Kidical Mass in Potsdam am 18. September 2021

Kidical Mass in Potsdam am 18. September 2021 © ADFC / Dirk Deckbar

Kidical Mass 2021: Radeln für eine sichere Zukunft

Zum Kidical Mass-Aktionswochenende rollen die Kinder durch Brandenburgs Straßen – und setzen ein bitter nötiges Zeichen für eine andere Verkehrspolitik. Von Nicholas Potter.

Viele Eltern sagen, sie könnten ihr Kind nicht alleine mit dem Fahrrad zur Schule fahren lassen – obwohl sie eigentlich eine Fahrradfamilie seien.

Mit Anhängern, Kindersitzen und Lastenrädern strömt ein bunter Fahrradkorso am 18. September durch die Eberswalder Innenstadt. Ganz vorne mit dabei: Mini-Aktivist:innen, die für sichere Radwege in der Stadt demonstrieren. Heute gehört die Fahrbahn ihnen: Insgesamt 80 Kinder und Eltern nehmen an der vom ADFC Brandenburg, VCD und der CM-Eberswalde organisierten Kidical Mass teil – einer kinderfreundlichen Version der Critical Mass- Aktion, zu Deutsch: kritische Masse. Die inzwischen globale Fahrradbewegung erobert durch ihre Aktionen die Straßen für nicht motorisierte Verkehrsteilnehmende zurück, zumindest für ein paar Stunden. Das gelingt an diesem Tag auch in Eberswalde – mit vielen selbstfahrenden Kindern und trotz Nieselregens. Die Aktion kommt gut an: Die Kidical Mass ist als Demonstration angemeldet, wird von einer lokalen Bio-Bäckerei mit Brötchen unterstützt und auch die Polizei zeigt sich kooperativ.

Es ist die zweite Kidical Mass in Eberswalde. Von den Autofahrer:innen der Stadt kommen gemischte Reaktionen: „Manche haben aus dem Fenster gewunken, sie wären gerne ausgestiegen und mitgeradelt“, erklärt Karen Greiderer, eine der Organisator:innen der Demo. Dennoch ist sie über die Polizeibegleitung froh: „Weil es leider viele Menschen gibt, die das Ganze nicht verstehen – da kochen auch gern mal die Emotionen hinter der Windschutzscheibe über.“

Dabei gibt es genug Gründe, um gegen die Verkehrssituation für Radfahrende in Eberswalde zu protestieren. So liegen zum Beispiel Schulen und Kitas an einer viel befahrenen Bundesstraße, für die Tempo 50 gilt. „Der komplette Verkehr bahnt sich da durch die Stadt, inklusive Lkw und Schwertransportern“, erzählt Greiderer. Sie kritisiert zudem unübersichtliche Kreuzungen, fahrradunfreundliche Ampelschaltungen und auf der Fahrbahn aufgepinselte „Schutzstreifen“, die teilweise deutlich schmaler sind als 150 cm und sicheres sowie entspanntes Radfahren unmöglich machen. „Viele Eltern sagen: ‚Ich kann mein Kind nicht alleine mit dem Fahrrad zur Schule fahren lassen.‘ Manche fahren deshalb sogar mit dem Auto hin, obwohl sie eigentlich eine Fahrradfamilie sind“, so Greiderer weiter. „Sie wollen keinen Unfall riskieren.“

Mit der Kidical Mass haben die Organisator*innen einen Nerv getroffen

Einen Tag später, am 19. September, findet in Königs Wusterhausen die erste Kidical Mass statt, organisiert von Eltern. Für viele Kinder ist es ihre erste Demonstration überhaupt – für einige Eltern auch. Bereits im Vorfeld erhielten die Organisator:innen positive Reaktionen auf die Aktion: Zahlreiche Menschen meldeten sich bei ihnen, um ihre Unterstützung anzubieten. „Das hat uns sehr gefreut. Es zeigte uns, dass wir mit dieser Demo einen Nerv getroffen hatten und das Thema ‚sichere Radwege für Kinder‘ viele Menschen interessiert“, erzählt Sara Riffel, die die Demo mitorganisiert hat. Beim Verteilen von Flyern und Plakaten habe sie viel Zuspruch erfahren. So erklärten sich fast alle der angesprochenen Läden und Restaurants in der Innenstadt von Königs Wusterhausen bereit, die Flyer auszulegen oder sogar Plakate aufzuhängen. Auch die Lokalzeitung berichtete darüber.

Mehr als 80 Menschen nehmen an der Kidical Mass in Königs Wusterhausen teil – darunter Kinder, Eltern und Großeltern. Mit Polizeikorso und Klingelkonzert rollen sie durch die Innenstadt und setzen ein bitter nötiges Zeichen für eine andere Verkehrspolitik. Das betont auch Reinhard Kähler von der Ortsgruppe des ADFC in seiner Rede auf der Kundgebung. Die Aktion soll Druck machen – und wird mit Aktionspostkarten mit den Zielen der Kidical Mass ergänzt, welche an die Bundestagsabgeordnete Sylvia Lehmann (SPD) überreicht werden. Auch für eine Campact-Petition für ein kinder- und fahrradfreundliches Königs Wusterhausen werden Unterschriften gesammelt, bislang haben 300 Menschen unterzeichnet.

Die Dringlichkeit der Verkehrswende wird vielen jeden Morgen auf dem Schulweg bewusst

Eberswalde und Königs Wusterhausen sind nicht alleine mit ihren Aktionen in Brandenburg: In den vergangenen Wochen fanden auch in Potsdam und Brandenburg an der Havel Kidical-Mass-Demos statt. Denn die Dringlichkeit einer Verkehrswende, die den Namen auch verdient, wird vielen Eltern und Kindern jeden Morgen auf dem Schulweg schmerzlich bewusst: Gefahren durch falsch geparkte Fahrzeuge, rücksichtslose Raser:innen und Radwege, die einfach abrupt aufhören, sind nur einige der Probleme. Daher fordert der ADFC Tempo 30 in den Innenstädten, vor Schulen womöglich auch Schrittgeschwindigkeit. Auch baulich getrennte Radwege und eine lückenlose Fahrradinfrastruktur müssen zum Verkehrskonzept gehören. Der ADFC setzt sich zudem für Verkehrssicherheitsschulungen für Kinder sowie für weniger Elterntaxis ein.

Die Kidical Mass in Königs Wusterhausen war die erste Demo überhaupt, die Sara Riffel und ihre Mitorganisatorin Katherina Toth-Butzke organisiert haben. Doch es wird nicht die letzte sein: „Nachdem wir auch ein paar Mitstreiter:innen hinzugewinnen konnten, können wir uns sehr gut vorstellen, im nächsten Jahr wieder eine Kidical Mass in Königs Wusterhausen zu organisieren“, erzählt sie. „Denn mit einer Demo allein ist es nicht getan. Wenn sich etwas ändern soll, müssen wir weiter Druck auf die Politik machen und unser Anliegen in die Öffentlichkeit tragen.“ Auch Karen Greiderer aus Eberswalde will weitermachen: „Die Euphorie nach der letzten Kidical Mass war groß.“ Gleichzeitig betont sie, dass die mediale Resonanz ebenfalls groß sein müsse, um wirklich etwas zu verändern. Und es muss sich etwas verändern: „Die Zahl der Verkehrsunfälle in Eberswalde steigt, vor allem zwischen Auto- und Radfahrenden.“ Ein Blick in die Statistik macht das deutlich: Laut dem Unfallatlas der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder gab es 2020 exakt 8.184 Verkehrsunfälle mit Personenschaden alleine in Brandenburg – davon 3.410 mit Radfahrenden. Der Landkreis Barnim, in dem Eberswalde liegt, war mit 737 gemeldeten Unfällen der traurige Hotspot.

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https://berlin.adfc.de/artikel/kidical-mass-2021-radeln-fuer-eine-sichere-zukunft

Häufige Fragen von Alltagsfahrer*innen

  • Was macht der ADFC?

    Der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club e.V. (ADFC) ist mit bundesweit mehr als 200.000 Mitgliedern, die größte Interessenvertretung der Radfahrerinnen und Radfahrer in Deutschland und weltweit. Politisch engagiert sich der ADFC auf regionaler, nationaler und internationaler Ebene für die konsequente Förderung des Radverkehrs. Er berät in allen Fragen rund ums Fahrrad: Recht, Technik, Tourismus.

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  • Was bringt mir eine ADFC-Mitgliedschaft?

    Radfahren muss sicherer und komfortabler werden. Wir nehmen dafür – auch Dank Ihrer Mitgliedschaft – nicht nur Einfluß auf Bundestagsabgeordnete, sondern setzen uns auf Landes- und Kommunalebene für die Interessen von Radfahrern ein. Für Sie hat die ADFC Mitgliedskarte aber nicht nur den Vorteil, dass wir uns für einen sicheren und komfortablen Radverkehr einsetzen: Sie können egal, wo Sie mit Ihrem Fahrrad unterwegs sind, deutschlandweit auf die ADFC-Pannenhilfe zählen. Außerdem erhalten Sie mit unserem zweimonatlich erscheinenden ADFC-Magazin Information rund um alles, was Sie als Radfahrer politisch, technisch und im Alltag bewegt. Zählen können ADFC-Mitglieder außerdem auf besonders vorteilhafte Sonderkonditionen, die wir mit Mietrad- und Carsharing-Anbietern sowie Versicherern und Ökostrom-Anbietern ausgehandelt haben. Sie sind noch kein Mitglied?

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  • Was muss ich beachten, um mein Fahrrad verkehrssicher zu machen?

    Wie ein Fahrrad verkehrstauglich auszustatten ist, legt die Straßenverkehrszulassungsordnung (StVZO) fest. Vorgesehen sind darin zwei voneinander unabhängige Bremsen, die einen sicheren Halt ermöglichen. Für Aufmerksamkeit sorgen Radler*innen mit einer helltönenden Klingel, während zwei rutschfeste und festverschraubte Pedale nicht nur für den richtigen Antrieb sorgen. Je zwei nach vorn und hinten wirkende, gelbe Rückstrahler an den Pedalen stellen nämlich darüber hinaus sicher, dass Sie auch bei eintretender Dämmerung gut gesehen werden können. Ein rotes Rücklicht erhöht zusätzlich die Sichtbarkeit nach hinten und ein weißer Frontscheinwerfer trägt dazu bei, dass Radfahrende die vor sich liegende Strecke gut erkennen. Reflektoren oder wahlweise Reflektorstreifen an den Speichen sind ebenfalls vorgeschrieben. Hinzu kommen ein weißer Reflektor vorne und ein roter Großrückstrahler hinten, die laut StVZO zwingend vorgeschrieben sind.

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  • Worauf sollte ich als Radfahrer*in achten?

    Menschen, die Rad fahren oder zu Fuß gehen, gehören zu den ungeschützten Verkehrsteilnehmern. Sie haben keine Knautschzone – deshalb ist es umso wichtiger, sich umsichtig im Straßenverkehr zu verhalten. Dazu gehört es, selbstbewusst als Radfahrender im Straßenverkehr aufzutreten, aber gleichzeitig defensiv zu agieren, stets vorausschauend zu fahren und mit Fehlern von anderen Verkehrsteilnehmern zu rechnen.Passen Sie Ihre Fahrweise der entsprechenden Situation an und verhalten Sie sich vorhersehbar, in dem Sie beispielsweise Ihr Abbiegen durch Handzeichen ankündigen. Halten Sie Abstand von Lkw, Lieferwagen und Kommunalfahrzeugen. Aus bestimmten Winkeln können Fahrer nicht erkennen, ob sich seitlich neben dem Lkw Radfahrende befinden. Das kann bei Abbiegemanövern zu schrecklichen Unfällen führen. Beachten Sie immer die für alle Verkehrsteilnehmer gültigen Regeln – und seien Sie nicht als Geisterfahrer auf Straßen und Radwegen unterwegs.

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  • Was ist der Unterschied zwischen Pedelecs und E-Bikes?

    Das Angebot an Elektrofahrrädern teilt sich in unterschiedliche Kategorien auf: Es gibt Pedelecs, schnelle Pedelecs und E-Bikes. Pedelecs sind Fahrräder, die durch einen Elektromotor bis 25 km/h unterstützt werden, wenn der Fahrer in die Pedale tritt. Bei Geschwindigkeiten über 25 km/h regelt der Motor runter. Das schnelle Pedelec unterstützt Fahrende beim Treten bis zu einer Geschwindigkeit von 45 km/h. Damit gilt das S-Pedelec als Kleinkraftrad und für die Benutzung sind ein Versicherungskennzeichen, eine Betriebserlaubnis und eine Fahrerlaubnis der Klasse AM sowie das Tragen eines Helms vorgeschrieben. Ein E-Bike hingegen ist ein Elektro-Mofa, das Radfahrende bis 25 km/h unterstützt, auch wenn diese nicht in die Pedale treten. Für E-Bikes gibt es keine Helmpflicht, aber Versicherungskennzeichen, Betriebserlaubnis und mindestens ein Mofa-Führerschein sind notwendig. E-Bikes spielen am Markt keine große Rolle. Dennoch wird der Begriff E-Bike oft benutzt, obwohl eigentlich Pedelecs gemeint sind – rein rechtlich gibt es große Unterschiede zwischen Pedelecs und E-Bikes.

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  • Gibt es vom ADFC empfohlene Radtouren für meine Reiseplanung?

    Wir können die Frage eindeutig bejahen, wobei wir Ihnen die Auswahl dennoch nicht leicht machen: Der ADFC-Radurlaubsplaner „Deutschland per Rad entdecken“ stellt Ihnen mehr als 165 ausgewählte Radrouten in Deutschland vor. Zusätzlich vergibt der ADFC Sterne für Radrouten. Ähnlich wie bei Hotels sind bis zu fünf Sterne für eine ausgezeichnete Qualität möglich. Durch die Sterne erkennen Sie auf einen Blick mit welcher Güte Sie bei den ADFC-Qualitätsradrouten rechnen können.

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