Radwege ploppen auf
In der Corona-Krise steigen immer mehr Menschen aufs Rad um. Einige Bezirke reagieren mit der Einrichtung von Pop-Up-Radwegen. Eine Revolution in der Verwaltung? Von Lisa Feitsch.
Eintausendsechshundert Kilometer Hauptverkehrsstraßen hat Berlin. Auf all denen soll, so sieht es das Mobilitätsgesetz seit Juli 2018 vor, Fahrradfahren sicher möglich sein. Auf ausreichend breiten Wegen, mit sicherem Abstand zu parkenden Autos. Seit genau zwei Jahren ist das gesetzlich festgeschrieben. Auf den Straßen Berlins ist davon jedoch bisher nur wenig zu sehen. Hier und da tut sich etwas, wie in der Holzmarktstraße in Mitte oder an der Hasenheide in Kreuzberg – ein kurzes Aufatmen beim entspannten Radfahren in einer ansonsten auf den Autoverkehr ausgerichteten Stadt. Schuld sind auch umständliche Planungsprozesse, langwierige Abstimmungen zwischen Bezirks- und Senatsverwaltung, lähmendes Behörden-Ping-Pong.
Rund zwanzig Kilometer Pop-Up-Radwege gibt es derzeit in Berlin. Eingerichtet in der Corona-Krise zum Abstandhalten und sicherem Fahren. Fast alle in Friedrichshain-Kreuzberg, dem ersten Bezirk, der in der Krise handelte. Mit jeweils ein bis zwei Straßen folgten Mitte, Pankow und Charlottenburg-Wilmersdorf. Auch Neukölln und Treptow-Köpenick haben inzwischen beschlossen, Pop-Up-Radwege einzurichten. In den weiteren Bezirken ist trotz offener Briefe und Protest der Bevölkerung nichts passiert.
Die längst beschlossene Verkehrswende liefert die Corona-Krise also nicht. Doch was sie liefert, ist ein völlig neues Verfahren bei der Planung und dem Bau von Radwegen. Denn plötzlich geht es schnell. Was sich bisher über Jahre erstreckte, ist auf einmal innerhalb weniger Tage möglich: Senat und Bezirk arbeiten flott zusammen. Eine Woche planen, umsetzen, auf der Straße nachbessern, dann verstetigen. In wenigen Schritten stehen über Nacht ein paar Baustellenbaken zum Schutz vor zu eng überholenden und falsch parkenden Kfz auf den Straßen, gelbe Striche markieren die neuen Radstreifen. Bis Ende des Jahres gilt die Anordnung der temporären Radwege.
Temporär in der derzeitigen Ausgestaltung, denn klar ist: Die Pop-Up-Radwege sollen in dauerhafte Radwege umgewandelt werden. Klar ist auch: An manchen Stellen muss noch deutlich nachgebessert werden. Was ebenfalls bleibt, ist ein effizientes, schnelles und kostensparendes Verfahren für Senat und Bezirke, Radwege einzurichten. Das Besondere dabei: Das Testen am lebenden Objekt Straßenraum. Statt Pläne auf Papier zu bannen, die es nie auf die Straße schaffen, werden Fragen jetzt da gelöst, wo sie entstehen: Wo braucht es einen weiteren Poller zum Schutz vor Falschparkern? Wo sind die neuen Radwege noch gar nicht breit genug, um sicheres Überholen zu ermöglichen? Wo ist ein Übergang für Menschen zu Fuß wichtig? Wo brauchen wir mehr Be- und Entladezonen?
Geht es leicht und flott in der Zusammenarbeit zwischen Bezirk und Senat, sind erste Erfolge schnell sichtbar. Radwege, die nicht viel kosten und kurzfristig dort aus dem Boden ploppen, wo sie dringend gebraucht werden – eine Win-Win-Situation für die Stadt, die Bezirke und die Menschen. Statt der Revolution auf der Straße, bringt die Gesundheitskrise also vielleicht die Revolution in die Verkehrsverwaltung.