Hans-Joachim Legeler an der Gehrenseebrücke Lichtenberg

Diese Brücke ist nur was für Mutige. Für den ADFC-Aktiven Hans-Joachim Legeler ist sie der Heimweg. © ADFC Berlin / Karl Grünberg

Lichtenberg: Kein Paradies fürs Rad!

Lichtenberg bleibt Radverkehrs-Schlusslicht. Doch die Aktiven des ADFC Berlin kämpfen weiter und können mit der neuen Verkehrsstadträtin Filiz Keküllüoğlu (Grüne) nun auf Unterstützung aus dem Rathaus setzen.

Hans-Joachim Legeler stoppt sein Fahr­­rad. Vor ihm endet plötzlich der Rad­weg und wird auf die Fahrbahn ge­führt. Legeler schaut links über seine Schul­­ter. Autos, Lkws, Transporter brau­­­­­­sen an ihm vorbei. Keine Chance auf eine Lücke. Jetzt zeigt er nach vorne auf die Gehrenseebrücke: „Schmale Fahr­­­spur, kein Radweg, die Autos über­holen einen sehr dicht, fahren dabei mit Tem­po 50 oder mehr. Es braucht echt Mut, über die Brücke zu fahren“, ruft er gegen den Verkehrslärm an.
Hans-Joachim Legeler, Sprecher der ADFC Stadtteilgruppe Lichtenberg, hat mit seinem Reiserad schon die halbe Welt durchquert, von Europa über Asien bis zu den Bergen von Kirgistan. Hier in Lich­ten­berg kämpft er seit über 20 Jah­ren dafür, dass die Radinfrastruktur end­­­lich ausgebaut wird. Sitzt im Fahr­Rat, geht in die Verkehrsausschüsse, zeigt sein Gesicht. Mit Erfolg? Legeler zuckt mit seinen Achseln. Hier mal ein 900 Meter langer neuer Radweg, da mal eine Sanierung oder eine abgesenkte Bord­steinkante, dort ein für Fahrrad­fahrer:innen freigegebener Weg durchs Grü­ne. Dieses Achselzucken heißt: der Be­zirk Lichtenberg ist kein Paradies für Fahrradfahrer:innen. Das bestätigt auch die neue Verkehrsstadträtin Filiz Kekül­lüoğlu (Grüne) im Interview mit der rad­zeit. „Das Radverkehrsnetz ist ein Stück­­werk. Die Radwege sind teilweise zu schmal, sie sind kaputt, verlaufen auf dem Bürger­steig oder als schmale Schutz­­streifen auf der Fahrbahn.“

Lichtenberg bisher unterent­wick­elt

Das hat Auswirkungen: Das Fahrrad wird als Verkehrsmittel mit 13,4 Prozent in Lichtenberg nur unter­durch­schnitt­lich benutzt, wie eine Untersuchung 2015 herausfand. Berlinweit sind es immerhin 17 Prozent, diese Zahl stammt aus dem Jahr 2018. Auch an der einzigen Fahr­radzählstelle in Lichten­berg, am Paul-und-Paula-Uferweg, sind die Fahr­rad­zah­len rückläufig: 2018 waren es insge­samt 33.985 Radfahrende, 2022 nur noch 24.137. Trotz Mobilitäts­gesetz, Rad­­­verkehrsplan und Geldern für die Bezirke, bleibt der Radverkehr in Lich­ten­berg bisher unterentwickelt.
Doch es gibt Hoffnung: „Wir vom ADFC sind endlich nicht mehr die Ein­zi­gen, die im Bezirk aktiv sind“, sagt Legeler. Es gebe immer mehr Leute und Initiativen, die sich für bessere Radwege, für Kiezblocks, Schulstraßen und Ver­kehrs­­beruhigung einsetzen. Und in man­chen innenstadtnahen Kiezen sehe man die Veränderung richtig: „In Karls­horst, im Weitlingkiez, im Kaskelkiez, da sind gefühlt nur noch Radfahrende un­ter­­wegs, mit Kindern, mit Lasten­rädern.“

Brücken-Demos und kein Blitzer

Zurück zur Gehrenseebrücke. An­wohne­nde engagieren sich hier seit mehr als zehn Jahren für Tempo 30, da die abfallende Brücke zum schnellen Fahren einlädt, wodurch es laut und ge­fähr­lich für alle anderen wird. Ohne Erfolg. Selbst ein stationärer Blitzer wird von der Polizei abgelehnt. Begründung: Es habe zu wenig geschwindigkeits­bedingte Unfälle gegeben. 2017, 2018 und 2019 organisierten der ADFC Lich­tenberg und das Netzwerk Fahrrad­freundl­iches Lichtenberg eine sogenan­nte „Brücken“-Demo. Ab 2017 machten Lichtenberger Fahrradaktive den Vor­schlag, eine parallele Fahrradbrücke zu bauen. Selbst der damalige CDU-Ver­kehrsstadtrat fand die Idee gut, stellte eine kleine Anfrage im Abgeordneten­haus. Seitdem hat man nichts mehr da­von gehört.
Viel wird angekündigt, passieren tut wenig – das scheint symptomatisch für Lichtenberg zu sein. Zwischen 2018 und 2022 hat die Bezirksverordneten­ver­samm­­lung 29 Beschlüsse gefällt. Da geht es um konkrete Fahrradstraßen, um ge­schützte Radwege und um sichere Rad­ver­­kehrsanlagen. Umgesetzt wurde nichts. Lediglich acht Vorhaben seien in Arbeit, fünf liegen auf bezirklicher Seite, drei bei der infraVelo. Von elf Vorhaben hat man nie wieder etwas gehört. Das fand Frank Neumann über eine Abfrage der BVV-Drucksachendatenbank heraus. Neumann ist sowohl im ADFC als auch beim Netzwerk Fahrradfreundliches Lich­tenberg aktiv. Selbst die zusätzliche Stelle eines Radverkehrsplaners, von der BVV beschlossen, wurde vom CDU-Stadt­rat abgelehnt. „Sich so querzu­stel­len, ist schon politisch motiviert“, sagt Neumann. Schaut man in den Fort­schritts­­bericht zum Ausbau der Rad­infra­­struktur für das Jahr 2022, schaff­te Lich­ten­berg gerade einmal 1,7 Kilo­me­ter Rad­weg und ist damit der dritt­letzte Bezirk in Berlin.

 

Für jeden Radweg kämpfen

Jetzt entsteht eine Lücke im Kfz-Strom. Hans-Joachim Legeler tritt in die Pedale, fährt auf die Fahrbahn, nähert sich der Brücke, schon braust ein Lkw heran, gefährlich nah, zieht kurz vor knapp nach links, überholt Legerer mit schmalen 30 Zentimetern Abstand. Ein Kfz nach dem anderen überholt zu schnell und zu nah. Nach ein bis zwei Minuten erreicht Legeler das Brücken­ende. „Jedes Mal eine Erfahr­ung, auf die ich verzichten könnte.“
Doch wie geht es in Lichtenberg weiter? „All die liegen gebliebenen Pro­jekte, all die Kilometer, die laut Rad­ver­kehrs­plan in den nächsten Jahren gebaut werden müssen, liegen nun bei der neuen Verkehrsstadträtin Filiz Kekül­lüoğ­lu“, sagt Frank Neuman. Diese wiederum sagt im radzeit-Interview, dass sie um jeden Me­ter Radweg käm­pfen möch­­te. Als ers­tes will sie die Rad­­we­ge an­geh­en, die in der Pla­nung weit fort­ge­­schritten sind. Dazu zählen un­ter anderem die viel­be­fah­rene Sieg­­­fried­­stra­ße, anvi­sier­ter Rad­wege-Bau­be­ginn ist schon im Ok­tober 2023. Gleich­­­­­zeitig sagt Kekül­lüo­ğl­u, dass die im Rad­ver­kehrsplan für Lich­ten­­berg fest­ge­legten 149,7 Kilo­meter insgesamt bis 2030 nicht zu schaf­fen sind. Dazu fehle es ihr an Personal, an Mitteln, auch lä­gen größtenteils noch gar keine Pla­nun­gen vor. Sie will ihr Bes­tes geben. Doch wird das reichen, um Lichtenberg endlich attraktiver und sicherer für Rad­fahrende zu machen?  Tat­sächlich er­­war­ten die Radaktiven, dass es jetzt einen Sprung nach vorne gibt. Nach so vielen Jahren Fahrrad-Still­stand in Lichtenberg müssen jetzt mit aller Kraft Kilometer gemacht wer­den. Damit Lichtenberg endlich vom Schluss­­licht vielleicht sogar zum Vorbild wird?

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Häufige Fragen von Alltagsfahrer*innen

  • Was macht der ADFC?

    Der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club e.V. (ADFC) ist mit bundesweit mehr als 200.000 Mitgliedern, die größte Interessenvertretung der Radfahrerinnen und Radfahrer in Deutschland und weltweit. Politisch engagiert sich der ADFC auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene für die konsequente Förderung des Radverkehrs. Er berät in allen Fragen rund ums Fahrrad: Recht, Technik, Tourismus.

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  • Was bringt mir eine ADFC-Mitgliedschaft?

    Radfahren muss sicherer und komfortabler werden. Wir nehmen dafür – auch Dank Ihrer Mitgliedschaft – nicht nur Einfluß auf Bundestagsabgeordnete, sondern setzen uns auf Landes- und Kommunalebene für die Interessen von Radfahrern ein. Für Sie hat die ADFC Mitgliedskarte aber nicht nur den Vorteil, dass wir uns für einen sicheren und komfortablen Radverkehr einsetzen: Sie können egal, wo Sie mit Ihrem Fahrrad unterwegs sind, deutschlandweit auf die ADFC-Pannenhilfe zählen. Außerdem erhalten Sie mit unserem zweimonatlich erscheinenden ADFC-Magazin Information rund um alles, was Sie als Radfahrer politisch, technisch und im Alltag bewegt. Zählen können ADFC-Mitglieder außerdem auf besonders vorteilhafte Sonderkonditionen, die wir mit Mietrad- und Carsharing-Anbietern sowie Versicherern und Ökostrom-Anbietern ausgehandelt haben. Sie sind noch kein Mitglied?

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  • Was muss ich beachten, um mein Fahrrad verkehrssicher zu machen?

    Wie ein Fahrrad verkehrstauglich auszustatten ist, legt die Straßenverkehrszulassungsordnung (StVZO) fest. Vorgesehen sind darin zwei voneinander unabhängige Bremsen, die einen sicheren Halt ermöglichen. Für Aufmerksamkeit sorgen Radler*innen mit einer helltönenden Klingel, während zwei rutschfeste und festverschraubte Pedale nicht nur für den richtigen Antrieb sorgen. Je zwei nach vorn und hinten wirkende, gelbe Rückstrahler an den Pedalen stellen nämlich darüber hinaus sicher, dass Sie auch bei eintretender Dämmerung gut gesehen werden können. Ein rotes Rücklicht erhöht zusätzlich die Sichtbarkeit nach hinten und ein weißer Frontscheinwerfer trägt dazu bei, dass Radfahrende die vor sich liegende Strecke gut erkennen. Reflektoren oder wahlweise Reflektorstreifen an den Speichen sind ebenfalls vorgeschrieben. Hinzu kommen ein weißer Reflektor vorne und ein roter Großrückstrahler hinten, die laut StVZO zwingend vorgeschrieben sind.

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