Im Interview mit Filiz Keküllüoglu, Bezirksstadträtin für Verkehr in Lichtenberg

Im Interview: Die neue Bezirksstadträtin für Verkehr Filiz Keküllüoğlu über die ausgebremste Verkehrswende in Lichtenberg und warum sie dennoch kämpfen möchte. Das radzeit-Interview führte Karl Grünberg.

Karl Grünberg, radzeit: Sie sind die einzige grüne Stadträtin in Lichtenberg. Was sind Ihre Prioritäten im Verkehrs­bereich?
Filiz Keküllüoğlu: Ich kämpfe für ein lebenswertes und ge­rech­tes Lichtenberg. Ich will den Fußverkehr sicherer mach­en, den Radverkehr voranbringen und dabei unterstützen, den ÖPNV zu stärken. Ich fokussiere die umweltbewusste und klima­­­­­scho­n­ende Fortbewegung im Bezirk, weil ich einen Wan­del für eine zeitgemäße Stadt will.

Wie würden Sie Ihren Bezirk mit Blick auf den Verkehr beschreiben?
Wir sind Innenstadt- und Außenbezirk zugleich. Unser Stadt­bild ist vielfältig, also geprägt von einem quirligen urbanen Life­style bis zu durch Natur geprägten dörflichen Strukturen. Das Straßenbild dominiert vielerorts der KfZ-Verkehr. Dabei hat in Lichtenberg weniger als die Hälfte der Haushalte ein Auto, im Ganzen sind das 80.000 Pkw. Gleich­zeitig ist Lich­ten­berg der Bezirk, in dem der Autobesitz in Berlin am schnellsten abnimmt. Unser Bezirk zieht einerseits verkehrswendeaffine Menschen an. Gleichzeitigt hängt der Besitz eines Autos von der Größe des Portemonnaies ab.

Wie sieht es mit dem ÖPNV aus?
Der Bezirk zieht sich bis an die Stadtgrenze. Tram und Busse sind keine schnelle Möglichkeit, in die Stadt zu kommen. Es bleibt also die S-Bahn, die bei den Bürger:innen aber als unzu­ver­lässig gilt und eine zu geringe Taktung hat. Ich möchte mich für eine höhere Taktung der S-Bahn und flexible Rufbusse ein­setz­­en, damit der ÖPNV eine attraktive Alter­native zum Auto wird.

Und das Fahrrad?
Es fehlt ein Radverkehrsnetz, das die Menschen über längere Distanzen nutzen können. Bisher ist es ein Stückwerk. Dann sind unsere vorhandenen Radwege im Vergleich zu denen in anderen Bezirken sanierungsbedürftig und erfüllen bei weitem nicht die Vorgaben des Mobilitätsgesetzes. Mit an­deren Worten: Sie sind zu schmal, sie sind kaputt und verlaufen teilweise auf dem Bürgersteig. An anderer Stelle haben wir schma­le Schutzstreifen an den Straßenrändern oder ganze Kieze, die mit Kopfsteinen gepflastert sind.
Was können und wollen Sie in den nächsten 3,5 Jahren für den Fahrradverkehr in Ihrem Bezirk tun?
Ich werde alles daransetzen, dass wir die Radwege bauen kön­nen, die teilweise über Jahre hinweg geplant wurden, in die viel Zeit und Ressourcen geflossen sind, die bereits finanziert sind.

Sie haben die E-Mail aus der Senatsverwaltung während einer Bezirksverordnetenversammlung öffentlich gemacht. Darin stand, dass alle Radwege überprüft werden sollen, wenn auch nur ein Parkplatz oder ein Fahrstreifen für den Kfz-Verkehr wegfällt. Welche Straßen hat der Radwegestopp in Lichtenberg betroffen?
Die Fahrradwege in der Scheffelstraße und in der Sieg­fried­straße waren für diese Prüfung gestoppt und die Finanzmittel eingefroren worden. Auch wenn ich verstehen kann, dass sich die ebenfalls neue Verkehrssenatorin zunächst einen Überblick verschaffen möchte, habe ich mich durch sie kaltgestellt ge­fühlt. Nach den vielen berlinweiten Protesten ist erst die Scheffel­straße und dann die Siegfriedstraße freigegeben wor­den. Alles andere hätte auch keinen Sinn ergeben, denn die Sieg­friedstraße ist wirklich gefährlich: Die Radfahrenden müs­sen hier eingequetscht zwischen Straßenbahn, Straße­n­bahn­schienen, Autos und parkenden Autos fahren. 2020 wurde hier ein Radfahrer im Straßenverkehr getötet.

Wie wird es mit der Siegfriedstraße weitergehen?
Baubeginn wird nun hoffentlich im Oktober 2023, Fertig­stel­lung im Frühling 2024 sein. Die Taskforce der Sen MVKU hat die Finanzierungsfreigabe für die Radwege in der Siegfried­straße allerdings an neue Auflagen geknüpft, die wir teilweise nicht nachvollziehen können. Nun sind wir dabei, die offenen Fragen zu klären. Also hängt es von weiteren externen Faktoren ab, ob wir den Zeitplan so halten können oder nicht.

Laut Mobilitätsgesetz und Radverkehrsplan müssen 865 Kilo­me­ter Radwege im Vorrangnetz bis 2027 in Berlin gebaut wer­den. In Lichtenberg sind das 51,9 Kilometer, bisher wurden davon 2,5  gebaut. Welche Chance sehen Sie, dass die restlichen Kilometer in den nächsten Jahren angegangen werden?
Ich werde um jeden Meter Radweg kämpfen. Aber fast 50 Kilo­me­ter Radweg halte ich auch unter den aktuellen Voraus­setz­ungen für nicht realistisch. Dafür ist zu wenig vor­bereitet wor­den, die Gelder stehen nicht bereit, das Personal fehlt. Das Pro­blem ist ja, dass ich nur sehr bescheidene Mittel im Haushalt zur Verfügung habe und für vieles, was ich hier an Radinfra­struk­tur bauen möchte, den Senat und die Landes­mittel brau­che. Wenn die blockiert oder gekürzt werden, kann ich kaum etwas machen.

Was können Sie konkret tun?
Ich werde Fahrradbügel bauen, Gehwegvorstreckungen anlegen und die Radverkehrsanlagen angehen, die jetzt realisierbar sind.  
Wie viele Radwege werden denn gerade in Lichtenberg geplant?
Unsere gemeinsame Liste mit infraVelo und der Senatsver­wal­tung hat gut 70 Einträge. Vieles davon ist aber noch im früh­esten Stadium. Bei über einem Dutzend sind wir weiter: Neben der Siegfriedstraße und der Scheffelstraße wird der Rad­­weg an der Zingster Straße mit einer Länge von 230 Metern gerade ge­baut. Für die Fahrradstraße Hönower Weg mit einer Länge von 933 Metern erstellen wir gerade eine Aus­schreibung.

Wie sind Sie selber unterwegs?
Ich fahre gerne mit dem Fahrrad, weil ich damit relativ schnell und autark meine Termine erledigen kann. Bei längeren Streck­en nehme ich manchmal den ÖPNV und kurze Strecken lege ich gern zu Fuß zurück.

Vielen Dank für das Gespräch!

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https://berlin.adfc.de/artikel/im-interview-mit-filiz-kekuellueoglu

Häufige Fragen von Alltagsfahrer*innen

  • Was macht der ADFC?

    Der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club e.V. (ADFC) ist mit bundesweit mehr als 200.000 Mitgliedern, die größte Interessenvertretung der Radfahrerinnen und Radfahrer in Deutschland und weltweit. Politisch engagiert sich der ADFC auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene für die konsequente Förderung des Radverkehrs. Er berät in allen Fragen rund ums Fahrrad: Recht, Technik, Tourismus.

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  • Was bringt mir eine ADFC-Mitgliedschaft?

    Radfahren muss sicherer und komfortabler werden. Wir nehmen dafür – auch Dank Ihrer Mitgliedschaft – nicht nur Einfluß auf Bundestagsabgeordnete, sondern setzen uns auf Landes- und Kommunalebene für die Interessen von Radfahrern ein. Für Sie hat die ADFC Mitgliedskarte aber nicht nur den Vorteil, dass wir uns für einen sicheren und komfortablen Radverkehr einsetzen: Sie können egal, wo Sie mit Ihrem Fahrrad unterwegs sind, deutschlandweit auf die ADFC-Pannenhilfe zählen. Außerdem erhalten Sie mit unserem zweimonatlich erscheinenden ADFC-Magazin Information rund um alles, was Sie als Radfahrer politisch, technisch und im Alltag bewegt. Zählen können ADFC-Mitglieder außerdem auf besonders vorteilhafte Sonderkonditionen, die wir mit Mietrad- und Carsharing-Anbietern sowie Versicherern und Ökostrom-Anbietern ausgehandelt haben. Sie sind noch kein Mitglied?

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  • Was muss ich beachten, um mein Fahrrad verkehrssicher zu machen?

    Wie ein Fahrrad verkehrstauglich auszustatten ist, legt die Straßenverkehrszulassungsordnung (StVZO) fest. Vorgesehen sind darin zwei voneinander unabhängige Bremsen, die einen sicheren Halt ermöglichen. Für Aufmerksamkeit sorgen Radler*innen mit einer helltönenden Klingel, während zwei rutschfeste und festverschraubte Pedale nicht nur für den richtigen Antrieb sorgen. Je zwei nach vorn und hinten wirkende, gelbe Rückstrahler an den Pedalen stellen nämlich darüber hinaus sicher, dass Sie auch bei eintretender Dämmerung gut gesehen werden können. Ein rotes Rücklicht erhöht zusätzlich die Sichtbarkeit nach hinten und ein weißer Frontscheinwerfer trägt dazu bei, dass Radfahrende die vor sich liegende Strecke gut erkennen. Reflektoren oder wahlweise Reflektorstreifen an den Speichen sind ebenfalls vorgeschrieben. Hinzu kommen ein weißer Reflektor vorne und ein roter Großrückstrahler hinten, die laut StVZO zwingend vorgeschrieben sind.

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  • Worauf sollte ich als Radfahrer*in achten?

    Menschen, die Rad fahren oder zu Fuß gehen, gehören zu den ungeschützten Verkehrsteilnehmern. Sie haben keine Knautschzone – deshalb ist es umso wichtiger, sich umsichtig im Straßenverkehr zu verhalten. Dazu gehört es, selbstbewusst als Radfahrender im Straßenverkehr aufzutreten, aber gleichzeitig defensiv zu agieren, stets vorausschauend zu fahren und mit Fehlern von anderen Verkehrsteilnehmern zu rechnen.Passen Sie Ihre Fahrweise der entsprechenden Situation an und verhalten Sie sich vorhersehbar, in dem Sie beispielsweise Ihr Abbiegen durch Handzeichen ankündigen. Halten Sie Abstand von Lkw, Lieferwagen und Kommunalfahrzeugen. Aus bestimmten Winkeln können Fahrer nicht erkennen, ob sich seitlich neben dem Lkw Radfahrende befinden. Das kann bei Abbiegemanövern zu schrecklichen Unfällen führen. Beachten Sie immer die für alle Verkehrsteilnehmer gültigen Regeln – und seien Sie nicht als Geisterfahrer auf Straßen und Radwegen unterwegs.

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