Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Landesverband Berlin e. V.

Berichte über Verkehrsunfälle halten die Schuld häufig von Kfz-Fahrenden fern. Auch sonst ist unsere Sprache geprägt von der Dominanz des Autos. © ADFC / Gerhard Westrich

Warum wir nie wieder etwas von „Radfahrerin erfasst“ lesen wollen!

Erfasst, touchiert, übersehen - warum Sprache in Polizeimeldungen und Artikeln die Wahrnehmung von Unfällen beeinflusst und dadurch Maßnahmen für mehr Verkehrssicherheit verhindert werden.

Fahrradfahrer:innen oder Fußgänger:innen werden regelmäßig „erfasst“, „touchiert“ oder „übersehen“, wenn sie „plötzlich“ und „unerwartet“ die Straße betreten, dabei „schwarz gekleidet“ waren oder „keinen Fahrradhelm“ trugen. Unfälle „ereignen sich“, es kommt zu „Zusammenstößen“ oder „Kollisionen“. Auch der RBB titelte in einem Artikel vom 23. September 2024 mit folgenden Zeilen: „Radfahrerin von Auto erfasst und tödlich verletzt“. Häufig schreibt die Polizei eine Pressemeldung, die dann von den Journalist:innen übernommen wird – ohne dass hier noch einmal selber recherchiert oder aber die Wortwahl geändert wird. 

Warum das ein Problem ist, beantwortet Dirk von Schneidemesser. Er arbeitet am Forschungsinstitut für Nachhaltigkeit in Potsdam, beschäftigt sich dabei mit der „richtigen Sprache für die Verkehrswende“ und bringt bald einen Leitfaden zur Berichterstattung über Verkehrsgewalt heraus.

Was halten Sie von der RBB-Schlagzeile: „Radfahrerin von Auto erfasst und tödlich verletzt“?

Sie ist problematisch, da sie verschleiert und beschönigt und außerdem die Schuld verschiebt.

Wie genau wird die Schuld verschoben?

Erstmal das positive: Immerhin werden zwei Akteure genannt. Oft heißt es nur: „Radfahrerin erfasst und tödlich verletzt.“ Jetzt zum Negativen: Durch die Formulierung „vom Auto erfasst“ wird der Akteur des Unfalls als Gegenstand dargestellt. Autos handeln nicht autonom. Menschen lenken Autos. Es müsste daher nicht „Auto“ heißen, sondern „Autofahrer“.

Wenn wir uns jetzt aber anhand der Schlagzeile fragen, wer für die Kollision verantwortlich ist, kommt nur die Radfahrerin in Frage. Sie ist die einzige Person, die hier genannt wird. Autos können als Gegenstände ja schlecht Verantwortung tragen. Sprachlich wird hier die Verantwortung der handelnden Person verschleiert. Obwohl es der Autofahrer ist, der hier etwas tut, steht die Radfahrerin an erster Stelle der Schlagzeile. Aus der Kommunikationsforschung wissen wir, dass wir dazu tendieren, den Akteuren, die zuerst im Satz stehen, die Verantwortung zuzuweisen. Dadurch entsteht unnötigerweise ein „Victim-blaming“. Besser wäre also: „Autofahrer erfasst Radfahrerin“.

Was löst das Verb „erfasst“ beim Lesenden aus?

Das Verb „erfasst“ ist hier fehl am Platz. Wir erfassen Zahlen oder wir verstehen etwas, wenn wir erfassen. Im Zusammenhing mit dem Unfall wirkt es verharmlosend. Vor allem wenn man weiß, dass der Autofahrer Fahrerflucht beging, was in der Schlagzeile aber nicht steht. Ich hätte die Überschrift so formuliert: „Autofahrer tötet Radfahrerin und begeht Fahrerflucht". Das was passiert ist, ist furchtbar. Es muss nicht beschönigt werden.

Welche Macht hat Sprache in der Unfallberichterstattung?

Eine große Macht. Möglicherweise sogar die Macht, Mehrheiten für Verkehrssicherheitsmaßnahmen zu bringen oder zu verhindern. Wenn Menschen häufig mit dieser Form der Darstellung von Verkehrsgewalt konfrontiert werden, neigen sie dazu, Unfälle als tragische Schicksale, Einzelfälle oder Schuld von Individuen anzusehen. Sie erwarten dann nicht, dass durch konkrete Maßnahmen strukturell für mehr Sicherheit gesorgt wird.

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