Mobilitätsgesetz: Warum es 2,50 Meter breite Radwege braucht!
Radwege in Berlin müssen ausreichend breit sein, damit Radfahrende andere Radfahrende sicher überholen können. Doch warum braucht es dazu ausgerechnet 2,50 Meter? Wir haben genauer hingeschaut.
Der ADFC setzt sich dafür ein, dass immer mehr Menschen in Berlin das Fahrrad als komfortables, umweltfreundliches und praktisches Verkehrsmittel nutzen. Dieser Artikel erklärt, warum zum Überholen von Radfahrenden die Breite von Radfahrstreifen sicherheitsrelevant ist. Gleichzeitig gibt er Tipps für eine vorausschauende, defensive Fahrweise.
Physikalische Grundlagen:
Ein Fahrrad benötigt grundsätzlich eine Fahrspur von 1,00 Meter Breite – das wird „Verkehrsraum“ genannt. Diese Breite lässt sich einfach herleiten, wie es zum Beispiel der Sachverständige für Straßenverkehrsunfälle Professor Schimmelpfennig in diesem Artikel zum Thema Sicherheitsabstand: Verhaltensweisen von Fahrradfahrern" tut.
- Gängige Alltagsräder haben eine Breite von 55 bis 65 Zentimeter Breite (gemessen an der breitesten Stelle des Lenkers).
- Radfahrende müssen ständig Ausgleichsbewegungen durchführen, um das Gleichgewicht halten zu können. Für dieses “Pendeln” benötigen sie unter normalen Bedingungen zusätzlich 0,20 Meter Platz auf jede Seite.
Beides zusammen ergibt die erforderliche Breite von 1,00 Meter. Sicherheitsabstände müssen zusätzlich berücksichtigt werden. Zum Überholen eines zweiten Radfahrenden benötigt man also den zweifachen Verkehrsraum plus sämtlicher Sicherheitsabstände.
Dabei sind die Breiten und Art der Bewegung unter anderem bei Lastenrädern, Handbikes oder Anhängern noch nicht berücksichtigt; sie erfordern zusätzlichen Bewegungsspielraum. Bei 1,00 Meter Verkehrsraum handelt es sich also um einen absoluten Minimalwert!
Infrastruktur: Sichere Radwege
Mit dem Berliner Mobilitätsgesetz gibt es erstmals gesetzliche Regeln dafür, wie Radwege (allgemeiner „Radverkehrsanlagen“) gestaltet werden müssen. Sichere Radverkehrsanlagen an jeder Hauptverkehrsstraße gehören zu den Zielen des Berliner Mobilitätsgesetzes (MobG). § 43 fordert unter anderem eine ausreichende Breite, damit sich Radfahrende sicher überholen können.
Mobilitätsgesetz: Nebeneinanderfahren oder Überholen erlaubt
Detailliert beschreibt das Mobilitätsgesetz (MobG) die Anforderungen:
§ 43 – Radverkehrsanlagen an oder auf Hauptverkehrsstraßen
(1) Auf oder an allen Hauptverkehrsstraßen sollen Radverkehrsanlagen mit erschütterungsarmem, gut befahrbarem Belag in sicherem Abstand zu parkenden Kraftfahrzeugen und ausreichender Breite eingerichtet werden. Diese sollen so gestaltet werden, dass sich Radfahrende sicher überholen können. Aus Sicherheitsgründen sollte sowohl auf gemeinsam geführte Geh- und Radwege als auch auf zur Nutzung durch den Radverkehr freigegebene Gehwege möglichst verzichtet werden.
Frühere Regelwerke lassen das Überholen von Radfahrenden oft außer Acht. In Berlin ist die Nutzung von Radwegen oder Radfahrstreifen jedoch auch in den Außenbezirken so hoch, dass Überholvorgänge regelmäßig vorkommen. Während der Kraftverkehr die jeweils geltende Höchstgeschwindigkeit einheitlich fahren kann, konkurrieren auf Radwegen Radfahrer:innen mit mehreren Geschwindigkeiten von etwa 10, 20 und 30 km/h. Auf alten Bordsteinradwegen, die auf dem Nievau des Gehwegs angelegt sind, können oft Überholvorgänge rechts über den Gehweg beobachtet werden. Das ist nicht nur unschön, sondern für Fußgänger:innen gefährlich!
Der ADFC Berlin wie auch das Mobilitätsgesetz haben die VisionZero zum Ziel, also Null schwerverletzte oder getötete Menschen im Verkehr. Dazu müssen Überholvorgänge auf Radverkehrsanlagen gefahrlos möglich sein.
Radwegbreite
Immer wieder gibt es persönliche Äußerungen oder kurze Filme im Fernsehen, dass zwei Personen auch bei 2 Meter Breite problemlos nebeneinander fahren könnten. Das trifft in der Regel zu, soweit beide „zusammen“ fahren, hat aber nichts mit Überholvorgängen zu tun.
Dabei ist „vorsichtiges Vorbeifahren“ auch bei etwas schmaleren Wegen möglich – beispielsweise mit Ankündigung oder Klingeln und einer nur geringfügig höheren Geschwindigkeit. In der Fahrradrecht-Datenbank des ADFC wird ein Urteil des OLG Frankfurt/Main vom 29.11.1989 erwähnt: „Auf einem 1,70 m breiten Radweg darf ein Radfahrer jedenfalls dann überholen, wenn er seine Überholabsicht durch Klingeln angezeigt hat und der Vorausfahrende dies wahrgenommen hat.“ Diese Breite ist aber bei heutigem Radverkehr und der angestrebten Steigerung des Radverkehrsanteils bereits unzureichend.
„Sicheres und zügiges Überholen“ dagegen verlangt einen ausreichenden und damit deutlich größeren Sicherheitsabstand. Wegen der Pendelbewegungen beider Fahrräder muss der Sicherheitsabstand zum Pendelbereich addiert werden. Es genügt nicht, dass der Bereich zwischen den Lenkern als Abstand „zweckentfremdet“ wird. Wenn Kraftfahrzeuge bei einer Geschwindigkeitsdifferenz von etwa 30 km/h einen Abstand von 1,50 Metern einhalten müssen, kann man bei Fahrrädern mit einer Differenz von 10 km/h einen Abstand von 0,50 Metern als angemessen ansehen. Als Regelbreite für einen Radweg ergeben sich also mindestens 2,50 Metern (nämlich doppelter Verkehrsraum von je 1,00 m zuzüglich Sicherheitsabstand).
Breite von Fahrradstraßen
In Fahrradstraßen sollen zwei Radfahrende nebeneinander fahren können - genauso wie in Kfz zwei Menschen nebeneinander sitzen dürfen. Gleichzeitig ist ein entgegenkommende:r Radfahrer:in oder Überholen durch andere Radfahrende vorgesehen, sodass sich nach obigen Regeln automatisch eine Fahrbahnbreite von 4,0 Metern ergibt. Sicherheitstrennstreifen von 0,75 Metern zur Vermeidung von Dooring-Unfällen kommen neben Parkstreifen dazu.
Mindestmaße
Die Empfehlungen für Radverkehrsanlagen (ERA 2010) hatten beispielsweise Schutzstreifen mit einem Mindestmaß von 1,25 Meter angegeben. Dieser Stand der Technik ist inzwischen überholt und mit den Steckbriefen E Klima wurden die Regel- zu Mindestmaßen. Die Überarbeitung der ERA ist in Arbeit und demnächst wird die neue Veröffentlichung durch die Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen erwartet.
Die in den RASt 06 und ERA, Ausgabe 2010 angegebenen Regelmaße für Radverkehrsführungen sind als Mindestwerte anzusehen und diese Anlagen sind möglichst breiter zu wählen
– Steckbriefe zu E Klima, Seite 37
Wenn in politischen Debatten solche Mindestmaße genannt werden, entspricht das schlicht nicht mehr den aktuellen Anforderungen der Verkehrstechnik.
Wie sollte ich mich verhalten?
Bei der aktuell in Berlin sehr unterschiedlich gestalteten Radinfrastruktur empfehlen wir eine vorausschauende Fahrweise. Je nach Situation kann Warten hinter langsameren Radfahrenden bis zu einer Überholmöglichkeit, ein Wechsel auf die Kfz-Fahrbahn oder eine Routenwahl über parallel verlaufende Fahrradstraßen angebracht sein. Die wichtigsten Verkehrsregeln für Radfahrende sind in unserer Verkehrssicherheitsbroschüre zusammengefasst:
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