veröffentlicht und damit vorausschauend Rechtssicherheit auf Bezirksebene herstellt. Da wünsche ich mir mehr Unterstützung und mehr Standards, obwohl ich weiß, dass auch dort engagiert gearbeitet wird.

Unser Eindruck ist, dass es in der hiesigen Verwaltung ein ausgeprägtes Bedenkenträgertum gibt. Kleine Probleme werden so zu unüberwindbaren Hindernissen.

Also, es gibt in der Verwaltung sehr viele Details, die es zu beachten gilt. Verwaltung als Treiber von Innovationen ist kein Selbstläufer. Es gibt natürlich auch eine gewisse Risikoscheu. Das Mobilitätsgesetz ist tatsächlich neu und fordernd. Dass die Landesregierung ein bestimmtes gesamtstädtisches Ziel vor Augen hat und für die Umsetzung Zielvorgaben macht, das ist noch nicht verinnerlicht in der Verwaltungskultur. Sehen Sie, vorher ging es in allererster Linie darum, möglichst wenig Geld auszugeben. Es galt an keiner Stelle der Erfolg oder gar Risikofreude bei Innovationen. Insofern lag der Neubau ziemlich brach und die Infrastruktur hat riesige Unterhaltungsdefizite. Die Arbeit der Verwaltung war darauf beschränkt, Verkehrssicherheit umzusetzen und Gefahren abzuwehren. Es braucht also auch einen Kulturwandel in der Verwaltung, da sind wir uns völlig einig.

Nur rund die Hälfte der Einbahnstraßen in Tempelhof und Schöneberg sind für den Radverkehr geöffnet. Die Verkehrsbehörden anderer Bezirke sind da deutlich progressiver. Das Mobilitätsgesetz fordert nun weitere Öffnungen ein. Woran hängt es in Ihrer Behörde?

Zunächst arbeiten alle Behörden mit denselben Rechtsgrundlagen. Insofern halte ich diese These für fragwürdig.

Inzwischen sind bei uns alle Einbahnstraßen geöffnet, die leicht zu öffnen waren. Die übrigen sind ziemlich schmal und mit parkenden Autos zugestellt (z. B. die Gustav-Müller-Straße oder Vorbergstraße). Ich musste also abwägen, ob ich die verbliebene halbe Personalstelle der Verkehrsbehörde mit den schwierigen Einbahnstraßen komplett auslaste oder ob wir uns zunächst auf die Parkraumbewirtschaftung (PRB) konzentrieren, die im Ordnungsamt gesteuert wird. Ich habe dann zugunsten der letzteren entschieden, denn wenn die PRB umgesetzt ist, können wir sehr viel zügiger mit den übrigen Einbahnstraßen vorankommen. Für mich ist die Parkraumbewirtschaftung der zentrale Hebel, um die Neuverteilung von Flächen voranzubringen.

Eine flächendeckende Parkraumbewirtschaftung ist auch eine langjährige ADFC-Forderung, um PKW-Verkehr und Falschparker zu reduzieren. Wie weit sind Sie damit in Tempelhof-Schöneberg?

Wir sind gut dabei. Anfang April haben wir die neue Zone 55 (Nollendorfkiez/Bülowbogen) in Betrieb genommen. Insgesamt planen wir die Ausdehnung der Parkraumbewirtschaftung auf alle Quartiere im S-Bahn-Ring, Friedenau sowie Tempelhof nördlich des Teltowkanals. Wir hatten dankenswerterweise Unterstützung von SenUVK im Bereich Luftgüte, denn die PRB ist ein wesentlicher Teil des Luftreinhalteplans. Das schließt auch den T-Damm mit ein, wo wir schon wegen des Verkehrsversuches mit den Untersuchungen weit vorangeschritten sind. Im Sommer erwarte ich die Ergebnisse der Verkehrszählung und die wirtschaftliche Analyse. Die brauchen wir für die Machbarkeitsstudie, denn ohne die könnten wir eine PRB nicht rechtssicher anordnen. Bei dem Kfz-Aufkommen in diesen Bereichen ist das aber nur eine Formalie.

Wann werden Sie alle Zonen eingerichtet haben?

Wir wollen Ende 2021 mit Tempelhof und den Bereichen innerhalb des S-Bahn-Rings fertig sein, aber vom Parkdruck her ist Friedenau mindestens genauso wichtig. Wir versuchen, das parallel hinzubekommen. Damit wir diese zusätzlichen Aufgaben bewältigen können, habe ich im Zuge der Haushaltsverhandlungen fünf Stellen beantragt – eine Koordinierungsstelle im Ordnungsamt für die Ausschreibungen, zwei im Bürgeramt für die Anwohnervignetten und zwei in der Straßenverkehrsbehörde für die Anordnung der Zonen und die Betriebsvignetten. Wenn wir diese Stellen jetzt ausschreiben und hoffentlich auch mit Personen besetzen können, dann schaffen wir das bis Ende 2021 auch.

Viele Radfahrer haben das Gefühl, dass das Ihnen unterstehende Ordnungsamt Falschparkern, die Radverkehrsanlagen blockieren, keine Knöllchen schreibt. Sind Radfahrer für Sie keine gleichberechtigten Verkehrsteilnehmer?

Also dieses Gefühl teile ich überhaupt nicht, ebenso wenig die ungleiche Behandlung. Ich weiß, dass es hier ein paar sehr engagierte Bürger gibt, die gerne möchten, dass grundsätzlich immer abgeschleppt wird. Da gibt es unterschiedliche Einschätzungen, das stimmt. Auf der anderen Seite hat der Bezirk 400 km Straße und das Ordnungsamt mit 24 Außendienstlern in zwei Schichten auch im Berliner Vergleich wenig Personal. Neukölln hat z. B. 60! Das heißt, wir haben da noch erheblichen Nachholbedarf. Ich versuche, kurzfristige Verbesserungen durch kontinuierlichen Personalaufbau zu erreichen. Gleichzeitig rechne ich mit einer erheblichen Verbesserung der Parkdisziplin durch die mit der PRB einhergehenden Parkraumüberwachung.

Wahr ist aber auch, dass wir seit Oktober einen klaren Kontrollschwerpunkt auf die Freihaltung der Busspuren der Potsdamer Straße – Hauptstraße legen. Dieser Fokus ist begründet durch den Tempo 30 Versuch zur Luftreinhaltung. Hier gab es in 2019 bisher 764 Anzeigen und 156 Umsetzungen.

Heißt das, dass eigentlich nicht genug Personal da ist, um Falschparker in der Breite zu kontrollieren und dass die Radfahrstreifen noch kürzer kommen?

Ja und Nein. Es gibt immer wieder Schwerpunktaktionen an Radstreifen gemeinsam mit der Polizei, wie zuletzt Anfang Juni. In der Fläche setze ich auf mehr Disziplin durch Parkraumbewirtschaftung und freie Busspuren kommen auch dem Radverkehr zugute.

Wenn die Personaldecke so dünn ist, warum schreiben Sie nicht weitere Stellen aus?

Das tun wir ja. Ich habe acht neue Stellen für den Außendienst des Ordnungsamts für 2020/21 angemeldet.

Acht? Da sind sie aber von der Neuköllner Personalstärke noch weit entfernt.

Das stimmt, aber das ist immerhin ein Plus von 30 Prozent. Mehr ist im Moment kaum möglich, denn wie eben geschildert, fehlt Personal auch woanders. Das Bezirksamt verjüngt sich gerade fühlbar. In einer großen Organisation wie der öffentlichen Verwaltung lässt sich das Personal nicht ohne weiteres verdoppeln – wenn der Markt dieses überhaupt ermöglichen würde. Der aktuelle Engpass sind Räume, aber auch die Ausbildung von Quereinsteigern. Ich hoffe schon, dass der Aufwuchs sich auch nach 2021 fortsetzt, aber man muss auch sehen, dass die Finanzierung dieser acht angemeldeten Stellen über das Programm »wachsende Stadt« von der Senatsfinanzverwaltung nicht vollständig abgedeckt ist, also der Bezirk aus seinem eigenen Etat investieren muss.

Aber die Personalstellen der Ordnungsämter finanzieren sich doch durch die Knöllchen praktisch selbst.

Die refinanzieren sich über die Kosten- und Leistungsrechnung mit einer Verzögerung von etwa zwei Jahren! Um Personal über die Planstellen zur wachsenden Stadt hinaus einzustellen, brauche ich grünes Licht von der Bezirksamtsleitung – das heißt von der Bürgermeisterin.

Und da gibt es Hindernisse?

Zum Glück unterstützt sie meine Vorschläge. Aber der Haushalt wird von der BVV beschlossen, die ihrerseits auch immer viele Wünsche hat.

An dieser Stelle würde ich hier gerne noch etwas hervorheben: In dieser Wahlperiode findet zum ersten Mal in relevanten Größenordnungen überhaupt wieder ein Stellenaufwuchs statt! Wir sind dabei, das Ruder in den Bezirken von Schrumpfen auf Wachstum zu drehen und man muss auch sehen: das Bezirksamt als Organisation muss sich dazu an vielen Stellen ebenfalls neu ausrichten.  

Ist es auch der Personalknappheit zuzuschreiben, dass die Handjerystraße als Fahrradstraße nicht vorankommt?Oder ist es nicht doch der politische Wille, der fehlt?

Ja, die Handjerystraße ist wieder so ein Fall. Die Fahrradstraße ist jetzt zu 95 Prozent fertig. Was noch umzusetzen bleibt, ist die Anordnung und da ist es tatsächlich so, dass in meiner Straßenverkehrsbehörde zeitweise nur noch ein Drittel der Leute da ist – und die sind in ihrem Tagesgeschäft komplett untergegangen.

Wo sind die anderen zwei Drittel?

Krank, im Ruhestand, unbesetzte Stellen. Sowohl Burn-out wie auch langfristige Überlastungserkrankungen zeigen, dass hier hoch engagierte Menschen zu lange zu viel gearbeitet haben: Rücken, Herz, Hörsturz  – diese Geschichten.

Wie viele Mitarbeiter hat denn die Verkehrsbehörde?

Insgesamt sind es 17. Für die Daueranordnungen haben wir drei Teilzeitkräfte, von denen eine langfristig erkrankt ist und eine weitere zwei zusätzliche Aufgaben sowie die Vertretung der Fachbereichsleitung abdeckt.

Ich habe deswegen veranlasst, dass wir Fahrradstraßen nicht mehr selber prüfen, sondern komplett nach draußen vergeben. Als nächstes soll der zur Radialroute 1 gehörende Abschnitt Freiherr v. Stein-/Belziger- / Monumentenstraße untersucht werden.

Drei Teilzeitstellen in einer Anordnungsbehörde für einen Bezirk mit 340.000 Einwohnern – steht das wohl im richtigen Verhältnis?

Nein, sicher nicht! Auch wenn diese drei Stellen nur für den Bereich Daueranordnungen gelten. Und bedenken Sie, dass Verkehrsprojekte auch Zuarbeit der unteren Verkehrsbehörde benötigen.

Das hört sich furchtbar an!

Ja. Insofern ist die Frage nach „Motivation“ beim Radwegebau für mich nicht der kritische Punkt. Es geht darum, die Verwaltung wieder zu guter Arbeit zu befähigen. Im Fachbereich Straße sind von 25 Stellen 10 unbesetzt. Das sind fast 40 %. Jetzt stellen Sie sich einfach mal Ihre eigene Arbeitsumgebung vor, wo plötzlich fast jede*r Zweite langfristig fehlt.

Für temporäre Personalengpässe gibt es doch Dienstleister, die übergangsweise Personal bereitstellen.

Für diese spezialisierten Behördenaufgaben eher nicht. Da müssen wir intern umorganisieren und strikte Prioritäten setzen. Also, was ich jetzt gerade vorbereite, ist Folgendes: Es gibt eine rasante Zunahme der politischen Anfragen, Beschwerden, Informationswünsche von Bürgern etc., die von den Ingenieuren im Moment mitbearbeitet werden. Dieses Paket will ich neu über ein Frontoffice/Backoffice organisieren, damit diese wichtigen, aber fürs Kerngeschäft doch eher belastenden Tätigkeiten nicht mehr von den Ingenieuren gemacht werden müssen.

Das ist sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung, aber es wird ja trotzdem mehr Personal benötigt.

Auf jeden Fall. Tempelhof-Schöneberg hat in den vergangenen Wahlperioden besonders gründlich gespart. Das rächt sich jetzt. Aber mehr Personal allein reicht eben nicht. Berlin hat nicht umsonst den Zukunftspakt Verwaltung beschlossen. Es geht um Personal, aber auch um weniger Doppelarbeit und insgesamt 26 Innovationen, die gesamtstädtisch umzusetzen sind.

Das klingt so, als wenn Sie als Arbeitgeber deutlich an Attraktivität gewinnen müssen.

Das stimmt und da haben wir in meinem Bereich in letzter Zeit schon einiges geschafft. Es gibt nun eine klare Vereinbarung, wie wir Menschen einarbeiten, wie wir sie unterstützen in ihrer Karriereplanung, bei Fortbildungsbedarf und wie wir insgesamt nicht nur mit Kuchen versuchen eine Wohlfühlkultur zu schaffen, sondern auch sehr viel klarer auf individuelle Betreuung und Entwicklung eingehen.

Um am Ende robust und leistungsfähig zu sein, braucht diese Verwaltung Veränderungen an ganz vielen Stellen. Und das ist die politische Steuerungsaufgabe einer Stadträtin oder eines Stadtrates, diese Stellschrauben im Blick zu behalten und in die richtige Richtung zu drehen. Hier geht es nicht um kurzfristige Erfolge, sondern um einen längeren Reformprozess mit dem Ziel, die Verwaltung selbst zum Treiber von Innovationen zu machen.

Und das wollen Sie?

Ich schätze Verwaltung und ihre Stärken sehr und nur die Verwaltung kann die Verkehrswende umsetzen oder die Anpassung der Stadt an den Klimawandel. Dazu muss sie aber gestalten können, statt nur den Status Quo zu verwalten. Deshalb engagiere ich mich in der Führungskräfteentwicklung. Zum Beispiel arbeiten unsere Führungskräfte viel zu viel im „Feuerwehrmodus in der Krisenbewältigung“ und führen viel zu wenig vorausschauend. Das liegt am Personalmangel, aber das bedeutet auch eine Kulturrevolution! Weniger kontrollieren, mehr delegieren, mehr Aufgabenmanagement, weniger persönliche Betreuung.

Ich kann nicht mit den alten Werkzeugen und den alten Verfahren immer nur den Druck auf die Mitarbeitenden erhöhen, um die Verkehrswende umzusetzen. Das hat keinen Sinn und keine Zukunft.

Wir sind der Meinung, dass es helfen wird, wenn die Ordnungsamtsmitarbeiter selbst auf dem Fahrrad unterwegs sind, um die Notwendigkeit von Falschparker-Kontrolle zu erkennen. Das Mobilitätsgesetz sieht Dienstfahrräder für OA-Mitarbeiter explizit vor. Wo steht Ihre Behörde bei diesem Thema?

Ich teile Ihre Einschätzung voll und ganz. Deshalb habe ich schon Anfang 2017 einen Entwurf für eine Dienstvereinbarung unserer Beschäftigtenvertretung und unserer Bezirksamtsleitung vorgelegt. Und obwohl wir uns da an anderen Bezirken und an der Senatsverwaltung orientiert haben, ist diese Vereinbarung bis heute in der Verhandlung. Und das bedaure ich wirklich sehr.

Wie kann das sein? Haben Sie da als Stadträtin keinen Hebel?

Ich bin mehrfach mit dem Personalrat und der Bürgermeisterin im Gespräch gewesen. Die spielen Ping-Pong mit der Bürgermeisterin. Ich kann im Ergebnis nur feststellen: über zwei Jahre Bearbeitungszeit für eine aus meiner Sicht gute Grundlage ist zu lang!

Wollen die Mitarbeiter nicht radfahren, oder wo ist das Problem?

Nein, das ist es nicht. Es gibt durchaus Interesse bei den Mitarbeitenden und das ist der Personalvertretung auch bekannt. Wenn man fragt, bekommt man zu hören, die Vorlage sei noch nicht gut genug. Aber das ist eben die Berliner Krankheit, dass man unglaublich lange einzelne Punkte im Detail verhandelt, statt bei Innovationen diese offen zu lassen und zu sagen: Jetzt ist generell so viel geregelt, dass wir damit beginnen können und falls sich in der Praxis das eine oder andere als untauglich herausstellt, müssen wir eben nachbessern.

„Eine Ampelanlage umzubauen, bedeutet eine Verzögerung von 18 Monaten.“

Der Tempelhofer und Mariendorfer Damm ist auch für Radfahrer eine wichtige Verbindung. Trotzdem gibt es kilometerlang keine Radverkehrsanlagen. Zahlreiche Radfahrende sind hier schon getötet worden. Verbände wie der ADFC und Anwohner haben Demos auf die Beine gestellt, um auf den Missstand aufmerksam zu machen.
Warum geht es hier nicht voran?

Der T-Damm ist aktuell das wichtigste Verkehrsprojekt im Bezirk. Dass hier nichts vorangeht, weise ich wirklich zurück. Wir haben binnen eines Jahres die Bestandsanalyse erstellt. Wir haben ein Zielkonzept und erste Maßnahmen vorgeschlagen, mit den Bürgern gemeinsam Gestaltungsvarianten zu den Konfliktpunkten diskutiert und eine Vorzugsvariante entwickelt. Mit SenUVK sind wir nun dabei, die relativ schnell umsetzbaren Maßnahmen abzustimmen. Wem das nicht schnell genug geht, vergisst, dass es nicht nur BVV-Beschlüsse pro Radverkehr gibt, sondern auch solche, die sagen, die Leistungsfähigkeit der Straße muss erhalten bleiben, der Wirtschaftsverkehr muss beachtet werden, und so fort. Diese Zielkonflikte muss die Planung lösen oder zumindest minimieren.

Fakt ist auch, dass es in Berlin noch keine Blaupause für den Rückbau solcher Bundesstraßen gibt. Das Projekt T-Damm ist hinreichend wichtig und kompliziert, um berlinweit – und vielleicht darüber hinaus – Pilot für solch einen Umbau zu werden. 

Wie werden Sie jetzt vorgehen?

Wir verstehen den Umbau als einen schrittweisen Prozess, der dort beginnt, wo Maßnahmen ohne bauliche Änderung und ohne Eingriffe in die Ampelschaltungen möglich sind. Denn während die Parkspur am T-Damm problemlos für Radstreifen genutzt werden kann, sind die Kreuzungen ein Flaschenhals. Links- und Rechtsabbiegespuren müssen alle entsprechend umorganisiert werden und das erfordert einen Eingriff in die Ampelanlagen, was eine erhebliche Verzögerung bedeutet. Deswegen haben wir uns mit der den Prozess begleitenden Leitliniengruppe an den kritischen Punkten auf Provisorien geeinigt. So können wir ohne Eingriff in die Knoten schon Teilabschnitte einer geschützten Radspur umsetzen und diese aufwändigeren Abschnitte mitplanen und dann praktisch nachziehen.

Das heißt, dort wo jetzt die Parkspur ist, wird es dann einen Radfahrstreifen geben und im Kreuzungsbereich gibt’s erstmal keinen?

Es soll Stellen mit provisorischer Markierung geben – ja. Das ist ein Kompromiss, damit wir möglichst bald erste Maßnahmen für die Radfahrenden verwirklichen können. Ziel ist aber, dass es einen durchgehenden, geschützten Radfahrstreifen gibt. Ich befahre ja häufig den T-Damm und teile die Analyse, dass das nicht schön ist, auch nicht für eine erwachsene, erfahrene Fahrradfahrerin. Aber wir sollten uns nicht von prüfintensiven Punkten insgesamt blockieren lassen.

Dann wollen Sie ausgerechnet an den Kreuzungen die Radfahrer wieder in den Autoverkehr leiten?

Ich kann nur wiederholen: In dem Moment, wo wir eine Ampelanlage anfassen, kommt es zu einer Verzögerung von 18 Monaten und das wollen wir nicht. Insofern müssen wir diese Restriktion in der Umsetzungsplanung berücksichtigen. Langfristig gibt es den Wunschzustand mit nur einer Autospur pro Richtung, Lieferzonen, breiten Radfahrstreifen und begrünten Gehwegen. Aber es soll auch einen Zwischenstand geben mit vier Fahrspuren und durchgehenden geschützten Radfahrspuren inklusive der Knoten, der in zwei bis drei Jahren umsetzbar ist.

Die perspektivisch spannenden Fragen über die Radverkehrsanlagen hinaus lauten:

Wie stellen wir uns die Leistungsfähigkeit dieses Straßenraumes in zehn Jahren vor? Was wollen wir für die Attraktivität als Geschäftsstraße schaffen und wie ernst nehmen wir die Barrierefreiheit?

Aber, was ich mich immer frage, ist – jeder akzeptiert sofort, dass die Schulbauoffensive 15 Jahre dauert und bei der Verkehrsinfrastruktur soll alles innerhalb von fünf Jahren passieren. Das ist unrealistisch.

Es gibt einfach Projekte, die liegen schon 15 Jahre und die Leute sind inzwischen einfach genervt, dass noch immer nichts passiert. Deshalb das Volksbegehren, deshalb das Mobilitätsgesetz.

Also den Nerv kann ich verstehen, die Nervosität auch, aber die Erwartung muss man ein bisschen anpassen. Wie gesagt: Ich habe hier über 7 Mio. € in 28 bezirklichen Radverkehrsprojekten zu verbauen. Plus die 9 Projekte der Senatsverwaltung. In Berlin insgesamt sind es um die 300 Projekte: Voruntersuchungen, Planungen, usw. und das kommt dann beizeiten auch auf die Straße.

Frau Heiß, wir danken für das Gespräch.

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