Das Fahrrad gewinnt Wahlen: Erkenntnisse unseres radpolitischen Abends
Auf einer digitalen Podiumsdiskussion standen die beiden Mobilitätsexpertinnen Prof. Dr. Sophia Becker und Prof. Dr. Jana Kühl sowie die verkehrspolitischen Sprecher der Berliner Grünen, Linke, SPD, FDP und CDU Rede und Antwort. Von Lisa Feitsch.
Was planen die Berliner Parteien in der kommenden Legislaturperiode beim Radverkehr? Wie wollen sie sicherstellen, dass das Mobilitätsgesetz umgesetzt wird? Was sind ihre Maßnahmen, um die Vision Zero, das Ziel von null Verkehrstoten und Schwerverletzen, einzuhalten? Der ADFC Berlin hat Wahlprüfsteine erstellt und Wahlprogramme ausgewertet. Auf der digitalen Podiumsdiskussion am 15. Juli 2021 standen die beiden Mobilitätsexpertinnen Prof. Dr. Sophia Becker und Prof. Dr. Jana Kühl sowie die verkehrspolitischen Sprecher der Berliner Grünen, Linke, SPD, FDP und CDU Rede und Antwort.
»Ich kann nichts hören«, tönt es aus dem Lautsprecher. »Bitte alle, die nicht sprechen, die Mikros stumm schalten«, knackt es jetzt aus der Leitung. »Wir legen los!« Gesagt, getan. Schon wird der Ton besser. Nach den üblichen Technikanweisungen kann der radpolitische Abend des ADFC Berlin auch offiziell starten. Frank Masurat aus dem Vorstand des ADFC Berlin begrüßt die insgesamt rund 100 Zuhörer*innen auf Zoom und YouTube. Beim radpolitischen Abend des ADFC Berlin stellen wir unsere Bewertung des verkehrspolitischen Programms der Parteien vor, lassen die Wissenschaft zu Wort kommen und fühlen den Berliner Parteien auf den Zahn. Zunächst stellt Frank Masurat die Wahlprüfsteine des ADFC Berlin vor.
Anlässlich der Abgeordnetenhauswahl 2021 hat der ADFC Berlin ausgewertet, was die Berliner Parteien für sicheren Radverkehr und die Verkehrswende planen. Dazu hat der ADFC Berlin acht Fragen als Wahlprüfsteine an die Berliner Parteien versendet sowie deren Wahlprogramme analysiert. Hintergrund bildete dabei der Forderungskatalog des ADFC Berlin. Neben Fragen zur Umsetzung des Mobilitätsgesetzes und den geplanten Maßnahmen zur Vision Zero fragte der Verband nach Maßnahmen gegen Falschparker und Plänen zum Pkw-Parkplatzmanagement. Den höchsten Übereinstimmungsgrad unter den befragten Parteien mit den Forderungen des ADFC Berlin erzielen demnach die Grünen mit 81 Prozent (Note 1,8 – auf einer Skala von 1 bis 5), gefolgt von der Klimaliste mit 70 Prozent (Note 2,2). Die Positionen der Linken stimmen zu 53 Prozent (Note 2,9) und die der SPD zu 42 Prozent (Note 3,3) mit den Forderungen des ADFC Berlin überein. Am schlechtesten schneiden die FDP mit 17 Prozent (Note 4,3) und die CDU mit 14 Prozent (Note 4,4) ab.
Eine Orientierung für die Wahl geben
»Mit unseren Wahlprüfsteinen wollen wir den Berlinerinnen und Berlinern beim Thema Verkehrswende eine Orientierung für die Wahl zum Abgeordnetenhaus im September geben. Anhand der Antworten auf unserer Fragen soll ersichtlich werden, wer es mit der Verkehrswende ernst meint und wer die notwendigen Kenntnisse hat, ein fahrrad- und menschenfreundliches Berlin möglich zu machen«, ordnet Frank Masurat die Arbeit des ADFC Berlin ein.
»Fahrradstädte geben einen öffentlichen Ort zur Begegnung frei«, sagt Kühl. Weiter geht es mit den Eingangs-Statements der beiden geladenen Mobilitätsexpertinnen. »Es geht auch um soziales Miteinander«, Jana Kühl, Professorin für Radverkehrsmanagement an der Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften, erklärt, warum Fahrradstädte für alle gut sind. Sie sagt auch: »Es gibt Konflikte, um die man nicht herumkommt.« Einige davon werden an diesem Abend diskutiert.
Sophia Becker, Professorin für Nachhaltige Mobilität und transdisziplinäre Forschungsmethoden an der TU Berlin erklärt, dass es Push- und Pull-*Faktoren für die Verkehrswende brauche. Es braucht den attraktiven Radweg als Angebot und Anreiz, das Rad zu nehmen (Pull-Faktor), aber auch Maßnahmen wie etwa Parkgebühren, die das Autofahren weniger attraktiv machen (Push-Faktor). »Es geht auch darum, dem Auto einen neuen Stellenwert zu geben. Es soll vom Hauptdarsteller zum Nebendarsteller werden«, bringt Becker es auf den Punkt.
Wie stehen die verkehrspolitischen Sprecher der Berliner Parteien dazu?
Oliver Friederici, verkehrspolitischer Sprecher der CDU Berlin, überrascht mit einer klaren Positionierung pro Parkraummanagement und sagt: »Ich glaube, wir sollten vor alledem den Menschen klar machen, was passiert: Sie werden immer weniger Parkplätze in der Stadt haben. Wir werden eine Parkraumbewirtschaftung gerade auch in der Innenstadt haben müssen.«
Stefan Taschner, Sprecher für Radverkehr bei Bündnis 90/Die Grünen Berlin hält ein flammendes Plädoyer für die infraVelo: »Die plant die ganz großen Projekte, die machen einen super Job«, während die FDP-Fraktion Berlin die infraVelo am liebsten wieder abschaffen will.
»Stadträten fehlt oft der Mut«, sagt Jürgen Murach, verkehrspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion in der BVV Charlottenburg-Wilmersdorf und beklagt den fehlenden Radverkehrsplan. Klar, im Radverkehrsplan würde stehen, wann was wo zu bauen wäre. Ohne Plan heißt aber nicht, dass gar nicht (um)gebaut werden darf.
Henner Schmidt, Sprecher für Infrastruktur- und Umweltpolitik der FDP Berlin, sagt: »Wir setzen stark auf Angebote. Wir brauchen attraktive Radwege.« Unklar bleibt, wo der Platz für Radwege nach den Vorstellungen der FDP herkommen soll.
»In der Breite liegt die Problematik. Wir sehen ja auch in den Bezirksämtern, wie hoch die Fluktuation ist«, sagt Kristian Ronneburg, verkehrspolitischer Sprecher bei der Linken Berlin. Gleichzeitig möchte er die Bezirke stärken, statt die Aufgaben auf Landesebene zu bündeln.
Fazit: Das Fahrrad kann Wahlen gewinnen
Das Fahrrad gewinnt Wahlen. Das sehen wir bereits in Städten wie Paris oder London. Auch in Berlin ist das Thema Verkehrswende im Fahrradwahljahr 2021 wahlentscheidend. Erst im Juni demonstrierten rund 20.000 Menschen auf der ADFC-Sternfahrt für sicheres Radfahren in Berlin. Trotz drei Jahren Mobilitätsgesetz bewerten Berlins Radfahrende das Radklima in der Hauptstadt insgesamt immer noch als schlecht, wie auch die Note 4,14 im ADFC-Fahrradklima-Test zeigt.
»Über das Ziel der menschen- und fahrradfreundlichen Stadt sind wir uns alle überraschend einig, nur über den Weg dahin müssen wir uns noch einig werden«, fasst Frank Masurat aus dem ADFC Berlin-Vorstand den Abend zusammen.
Nachsehen kann man den radpolitischen Abend hier: