Sind Radfahrer:innen wirklich selber schuld?
11 Radfahrer:innen sind 2024 im Straßenverkehr ums Leben gekommen. Die Berliner Polizei führt in ihrer Statistik acht dieser Radfahrer:innen als Alleinverursachende des Unfalls auf. Doch was sagt so eine Statistik aus?
Acht Radfahrer:innen sollen selber schuld an ihrem Tod sein, zwei weitere Radfahrer:innen gelten als mitschuldig. Nur in einem einzigen Todesfall soll der Unfall allein vom Unfallgegner, einem Lkw-Fahrer, verschuldet worden sein. So wertet die Berliner Polizei die Berliner Fahrradtoten aus dem Jahr 2024.
Doch die Statistik erzählt nur einen Teil der Geschichte und lässt dabei wesentliche Aspekte unberücksichtigt.
Jeder einzelne Radfahrende, der im Straßenverkehr stirbt, ist einer zu viel. Deswegen stellt der ADFC Berlin für jeden dieser Radfahrer:innen ein Geisterrad auf – unabhängig von der Unfallursache und der Frage nach der Schuld. Unser Ziel ist die „Vision Zero“. Vision Zero heißt, dass es keine schwerverletzten und getöteten Menschen im Straßenverkehr mehr gibt. Vision Zero erfordert eine Umgestaltung des Verkehrs; tödliche Unfälle sollen verhindert werden, und genau an diesem Punkt greift die Statistik der Polizei viel zu kurz.
Da sind zum einen die Alleinunfälle, die häufig Hinweise für eine mangelhafte oder gar fehlende Radinfrastruktur sind. Diese werden in der Polizeistatistik nicht berücksichtigt. Dort heißt es dann als Unfallursache häufig nur: nicht angepasste Geschwindigkeit. Ein gutes Beispiel dafür ist der allerletzte tödliche Radunfall. Am 14. Januar 2025 stürzte ein 56-jähriger Radfahrer, als er von der Fahrbahn dem Radstreifen folgend über einen Bordstein auf einen gemeinsamen Fuß- und Radweg fuhr. Zum einen war laut Polizei der Übergang vereist und verschneit, zum anderen ist der Übergang viel zu steil angelegt. Alles Umstände, die im Zweifel einen solchen Unfall begünstigen, der in die Polizeistatistik als Alleinunfall („Fahrradfahrer selber schuld“) eingehen wird.
Dann sind da die Fälle, in denen Radfahrende für sie tödliche Fehler beim Einfahren in den fließenden Verkehr gemacht haben. Fehler, die vermieden werden könnten, wenn es ein vernünftiges und durchgängiges Radnetz gäbe oder wenn der Rad- und Fußverkehr an Baustellen sicher und ohne Umwege vorbeigeführt würden. Doch stattdessen müssen Radfahrende sich Straße für Straße auf eine neue Situation einstellen. Mal wird der vorhandene Radweg einfach so in den Kfz-Verkehr übergeleitet, wo er dann einfach aufhört. Mal endet der Radweg einfach in parkenden Autos. Das sind alles potentiell gefährliche Situationen, die es mit einer ordentlichen Radinfrastruktur so nicht geben würde.
Um die Vision Zero zu erreichen, muss die Geschwindigkeit aus dem Verkehr genommen werden. Es ist ein großer Unterschied, ob ein Auto mit Tempo 50 oder Tempo 30 unterwegs ist. Bei Tempo 30 sind die Folgen eines Aufpralls geringer, der Bremsweg kürzer und die Reaktionszeit der Fahrenden ebenfalls besser. Zu hohe Geschwindigkeit kann tödlich sein. Im November 2024 querte ein Radfahrer die Fahrbahn auf der Landsberger Allee. Ein BMW-Fahrer, der mit viel zu hoher Geschwindigkeit unterwegs war, rammte den Radfahrer und verletzte ihn tödlich. Gegen den BMW-Fahrer ermittelt die Polizei laut Tagesspiegel wegen eines verbotenen Kraftfahrzeugrennens, der Radfahrer hingegen soll die Fahrbahn unachtsam überquert haben. In der Polizeistatistik gilt der Radfahrer als Unfallmitverursacher. Über eine letztendliche Schuld entscheiden dann die Gerichte. Gegen Raser helfen nur mehr Kontrolle und Ahndung.
Fehler, Unachtsamkeiten und kleine Regelverstöße unterlaufen fast allen Verkehrsteilnehmenden, nur sind die Folgen unterschiedlich. Macht ein Kfz-Fahrender einen Fehler, bleibt er in den meisten Fällen unverletzt. Für den ungeschützten Radfahrenden oder Fußgänger kann dieser Fehler schwerwiegende Konsequenzen haben.
Die Polizeistatistik beschäftigt sich mit den 11 Fahrradtoten für 2024 und gibt 10 von ihnen Schuld an ihrem tödlichen Unfall. Doch sagt das etwas aus?
„Die Polizeistatistik ist sehr eindimensional und gibt nicht die vielen unterschiedlichen Gründe wieder, die zu einem Unfall führen“, sagt Karl Grünberg, Pressesprecher des ADFC Berlin. „Statt nach Schuldigen zu suchen, braucht es eine fehlerverzeihende Infrastruktur, die allen Verkehrsteilnehmenden zu gute kommt."
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