Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Landesverband Berlin e. V.

Autobahn GmbH und Radverkehr?

Seit Sommer 2023 sind in Berliner Grünflächen Schilder zu sehen, die Geh-/Radwege der Autobahn GmbH zuordnen. Was bedeutet das bei Infrastruktur, Nutzung und Instandhaltung für den Radverkehr in Berlin? Wir versuchen, die Zusammenhänge zu klären.

Gesetzeslage

Seit 01.01.2021 gibt es die Autobahn GmbH  (Niederlassung Nordost) des Bundes. Sie ist auf der Grundlage von Art. 90 GG durch das „Gesetz zur Errichtung einer Infrastrukturgesellschaft für Autobahnen und andere Bundesfernstraßen“ (InfrGG) zuständig für „die Planung, den Bau, den Betrieb, die Erhaltung, die Finanzierung und die vermögensmäßige Verwaltung von Bundesautobahnen“ und weiterer Bundesfernstraßen.

Zu diesen weiteren Straßen sagt Art. 90 Abs. 4 GG: „Auf Antrag eines Landes kann der Bund die sonstigen Bundesstraßen des Fernverkehrs, soweit sie im Gebiet dieses Landes liegen, in Bundesverwaltung übernehmen.“ Danach ist die Autobahn GmbH in den drei Stadtstaaten Hamburg, Berlin und Bremen seit dem 1. Januar 2021 auch für die Bundesstraßen in der Baulast des Bundes zuständig.

Entscheidend bei allen Zuständigkeiten ist der Begriff „Baulast des Bundes“. Der Bund (vertreten durch die Autobahn GmbH) übernimmt nach § 3 Fernstraßengesetz alle mit dem Bau und der Unterhaltung der Bundesfernstraßen zusammenhängenden Aufgaben – Bau, Unterhaltung, Erweiterung, sonstige Verbesserungen und zwar mit Berücksichtigung des Umweltschutzes und der Bedürfnisse der betroffenen Menschen.

Straßenbau ist immer mit der Versiegelung von Flächen verbunden. Damit sich der Straßenbau nicht vollständig um Belange des Naturschutzes „herumdrücken“ kann, müssen die betreffenden Institutionen für Kompensation sorgen.

Eine dieser Kompensationsmaßnahmen war die Finanzierung des Baus von Wegen im Grünen durch den Bund als Ausgleich für den Bau der A 100 (16. Bauabschnitt); als Folge der Gesetzesänderungen wurde die neu gebildete Autobahn GmbH unmittelbar zuständig für Geh- und Radwege am Mauerweg und in anderen Grünanlagen.

Offene Liste der Örtlichkeiten

Angesichts dieser Situation gibt es zwei wichtige Fragen:

Welche Fernstraßen in Berlin fallen in den Zuständigkeitsbereich der Autobahn GmbH?

Für den Radverkehr ist das relevant wegen des Baus und Unterhalts für Radverkehrsanlagen (RVA) an diesen Straßen.

Eine Karte im Geoinformationssystem des Senats legt nahe, dass es sich um folgende Abschnitte handelt. (Falls das nicht stimmt, freuen wir uns über eine Korrektur.)

Welche Geh- und Radwege in Grünanlagen fallen in den Zuständigkeitsbereich der Autobahn GmbH?

Bisher ist uns keine abschließende Liste bekannt; die Autobahn GmbH hat eine entsprechende Frage ignoriert und sich auf einen kurzen Hinweis beschränkt: „Es ist jeweils der Einzelfall zu prüfen und zu bewerten.“ Im Radverkehrsplan (S.9+21) sind Abschnitte des Radnetzes als Kompensationsflächen des Bundes gelistet, andere Strecken haben wir anhand der Beschilderung, die an den Wegen zu sehen ist, identifiziert:

 

Unklare Zuständigkeiten

Für Wege in öffentlichen Grünanlagen gibt es wenig Festlegungen, wie sie ausgestattet und erhalten werden sollen. Befestigt und unbefestigt – beides ist möglich. Radverkehr ist auf breiten Wegen häufig zugelassen, zu Fuß Gehende haben Vorrang. Für welche Wege das gilt, ist in der Regel den Bezirken überlassen, diese sind auch meist für die Unterhaltung und die verkehrssichere Gestaltung der Wege zuständig. 

Etwas anders ist die Situation für Wege im Vorrang- und Ergänzungsnetz des Radverkehrsplans. Während dort für Radverkehrsanlagen im Allgemeinen klare Vorgaben gemacht werden, sind für Führungen des Radverkehrs im „Berliner Stadtgrün“ Einschränkungen vorgesehen. Vor allem wird der Winterdienst nicht gewährleistet; es müssen jeweils Einzellösungen gesucht werden, um „den Anforderungen sowohl der Erholungssuchenden und des Fußverkehrs als auch denen des Radverkehrs gerecht zu werden“.

Aber das gilt nur für Geh- und Radwege im Bereich öffentlicher Straßen, Wege und Plätze, die dem öffentlichen Verkehr gewidmet sind und für die Berlin (!) Träger der Baulast ist. Ungeklärt bleibt, was für die Geh- und Radwege in den Ausgleichsflächen der Autobahn GmbH gelten soll. Die Strecke [1] ist kein Teil des Radnetzes; die Strecke [4] wird als Teil des Vorrangnetzes im Stadtgrün genannt, die übrigen Strecken [2], [3], [5] und [6] sind als „normale“ Teile des Ergänzungsnetzes eingetragen. Aber die Beschilderung durch die Autobahn GmbH ist einheitlich und setzt mehrere Rahmenbedingungen, deren Geltung nicht nachzuvollziehen ist.

Es ist also nötig, mit der Autobahn GmbH mehrere Punkte zu klären:

  • Welche Wege sind in die Zuständigkeit der Autobahn GmbH übergegangen?
  • Welche Aufgaben sind generell mit der Übertragung der Wege als Kompensationsfläche verbunden?
  • „Betreten und Befahren der Grünanlage auf eigene Gefahr“ – Das liest sich wie eine Verweigerung jeglicher Verantwortung für den Zustand des Weges, ist aber für öffentlich zugängliche Wege nicht akzeptabel. Auf welche Rechtsgrundlage beruft sich die Autobahn GmbH bei dieser Beschilderung?
  • „Kein Winterdienst“ – grundsätzlich nachvollziehbar wie im Radverkehrsplan für „Stadtgrün“. Aber für Strecken, die als Teil des Vorrang- oder Ergänzungsnetzes für den Radverkehr wichtig sind („Pendler:innen“), ist der Winterdienst als Ergebnis einer Einzelfallprüfung durchzuführen.
  • Vor der Übertragung der Zuständigkeit waren die betroffenen Wege ausgeschildert als „gemeinsamer Geh- und Radweg“ (Zeichen 240), Geh- und Radverkehr nutzten die Wege also im Wesentlichen gleichberechtigt. Die jetzige (nichtamtliche) Beschilderung bezeichnet diese Wege als „Fußgängerzone“ (Zeichen 242.1) mit dem Zusatz „Radfahren auf asphaltierten Wegen erlaubt – Fußgänger haben Vorrang“. Mit welcher Begründung wird der Fußverkehr dem Radverkehr in dieser Form vorgezogen? Vergleiche auch hierzu die Bedeutung eines Wegs für „Pendler:innen“.
  • „Hunde sind an der Leine zu führen“ sowie „Zelten verboten, Offenes Feuer und Grillen verboten“
    Dies gilt nach dem Berliner Grünanlagengesetz generell und ist keine Besonderheit der „Autobahn-Wege“.

 

Aktuell bekannte Problemstellen

Neben den oben genannten Fragen, die grundsätzlich zu klären sind, gibt es schon bekannte, schnell zu bearbeitende Problemstellen. Ist die Autobahn GmbH bereit und in der Lage, diese Probleme zeitnah zu beheben? Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit Straßen- und Grünflächenämtern, wenn Probleme gemeinsam bearbeitet werden müssen?

  • Auf dem Abschnitt des Mauerwegs zwischen Dammweg und Kiefholzstraße (Treptow-Köpenick an der Bezirksgrenze zu Neukölln) gibt es einen gravierenden, gefährlichen Wurzelaufbruch, der zeitnah zu beseitigen ist (Strecke [3] der o.g. Ausschnitte im nördlichen Bereich).
  • Am Hans-Baluschek-Park muss der Weg an beiden Enden (Bahnhof Südkreuz, Bahnhof Priesterweg) sinnvoll weitergeführt und entsprechend geplant und erweitert werden (Strecke [4] der o.g. Ausschnitte).
  • Die Querung des Mauerwegs an der Sonnenallee (Treptow-Köpenick und Neukölln) muss dringend entschärft werden; diese Stelle ist wegen des Drängelgitters auf dem Mittelstreifen und wegen parkender Kraftfahrzeuge sehr unübersichtlich und deshalb gefährlich (Strecke [3] der o.g. Ausschnitte im südlichen Bereich). Senatsverwaltung und Bezirke haben hier zwar bereits 2022 eine Lösung erarbeitet, wann die umgesetzt wird, ist aber nicht bekannt. 

 

Erfahrungen aus anderen Planungen der Autobahn GmbH

In den letzten Jahren wurden bei mehreren Baumaßnahmen und Planungen die Bedürfnisse des Radverkehrs nicht ausreichend berücksichtigt. Ein paar Beispiele:

  • Die Königsteinbrücke wurde in den Jahren 2020/21 im Rahmen der Erneuerung der A114 neu gebaut (Freigabe 31.03.2021), aber unzureichend asphaltiert. Stadtrat Kuhn im FahrRat 10.06.2021 und Verkehrsausschuss Pankow 17.06.2021: „Das Bezirksamt – hier das SGA als Straßenbaulastträger – bleibt bei seiner Ablehnung einer Übernahme, solange die Mängel durch den Bauherren (Autobahn GmbH des Bundes) nicht abgestellt sind.“
    https://www.openstreetmap.org/way/16307526 (zuzüglich Rampen auf beiden Seiten)
  • Die Brücke der Bucher Straße über die A114 wurde in den Jahren 2020/22 im Rahmen der Erneuerung der A114 neu gebaut. Die Ausführung des Gehwegs (Radverkehr frei) hat der ADFC als unzureichend und unsicher kritisiert (im FahrRat und per Mail gegenüber der Senatsverwaltung, u. a. eine Gehwegbreite von 0,90 m); ähnliche Kritik enthält der Beschluss IX-0706 der BVV Pankow „Verkehrssicherheit auf der Brücke der Bucher Straße erhöhen“.
    https://www.berlin.de/ba-pankow/politik-und-verwaltung/bezirksverordnetenversammlung/online/vo020.asp?VOLFDNR=6648
  • Für den Umbau des Autobahndreiecks Funkturm (Öffentlichkeitsbeteiligung Anfang 2023) ist eine mehrjährige Sperrung des Fuß- und Radverkehrs zwischen Rathenauplatz und Messedamm geplant. Der Radverkehr wird statt des direkten Wegs (650 m über die Halenseestraße) zu einem Umweg von 3 bis 4 km gezwungen. Das ist angesichts der Bedeutung dieser Verbindung im Vorrangnetz und der Dauer der Sperrung unvertretbar.
  • Beim geplanten Neubau der Rudolf-Wissell-Brücke (Öffentlichkeitsbeteiligung Herbst 2023) fehlt ebenso die durchgehende Nutzung vorhandener Fuß- und Radwege. Vor allem wird der Rad- und Fußverkehr in die neue Brücke nicht integriert, obwohl das im Fernstraßengesetz für solche Brücken vorgesehen ist. Auch der Radverkehr braucht hier die Nord-Süd-Überquerung von Spree und Fernbahn. Die Integration eines Fuß-/Radwegs in den Brückenneubau ist mit überschaubarem Aufwand möglich und kostengünstig, da Tragkonstruktion und Gelände-Erwerb erledigt sind.

 

Absprachen sind notwendig

Nach der historischen Entwicklung liegen Interessen, Zielsetzung und Sachkenntnis der Autobahn GmbH verständlicherweise beim motorisierten Kraftverkehr. Es ist eher verwunderlich, dass sie sich jetzt auch um den Naturschutz sowie um die Bedürfnisse von Fuß- und Radverkehr kümmern muss. Hätte es wirklich keine bessere Lösung gegeben?

Nach der Übernahme von innerstädtischen Flächen in Grünbereichen muss sich die Autobahn GmbH auch mit der Gestaltung von Geh- und Radwegen beschäftigen, sich die entsprechenden Kenntnisse aneignen und ein „Gefühl“ für die Betroffenen entwickeln. Die in den vorherigen Abschnitten genannten Rahmenbedingungen, Überlegungen und Erfahrungen zeigen, in welchem Zusammenhang das notwendig ist und gelöst werden kann.

Die Entstehung und die Umsetzung des Berliner Mobilitätsgesetzes haben in den vergangenen Jahren gezeigt, dass die Interessenvertretungen, Regierung und Verwaltungen (in Land und Bezirken) sowie die allgemeine Öffentlichkeit erfolgreich zusammenarbeiten können. Eine ähnliche Zusammenarbeit sollte auch zwischen der Autobahn GmbH und den Interessenverbänden (unter Mitwirkung der Berliner Verwaltung) angestrebt werden.

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https://berlin.adfc.de/artikel/autobahn-gmbh-und-radverkehr

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