Die Zukunft beginnt heute!
Wie Berlin heute umgebaut und gestaltet wird, entscheidet, wie wir uns in Zukunft fortbewegen. Im Fahrradwahljahr wählen wir, wie diese Zukunft aussehen soll. Von Lisa Feitsch.
Kühler Fahrtwind bläst ins Gesicht, Schweiß tropft von der Stirn. Es hat fast 30 Grad, die Sonne knallt auf den Asphalt. Wir stecken mitten in der Pandemie und tragen für den Infektionsschutz FFP2-Masken. Wir sind viele. Rund 20.000 Menschen sind zur Sternfahrt 2021 gekommen. Rund 40.000 Füße treten trotz spezieller Pandemieregeln und Hitze in die Pedale, wir alle demonstrieren für sicheres Radfahren in Berlin. Denn wir haben eine Vision: Stell dir vor…
Es ist 2026.
In den letzten Jahren haben immer mehr Menschen das Radfahren entdeckt. Seit der Corona-Pandemie erlebte Berlin einen noch deutlicheren Fahrradboom. Der Anteil des Radverkehrs am Modal Split ist seit 2021 um zehn Punkte auf 28 Prozent gestiegen.
Der Verkehr trägt endlich zum Klimaschutz bei. Seit in Berlin die Klimanotlage ernst genommen wird, fördert die Stadt klimafreundliche Mobilität und reduziert aktiv den klimaschädlichen Kfz-Verkehr.
Berlin hat 2018 als erstes Bundesland Deutschlands ein Mobilitätsgesetz beschlossen. Mit jahrelanger Verspätung ist endlich auch der Radverkehrsplan verabschiedet worden. Seit es dieses Planungsdokument mit verbindlichen Fristen und Zwischenschritten gibt, bringen Senat und Bezirke das Berliner Radnetz lückenlos und flächendeckend auf die Straße.
Zuständigkeitswirrwarr und Ressourcenmangel gehören der Vergangenheit an. Berlins dreizehn Verkehrsverwaltungen arbeiten heute effizient und koordiniert zusammen. Das Pop-Up-Verfahren und die agile Arbeit der öffentlichen Verwaltung haben einiges beschleunigt. Statt wie früher jahrelang und kostspielig auf dem Papier zu skizzieren, werden Radfahrstreifen und Fahrradstraßen jetzt direkt vor Ort geplant, ausprobiert, nachgebessert – und zügig dauerhaft eingerichtet. Eine gemeinsame Organisationseinheit, die Kompetenzen und Ressourcen bündelt, hat dem ewigen Behördenpingpong den Garaus gemacht.
Schnelles, sicheres und attraktives Radfahren ist genauso möglich wie komfortables und bedarfsgerechtes Fahrradparken in ganz Berlin. Die Infrastruktur für den Radverkehr dockt bedarfsgerecht an den Fuß- und öffentlichen Nahverkehr an. Kreuzungen sind sicherer geworden. Das Falschparken und Halten in zweiter Reihe sind durch flächendeckende Verkehrskontrollen deutlich zurückgegangen. Sowohl bei der Polizei Berlin als auch in der Öffentlichkeitsarbeit des Senats, im Wirtschaftsverkehr und in der Mobilitätsbildung wird der Radverkehr gefördert. Berlin hat über Bundesratsinitiativen weitere Verbesserungen der StVO angestoßen, wir sind deutschlandweit auf einem guten Weg zu einer menschengerechten StVO.
Berlin gelingt es, den Logistik- sowie Personenwirtschaftsverkehr Meter für Meter auf den Umweltverbund zu verlagern. Die letzte Meile gehört inzwischen den Lastenrädern. Seit weniger Lkw in der Stadt unterwegs sind, ist auch die Zahl tödlicher Abbiegeunfälle deutlich gesunken. Stau und Lärm sind zurückgegangen, die Stickoxidwerte in der Luft sind gesunken.
Berlin hat von anderen Städten gelernt. Wo früher Autos rasten, sprießen jetzt lebendige, autofreie Kieze aus dem Boden. Durch den Investitionsstopp und den sukzessiven Rückbau von Schnellstraßen und Autobahnen sowie Maßnahmen wie Parkraumbewirtschaftung ist eine klimafreundliche, lebenswerte Stadt für alle entstanden.
Aber es ist 2021. Es gibt einiges zu tun für den Berliner Senat und die Bezirke.
„Die Zukunft beginnt heute – Verkehrswende jetzt!“ – so lautete nicht nur unser Motto auf der Sternfahrt 2021, sondern auch der Titel unserer neuen ADFC Berlin-Publikation im Fahrradwahljahr. Anlässlich der Wahl im September haben wir einen Forderungskatalog für die Legislaturperiode 2021–2026 veröffentlicht. Auf 20 Seiten präsentieren wir darin unsere Vision von Berlin 2026 und zeigen Lösungen für die lebenswerte Stadt und eine klimagerechte Mobilität in Berlin auf.
So kann etwa das Mobilitätsgesetz auf die Straße gebracht werden, indem das Verwaltungshandeln der Stadt effektiver wird. Dazu sollte ein Landesbauamt für bezirksübergreifende Tätigkeiten eingeführt werden, die Verwaltung deutlich öfter agile Verfahren wie bei den Pop-Up-Radwegen ausprobieren und das Personal wachsen, indem der Stellenbesetzungsprozess auf Bezirks- und Landesebene stringenter wird.
Um die Vision Zero – das Ziel von null Verkehrstoten und Schwerverletzten – umzusetzen, fordert der ADFC Berlin die unverzügliche Erstellung und Verabschiedung eines neuen, mobilitätsgesetzgerechten Verkehrssicherheitsprogramms. Das bisherige ist am 31. Dezember 2020 ersatzlos ausgelaufen. Außerdem muss die Unfallkommission personell aufgestockt werden und mehr Kompetenzen erhalten. Bekannte, kurzfristige Maßnahmen wie etwa getrennte Signalisierung bei Ampeln müssen deutlich schneller umgesetzt werden, um zu mehr Verkehrssicherheit in der Hauptstadt zu kommen. Wir wollen kein einziges Geisterrad mehr aufstellen müssen.
Auf dem Weg zur lebenswerten Stadt für alle fordern wir den Berliner Senat und die Bezirke dazu auf, von anderen Städten zu lernen. Konzepte wie die Schulstraße aus Wien, das Kreuzungsmodell nach niederländischem Vorbild oder Kiezblocks aus Barcelona sind bereits erprobt und können längst auch in Berlin angewandt werden. Die Zukunft beginnt heute. Die neue Landesregierung muss anfangen, größer zu denken. Echte Verkehrswende, mehr Lebensqualität und mehr Sicherheit im Verkehr heißt, den Rad-, Fuß- und öffentlichen Nahverkehr konsequent zu fördern, während der klimaschädliche Kfz-Verkehr eingeschränkt wird.
Wir fordern „eine autofreie Friedrichstraße“ und fünf Kiezblocks für jeden Bezirk. Neben einem Investitionsstopp für Kfz-zentrierte Infrastruktur und dem sukzessiven Rückbau von Schnellstraßen und Autobahnen wie der A100 sollen auch Maßnahmen wie das Umwandeln von 60.000 Kfz-Parkplätzen im öffentlichen Raum pro Jahr bis 2030 helfen, Verkehrsflächen neu zu verteilen und mehr Platz für klimafreundliche Mobilität zu schaffen.