Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Landesverband Berlin e. V.

„Es fällt mir schwer, richtig stolz zu sein.“ - Rainer Hölmer im Interview

Im ADFC-Interview blickt Bezirksstadtrat Rainer Hölmer selbstkritisch auf die Entwicklungen der Fahrradinfrastruktur in Treptow-Köpenick.

Im ADFC-Interview blickt Bezirksstadtrat Rainer Hölmer selbstkritisch auf die Entwicklungen der Fahrradinfrastruktur in Treptow-Köpenick und spricht offen über Personalmangel, die Zusammenarbeit einer zweistufigen Verwaltung und komplexe Straßenzüge im Bezirk. Das Interview führt Lisa Feitsch.

Herr Hölmer, fahren Sie selbst Fahrrad?

Ja, absolut. Gerne, viel und häufig – und ich bin auch heute hier mit dem Fahrrad im Büro.

Wenn Sie auf die diese Legislaturperiode blicken: Worauf sind Sie stolz im Bereich Radverkehr? Haben Sie ein Lieblings-Fahrradprojekt?

Ich muss ganz offen gestehen – vielleicht bin ich da zu selbstkritisch –, aber es fällt mir wirklich schwer, richtig stolz zu sein, was die Fahrradwegentwicklung in Berlin anbelangt. Aus meiner Sicht sind wir viel, viel, viel zu langsam. Das ist ein ganz großes Problem. Insofern ist das mit dem Stolz ein bisschen schwierig. Ich würde eher sagen, es ist einiges gelungen, aber es geht unterm Strich zu langsam.

Gelungen finde ich es auf jeden Fall in der Siemensstraße/Edisonstraße. Da ist einiges passiert, mittlerweile mit Grünunterlegung. Außerdem haben wir bis Mitte dieses Jahres die Pop-Up-Radspur auf der B 96a zwischen Schöneweide und Adlershof. Wobei wir noch schauen müssen, wie es damit weitergeht. Wir haben im Prinzip den komplett hergestellten Radweg, allerdings mit Einschränkungen, weil es da auch Busverkehr gibt. Auf dem Folgestück der B 96a stadtauswärts zwischen Rudower Chaussee und Köpenicker Landstraße gibt es ein paar Beispiele dafür, was man machen könnte, auch im Hauptstraßennetz, um den Radverkehr wirklich vernünftig zu führen. Unterm Strich bleibe ich dabei: Wir sind hier in Berlin viel zu langsam mit der Radinfrastruktur. Eigentlich muss das alles viel schneller gehen.

Der ADFC Treptow-Köpenick hat im vergangenen Oktober entlang der B 96a für sicheres Radfahren demonstriert. Auf dem genannten Straßenzug soll ein dauerhafter, geschützter Radstreifen entstehen. Ab wann wird man da fahren können?

Fahren kann man da jetzt schon, zwischen Schöneweide und Adlershof, eben auf dem Pop-Up-Radweg. Die Anordnung ist bis Juni dieses Jahres verlängert worden ist.

Wir haben natürlich durchaus Interesse daran – und das ist auch das, was das Mobilitätsgesetz vorgibt –, an den Hauptstraßen eine vernünftige Radinfrastruktur herzustellen – wenn man jetzt großspurig daher kommt, würde man sagen, an allen Hauptstraßen des Bezirks. Auch wenn das nicht immer ganz einfach ist und sicherlich auch nicht immer funktionieren wird, im Zweifel wird man Kompromisse finden. Aber das ist eine Jahrzehnteaufgabe, wenn ich sehe, mit welchem Tempo wir da voranschreiten. Das ist einfach das Problem.

Zudem müssen wir auf Grund der zweistufigen Verwaltung gemeinsame, vom Bezirk und Senat getragene Lösungen finden. Gerade beim übergeordneten Straßennetz, zu dem z. B. die B 96a gehört, müssen wir uns entsprechend abstimmen und die Radfahrangebote gemeinsam auf den Weg bringen. Das ist nicht immer ganz einfach, aber nach anfänglichen Reibungsverlusten läuft es meines Erachtens in den letzten zwei, drei Jahren bei SenUVK [Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz] besser und man kann eigentlich gut Hand in Hand arbeiten.

Uns wird oft gesagt, das große Problem in T-K ist, dass ein engagiertes Planungsteam im Bezirksamt fehlt.

Da kann ich nur sagen: Hätte ich auch gern und wenn Sie gute Ideen haben oder fachlich qualifizierte Menschen kennen, die sich vorstellen können, in T-K zu arbeiten, gerne!

Das Problem ist: Personal fehlt und es ist schlichtweg auch nicht möglich, dieses Personal zu gewinnen, auch weil man sich gegenseitig Konkurrenz macht. Für gute Verkehrsplaner und -planerinnen ist es nicht lukrativ, in den Bezirken zu arbeiten, weil die Bezirke im Vergleich zur Berliner Landesebene, zu Brandenburg und zum Bund schlechter bezahlen. Das sind alles Tücken, weshalb man eben nicht so schnell vorankommt, wie man es gerne möchte. Auch hier gilt also die Feststellung: Wir sind zu langsam, auch wenn man es erklären kann.

Nochmal zur B 96a: Sie haben über die Zusammenarbeit zwischen Bezirk und Senat und auch über die Fallstricke, die es da gibt, gesprochen. Aber noch mal nachgefragt: Gibt es ein konkretes Datum zur Verstetigung des Pop-Up-Radwegs?

Nein, die B 96a ist eine hochkomplizierte, hochkomplexe Straße. Wir haben, das muss man ehrlicherweise sagen, diesen Pop-Up-Radweg gemeinsam mit SenUVK an einer Stelle gemacht, wo er vielleicht nicht am dringendsten erforderlich, aber wo er relativ problemlos anzulegen war.

Da gab es Kritik von der autofahrenden Bevölkerung. Letztendlich aber in einem relativ überschaubaren Rahmen, denn der Eingriff in den Fließverkehr für Autos ist nicht wirklich stark. Der Siedlungsbereich in Adlershof (also rechts Rudower Chaussee links Dörpfeldstraße) ist eigentlich gar nicht angetastet worden. Wenn man weiter Richtung Norden blickt, von Alt-Treptow bis Baumschulenweg, oder das Teilstück von Baumschulenweg bis Schöneweide, wäre eine Radspur auf der B 96a da viel, viel dringlicher, weil das Radverkehrsaufkommen dort deutlich höher ist. Aber wenn man sich da die Straßensituation anguckt, ist das hochkomplex und hochkompliziert. Da muss ich ganz offen gestehen: Bisher gibt es noch keine Idee, wie man das letztendlich in den Griff kriegen kann. Sicher ist: Wir müssen auch für den ÖPNV dem Kfz-Verkehr Raum nehmen.

Aber ehrlicherweise muss man sagen: Im Berliner Außenbezirk ist die Sicht auf den Autoverkehr von einer großen Zahl der Menschen, die hier wohnen, leben und arbeiten etwas anders als im Innenstadtbereich. Wenn man hier dem Autoverkehr Fläche nehmen will, was man perspektivisch einfach tun muss, dann auch zugunsten des ÖPNV. Dann muss der Radverkehr den ÖPNV flankieren, sonst kriegen wir die Verkehrssituation in unserer Hauptstadtregion nie in den Griff. Aber hier ist die Diskussion natürlich sofort ein bisschen heftiger als im Innenstadtbereich, wo man eigentlich bei objektiver Betrachtung relativ einfach und problemlos auch ohne Auto zurechtkommt.

Wo Sie schon den ÖPNV ansprechen: Für attraktive multimodale Wegeketten ist ein entscheidender Faktor, ob es sichere Fahrradabstellanlagen an S- und U-Bahn-Knotenpunkten gibt. Welche Pläne verfolgen Sie im Bezirk, um klimafreundliches Pendeln zu fördern?

Wir haben mit der infraVelo GmbH nunmehr eine Partnerin, die sich dieser Problematik, also der Planung und dem Bau von Fahrradparkhäusern widmet. Momentan betrachtet die infraVelo GmbH erstmal nur das Umfeld vom S-Bahnhof Köpenick tiefergehend. Alles andere ist derzeit von der infraVelo GmbH zumindest nicht als prioritär betrachtet worden.

Natürlich sind auch deren Möglichkeiten und Mittel begrenzt. Hinzu kommt, dass auch der Platz an den S-Bahnhöfen begrenzt ist. Stichwort S-Bahnhof Adlershof: Hier wäre es durchaus möglich gewesen, Flächen für solch ein Fahrradparkhaus freizuhalten. Leider wurde das seitens Senat trotz warnender Hinweise versäumt, weil die Interessen auf der Landesebene zum Teil einfach anders waren.

Bleiben wir beim Thema Fahrradparken. Die Zuständigkeit für Fahrradbügel liegt allein beim Bezirk. Fahrradbügel können z. B. an Ecken von Kreuzungen aufgestellt werden, um diese sicherer zu machen. Wie sieht es damit in Ihrem Bezirk aus?

Was direkt die Kreuzungsbereiche anbelangt, ist noch relativ wenig passiert. Das hat auch immer mit dem Bedarf zu tun. In den letzten Jahren war es wesentlich einfacher möglich, über SenUVK an Bügel bzw. an die Finanzierung von Bügeln zu kommen.

Wir haben erstmal versucht, dort ausreichend Bügel aufzustellen, wo der Bedarf auf der Hand lag. Der nächste Schritt wäre jetzt zu schauen, wo es wirklich Sinn macht, Bügel aufzustellen, um Sichtachsen an Kreuzungen zu verbessern oder das Zuparken von Kreuzungen im 5-Meter-Bereich zu verhindern. Aber da, muss ich ganz ehrlich sagen, sind wir bisher noch gar nicht angelangt, auch von der Menge her.

Wie ist das bei Ihnen im Bezirk mit der Möglichkeit zur Online-Bürgerbeteiligung bei Fahrradbügeln?

Wir haben schon einmal Bürgerinnen und Bürger öffentlich dazu aufgerufen, Vorschläge einzureichen, wo Fahrradbügel gebraucht werden. Wir haben ganz viele Standorte gemeldet bekommen, haben aber noch gar nicht alles abgearbeitet. Das liegt auch daran, dass wir schlichtweg Personalprobleme an der Stelle haben.

Neben Personal ist ja auch Geld immer ein Thema. Sie wissen wahrscheinlich, dass die Bezirke in Berlin die Gelder des Senats für den Radverkehr sehr unterschiedlich abrufen. In 2019 lag T-K bei den Investitionen im Radverkehr bspw. auf Platz 5 von 12. Wie sehen die Planungen für Investitionen in 2021 aus? Wir stehen ja jetzt noch am Anfang des Jahres.

Wir haben natürlich weiter vor, neue Radwege zu schaffen und die Lücken an besonders gefährlichen Stellen, die wir ausgemacht haben oder die uns von Radfahrenden oder eben auch Verbänden wie dem ADFC gemeldet wurden, zu schließen. Insofern gibt es auch schon eine Planung für dieses Jahr. Es geht um weitere Radwegverbreiterung, neue Radverbindungen, neue Grünunterlegungen. Da ist einiges in Bearbeitung. Ich hoffe, dass wir, was unsere Platzierung anbelangt, nicht wesentlich zurückfallen werden, vielleicht sogar noch besser werden. Mal gucken.

Ich nehme an, bei den Planungen geht es auch um Fahrradstraßen. Wie viele gibt es im Bezirk bereits und wie viele weitere sind in Planung?

Fahrradstraßen sind eher in der Innenstadt anordnungsfähig Gleichwohl prüfen wir auch bei uns im Bezirk die rechtlichen Möglichkeiten, Fahrradwege anzuordnen.

Wir wollen einen Teil der Kiefholzstraße, bis zur Bouchéstraße, zur Fahrradstraße machen. Die Kiefholzstraße hat zumindest im nördlichen Teil einen Angebotsstreifen, der natürlich nicht sonderlich toll ist, aber immerhin. Dieser Angebotsstreifen endet an der Kreuzung Kiefholzstraße/Bouchéstraße stadteinwärts. Danach gibt es für Radfahrende kein direktes Angebot mehr. Die Kiefholzstraße ist dann so eine typische Wohngebietserschließungsstraße, allerdings mit relativ viel Kfz-Verkehr, aber auch mit sehr viel Radverkehr. Diesen Teil der Kiefholzstraße wollen wir zur Fahrradstraße machen; zunächst bis zur Bouchéstraße. Danach ist die Kiefholzstraße leider eine typische Berliner Kopfsteinpflasterstraße. Dort sind daher größere Anstrengungen erforderlich. Wir planen, sie bis zur Lohmühlenstraße als Fahrradstraße auszubauen. Über die Lohmühlenstraße kann man bis nach Kreuzberg fahren.

Ansonsten hatte ich einen ganz kühnen Plan, der sich nach ersten Prüfungen aber als nicht umsetzungsfähig erwiesen hat. Ich weiß nicht, ob Sie die Dörpfeldstraße und Adlershof kennen, das ist unser Sorgenkind.

Sorgenkind ist ein gutes Wort.

Das ist wirklich hochkompliziert. Die Dörpfeldstraße ist eine relativ schmale Straße. In dieser alten DDR-Geschäftsstraße haben die Geschäftsinhaberinnen jetzt schon massiv zu kämpfen, denn die Straße ist mit viel Kfz-Verkehr belegt, ungefähr 50 Prozent davon Durchgangsverkehr. Und es fährt die Tram durch, in einigen Abschnitten zweigleisig. Die Fußgängerinnen und Radfahrer*innen bleiben auf der Strecke. Im wahrsten Sinne des Wortes.
Wir haben Fördermittel des Bundes im Rahmen des „Aktive Zentren“-Programms, um diese Straße als Geschäftsstraße zu ertüchtigen. Der Anspruch ist, auf diesem Wege auch das Radverkehrsangebot zu verbessern. Aber ehrlicherweise wird es immer irgendwie Kompromiss bleiben. Denn in der Dörpfeldstraße wird man aufgrund ihres schmalen Querschnitts bei gleichzeitiger Mehrfachbelegung nie eine richtig gute Fahrradverbindung schaffen können. Der Plan war daher: Wir errichten in der Parallelstraße, der Radickestraße, eine Fahrradstraße.

Das Problem war aber: In der Radickestraße verkehren zwei Buslinien. Und die BVG ist natürlich von einer Fahrradstraße mit Busverkehr nicht so begeistert. Die Radickestraße weist Querungsverkehre auf, die letztlich nicht umzuverlagern sind. Insofern ist die rechtliche Möglichkeit zur Anordnung einer Fahrradstraße wohl leider nicht gegeben. Wir werden aber trotzdem versuchen, sie – inbesondere auch für den überregionalen – Radverkehr deutlich aufzuwerten.

Stichwort Dörpfeldstraße: Trotz Beteiligungsverfahren sind Anwohnerinnen und Anwohnern mit der vorgeschlagenen Lösung für die Straße nicht zufrieden und auch der ADFC Treptow-Köpenick kritisiert diese Lösung als lebensgefährlich. Wie wird Ihr kühner Plan im Kiezbeirat angenommen?

Ich kann da natürlich nicht mit jeder Person aus dem Kiezbeirat reden, aber mit den beiden Sprechern stehe ich schon im Kontakt. Ich bin mit der Lösung, so wie sie jetzt als Vorzugsvariante eingestellt ist, ehrlich auch nicht glücklich. Es ist schwierig, wenn man im Diskussionsprozess ist, und dann fünf oder sieben Varianten nebeneinander diskutiert. Da macht es schon Sinn, irgendwann eine Variante als Grundlage zu nehmen und damit weiter zu diskutieren. Das heißt nicht, dass diese in Stein gemeißelt ist. Damit, wie das momentan bei besagter Vorzugsvariante geplant ist, dass auf die Fahrbahn der Dörpfeldstraße einfach ein 1 Meter breiter grüner Strich gezogen wird und der dann „Aufmerksamkeitsstreifen“ genannt wird, bin ich auch nicht zufrieden. Das kann noch nicht die Lösung sein. Und das wird auch nicht die Lösung sein.

Ein anderes typisches Problem auf den Straßen Berlins sind Falschparker und zweite Reihe-Halter. Was tun Sie in Ihrem Bezirk, um das in den Griff zu bekommen?

Wir haben im Prinzip nur eine Möglichkeit, das in den Griff zu bekommen, nämlich indem wir mit den Ordnungsdiensten ein gemeinsames Vorgehen abstimmen und verbindlich vereinbaren.
Ich glaube, der beste Weg ist, die Kolleginnen und Kollegen vom Ordnungsdienst zu sensibilisieren, so dass sie das wirklich ernst nehmen. Auch wenn jemand nur kurz Brötchen holen ist, ist das für Radfahrende nicht nur eine Behinderung, sondern eine Gefährdung.

Zum Abschluss vielleicht noch zu etwas Positivem: Welche Pläne haben Sie für die restlichen Monate bis zur Wahl, bzw. worauf dürfen sich die Fahrradfahrerinnen und Fahrradfahrer im Bezirk noch freuen?

Wir sind gerade sehr intensiv dabei, weitere Radverbindungen auf die Straße zu bringen, im wahrsten Sinne des Wortes. Da gibt es eine konkrete Planung und da wird natürlich auch weiter dran gearbeitet. Ich hoffe, dass wir wirklich auch noch die Fahrradstraße in der Kiefholzstraße, zumindest das Teilstück, hinbekommen, damit wir tatsächlich noch eine Fahrradstraße schaffen.

Ich bin ganz guter Dinge, dass es gelingt, noch an der einen oder anderen Stelle neue Fahrradbügel aufzustellen. Das, was es in diesem Jahr noch bis zur Wahl geben kann, wird auch noch passieren. Da bin ich mir ganz sicher, dass wir diesbezüglich noch einiges schaffen werden. Aber den ganz großen Wurf wird es bis September 2021 nicht mehr geben können. Vielleicht kriegen wir noch die positive Nachricht von der infraVelo, dass sie sich T-K als Standort ansehen und noch ein Fahrradparkhaus planen. Das wäre doch noch eine gute Perspektive über das Jahr hinaus.

Vielen Dank für das Gespräch, Herr Hölmer!

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