
Die Torstraße im Herbst 2025: Keine Radverkehrsanlagen, Lieferfahrzeuge in zweiter Reihe und abgestellte Fahrzeuge im Halteverbot © Susanne Jäger
Umbau der Torstraße – eine inakzeptable Planung
Die vom Senat vorgelegten Pläne zu Sanierung und Umbau der Torstraße passen nicht zu heutigen Anforderungen an eine Stadtstraße in Berlins Mitte.
Ein Umbau der Torstraße in Mitte ist dringend nötig und lange überfällig. Derzeit gibt es keinerlei sicheren Wege fürs Rad, die Straße befindet sich insgesamt in schlechtem Zustand. Für den ersten Bauabschnitt (ca. 1 km zwischen Chausseestraße und Rosenthaler Platz) liegt jetzt eine Ausführungsplanung vor, mit dem Bau soll im dritten Quartal 2026 begonnen werden.
Aufteilung des Straßenraums
Die aktuelle Senatsplanung sieht folgendes vor:
- Zwei Fahrstreifen pro Richtung (3,25 m und 3,00 m) , wobei der rechte Fahrstreifen außerhalb der Spitzenzeiten zum Parken freigegeben werden soll.
- Auf der Südseite sind ein Radweg (2,00 m breit, an Bushaltestellen 1,30 m) auf Gehwegniveau – überwiegend hinter Bäumen versteckt – und ein Gehweg, der stellenweise nur 2,50 m breit sein soll, vorgesehen. Eine bauliche Trennung von Rad- und Fußverkehr soll es nicht geben.
- Auf der Nordseite soll es einen Radstreifen geben, dieser ist offenbar ungeschützt (mit einem Sicherheitstrennstreifen von 0,75 m)
Eine solche Aufteilung wird weder den Bedürfnissen des Rad- noch des Fußverkehrs gerecht. Auch der ÖPNV (Buslinie 142) erhält keine Priorisierung. Die Planung bezieht sich hier lediglich auf die vorgesehenen Haltestellen. Besonders problematisch: Auf die Anlage einer sogenannten „safety lane“ – eines ausreichend breiten Radstreifens, der bei Bedarf auch für Rettungsfahrzeuge nutzbar ist – wurde komplett verzichtet. Diese wäre vor allem auf der Nordseite (Richtung Charité) dringend erforderlich.
Die Verkehrsmengenkarte 2023 des Landes Berlin verzeichnet für die Torstraße in diesem Bereich einen werktäglichen Kfz-Durchsatz von ca. 20.000 Fahrzeugen. Für eine Zählstelle im westlichen Bereich liegt aus der Antwort auf eine Kleine Anfrage eine Zahlenreihe seit 2015 vor: Dort wurden 2023 nur 9.600 Fahrzeuge Richtung Westen und 6.700 Richtung Osten erfasst. Für diese zuletzt ermittelten Verkehrsstärken des motorisierten Verkehrs sind auf der Strecke keine zwei Fahrstreifen nötig. Die Behauptung, dass nur mit zwei Fahrstreifen pro Richtung die „Leistungsfähigkeit“ der Straße gewährleistet werden könne, ist nicht zutreffend. Staus entstehen schon bisher vor allem durch das Halten in zweiter Reihe und durch abbiegende Fahrzeuge an den Kreuzungen.
Die Planung erweckt den Eindruck, dass hier Vorgaben (wie der Erhalt von Parkplätzen und die zweistreifige Führung des MIV) einem Straßenraum übergestülpt wurden, der das nicht hergibt. Statt wie schon seit 2006 in den Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen (RAST) vorgesehen, von außen (dem Platzbedarf im Seitenraum) nach innen (dem Platzbedarf des motorisierten Verkehrs) zu planen, scheint wieder einmal der umgekehrte Weg gewählt worden zu sein.
Radverkehrsführung auf Kosten des Fußverkehrs
Die von Seiten der Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt (SenMVKU) versprochene „attraktive Straße mit einer hohen Aufenthaltsqualität" ist in den Plänen nicht erkennbar. Die vorgesehene Gehwegbreite von teilweise nur 2,50 m reicht bei der hohen Fußverkehrsdichte und dem Flächenbedarf von Gastronomie und Gewerbe bei weitem nicht aus.
Besonderst problematisch: Die Verlagerung des Radverkehrs von der Fahrbahn auf den Gehweg gelingt nur, weil dieser teilweise verschmälert wird und in anderen Abschnitten Bäume gefällt werden, um den Straßenraum neu aufzuteilen.
Ohne bauliche Trennung von Rad- und Fußverkehr sind hier Konflikte vorprogrammiert:
- Eine Radwegbreite von 2,00 m erlaubt kein sicheres Überholen im Verlauf des Radwegs. Der Radverkehrsplan sieht als Regelmaß 2,30 m vor. Es ist zu befürchten, dass hier regelwidrig über den Gehweg überholt werden wird.
- Bei einer Gehwegbreite von abschnittsweise gerade mal 2,50 m wird es bei der hohen Fußverkehrsdichte (vor allem im östlichen Abschnitt mit Gastronomie) schwierig, unachtsames Betreten des Radwegs zu verhindern.
- Der Radweg hinter Bäumen (und teilweise parkenden Autos) ist besonders gefährlich, weil Radfahrende erst an Straßeneinmündungen wahrgenommen werden und für abbiegende Fahrzeuge dann „plötzlich auftauchen“. Der kurze Bereich vor den Kreuzungen, in denen der Radweg zurück zur Fahrbahn geführt wird, reicht nicht aus, um das auszugleichen.
Erhalt von Parkplätzen?
Eine der publizierten Maßgaben der Senatsverwaltung für die zur Umsetzung vorgesehene Planung lautet, dass ein “teilweiser Erhalt der Stellplätze” vorgesehen sei. Doch was bedeutet das tatsächlich? In den Plänen sind zunächst keine Parkplätze mehr vorhanden, sondern lediglich einige Lieferzonen. In der Antwort auf eine kleine Anfrage des Abgeordneten Niklas Schenker von August 2025 wird festgestellt, dass die zweistreifige MIV-Führung nur zu den Spitzenzeiten (6–9 und 15–18 Uhr) aufrechterhalten werden soll. Zu anderen Zeiten würden die jeweils rechten Fahrstreifen zum Parken freigegeben werden.
Abgesehen davon, dass solche zeitlichen Befristungen in der Praxis nicht funktionieren ist uns unklar, welche Zielgruppe mit diesen Teilzeitparkplätzen erreicht werden soll: Anwohner:innen, die vor 6 Uhr mit dem Auto zur Arbeit aufbrechen und erst nach 18 Uhr wieder zurückkommen, sind eher die Ausnahme. Für Lieferverkehr sind Lieferzonen vorgesehen. Der Platz des zweiten Fahrstreifens könnte besser für den Umweltverbund genutzt werden.
Öffentlichkeitsbeteiligung und Mitsprache des Bezirks
Im Frühjahr 2022 fand auf der Basis einer damals noch deutlich anderen Vorplanung eine „frühzeitige Öffentlichkeitsbeteiligung“ statt. Deren Ergebnisse, die laut Aussage von SenMVKU in die Umplanung eingeflossen seien, sind jedoch, anders als in anderen Fällen, nicht mehr öffentlich einsehbar. Es bleibt unklar, welche der damals vorgebrachten Einwände und Bedenken aufgegriffen und in die neuen Pläne eingearbeitet wurden. Eine erneute Beteiligung der Öffentlichkeit ist offensichtlich nicht mehr vorgesehen.
Bei einer Informationsveranstaltung der zuständigen Bezirksstadträte am 29.10. wurde deutlich, dass die aktuelle Planung offenbar nicht nur ohne Abstimmung sondern sogar gegen den ausdrücklichen Willen der gewählten Bezirksvertretung durchgepeitscht werden soll. Das ist besonders problematisch da die Torstraße nicht nur eine Verkehrsfunktion hat, sondern zugleich Wohnort für Anwohner:innen, ein Aufenthaltsort für Menschen aus ganz Berlin und Besucher:innen, ein Arbeitsort, sowie Standort von Gastronomie und weiterem Gewerbe ist.
Die jetzt vorgestellte Ausführungsplanung soll nach dem Willen des Senats vermutlich Grundlage der Ausschreibung für den ersten Bauabschnitt werden. Ein Betrag von gut 10 Mio € wurde dafür bereits im Juli 2025 vom Hauptausschuss (auf der Basis geprüfter Bauplanungsunterlagen) freigegeben. Die bevorstehende Bürgerveranstaltung am 19. November dürfte wohl als reine Informationsveranstaltung geplant sein, bei der nach Vorstellung des Senats kein Einfluss mehr auf die Planung genommen werden kann.
Angesichts der zahlreichen problematischen und fragwürdigen Annahmen der vorgestellten Planung ist das so nicht hinnehmbar.
Besonders problematische Details der Planung
Ungesicherte Ausleitung des Radwegs am Rosenthaler Platz (Blatt 5 der Ausführungsplanung)
Etwa 50 m vor dem Rosenthaler Platz endet der Radweg. Etwa an dieser Stelle wird die Fahrbahn aufgeweitet und der Verkehr in Richtung Osten auf drei Fahrstreifen geführt. Der Radverkehr wird direkt in den 3,25 m breiten, rechten Fahrstreifen geleitet, der für rechts und geradeaus fahrenden Kraftverkehr vorgesehen ist. Unklar ist, wer hier Vorfahrt hat: Muss der Radverkehr warten, weil er von einem „anderen Straßenteil“ auf die Fahrbahn einfährt (siehe § 10 Straßenverkehrs-Ordnung; StVO)? Oder muss der Kraftverkehr erst den Radverkehr vorlassen, bevor er den in den Plänen eingezeichneten Radschutzstreifen (Zeichen 340 der StVO) überfahren darf? Hier wird ein Konflikt provoziert, der zu schweren Unfällen führen kann.
Angesichts des vorgegebenen Querschnitts scheint eine verkehrssichere Lösung mit insgesamt 5 Richtungsfahrbahnen für den Kraftverkehr unmöglich. Eine Pförtnerampel, die den Radverkehr gesichert nach vorne leitet, erscheint angesichts der langen Grünphase der Torstraße nicht praktikabel. Die einzig sinnvolle Lösung wäre, die Radverkehrsführung über den Rosenthaler Platz hinweg fortzusetzen. Dies würde jedoch bei der bisherigen Lage der Mittelinsel die Reduzierung auf nur zwei Fahrstreifen für Kfz in der Knotenzufahrt erfordern. Bei einer grundsätzlich einstreifigen Führung des Kfz-Verkehrs wäre alternativ auch eine Variante mit drei echten Richtungsfahrbahnen auf der Südseite und einer auf der Nordseite denkbar. Dann könnte ein kurzer reiner Rechtsabbiegestreifen mit eigener, getrennter Signalisierung eingerichtet werden. Wir gehen davon aus, dass der Rechtsabbiegerverkehr in die Rosenthaler Straße gering ist und mit einer weiteren Verkehrsberuhigung am Hackeschen Markt noch geringer werden dürfte. Auch erwarten wir, dass der Straßenquerschnitt im weiteren Verlauf der Torstraße Richtung Rosa-Luxemburg-Platz ohnehin nur noch eine einstreifige Kfz-Führung zulässt. Wir sehen deswegen keinen sachlichen Grund, warum zwei Geradeausstreifen für den Kfz-Verkehr notwendig sein sollten.
Ungesicherte Querungen
Wie bereits jetzt, soll auch die vielgenutzte Radquerung zwischen den Fahrradstraßen Gartenstraße und Kleine Hamburger Straße auch weiterhin ohne Ampelsicherung bleiben. Die vorgesehenen Mittelinseln können die Querung zwar erleichtern, sind jedoch für starken Radverkehr kaum ausreichend. Wir schlagen vor, die beiden Mittelinseln mindestens optisch miteinander zu verbinden. Damit wird zusätzliche Aufstellfläche für wartende Radfahrer:innen gewonnen. Diese Fläche könnte analog zur Querung der Berliner Straße durch die Prinzregentenstraße abgesichert werden und zugleich unerwünschtes Linksabbiegen in die Fahrradstraßen unterbinden. Außerdem sollte ein Warnhinweis auf querenden Radverkehr angebracht werden, und es sollten beidseitig Aufstellflächen für linksabbiegenden Radverkehr geschaffen werden.
Nicht ausreichende Lieferzonen und fehlende Sicherung des Radstreifens vor Kfz
Selbst in Bereichen, in denen im Plan ein erhöhter Lieferbedarf festgestellt wird, erfolgt laut Senatsplanung keine Sicherung des Radstreifens vor illegal abgestellten Kraftfahrzeugen. Wir befürchten, dass Szenen, wie sie jetzt schon häufig am Rosenthaler Platz zu beobachten sind, nicht seltener werden. Zusätzlich halten wir es für problematisch, dass am Rosenthaler Platz der Taxihalteplatz scheinbar ersatzlos wegfallen soll. Es ist zu befürchten, dass dies zu weiteren chaotischen Szenen führen dürfte.
Aber die Linienstraße …
Immer wieder wird vorgeschlagen, der Radverkehr könne doch auf die parallel verlaufende Fahrradstraße Linienstraße ausweichen. Das greift zu kurz.
Bereits heute reicht die Linienstraße für die bestehenden Radverkehrsstärken nicht aus. In der Verkehrsmengenkarte für 2023 sind erstmals auch Angaben zum Radverkehr enthalten: Für die Linienstraße sind hier 4.800 bis 6.600 Radfahrende / Tag (12 Stunden) verzeichnet, im jetzigen Ausbauzustand sind damit die Grenzen der Kapazität oft schon überschritten. Die Torstraße wird im Planungsbereich – trotz fehlender Radverkehrsanlagen – von täglich 1.400 bis 2.700 Radfahrenden befahren.
Anwohner:innen, Besucher:innen sowie Nutzer:innen der Gastronomie und Läden in der Torstraße müssen ihre Ziele auch mit dem Fahrrad erreichen können. Für Radfahrende, die aus dem Norden kommen, ist eine Einfahrt in die Linienstraße von der Friedrichstraße aus nahezu unmöglich. Sie können frühestens an der Tucholskystraße auf die Parallelstraße wechseln. Für diejenigen, die die Torstraße nur für einen kurzen Abschnitt nutzen möchten, erfordert der Wechsel auf die Linienstraße gegebenenfalls zwei zusätzliche Querungen der Torstraße. Dies bedeutet nicht nur Umwege, sondern birgt auch zusätzliche Risiken.
Fazit
Die derzeit vorliegende Planung ist nicht nur aus der Zeit gefallen und genügt nicht den Anforderungen an eine moderne Stadtstraße in der Innenstadt, sie weist auch zahlreiche Mängel auf, die dringend korrigiert werden müssen. Spätestens hier rächt sich, dass die Senatsverwaltung auf eine weitere umfassende Öffentlichkeitsbeteiligung verzichtet hat, bei der solche Probleme rechtzeitig hätten adressiert werden können. Die Bürgerinitiative „Lebendige Torstraße“ koordiniert das Vorgehen gegen die Pläne. Ein grundsätzlicher Umbau des Straßenraums, der jetzt erfolgt, bleibt für die nächsten 50 – 70 Jahre bestehen. Noch ist es nicht zu spät, die Umsetzung einer Fehlplanung zu verhindern.














