Abenteuer Volksinitiative: Mit langem Atem auf dem Weg zum Ziel
Im Gespräch über die Brandenburger Volksinitiative mit Stefan Overkamp und Christian Wessel, Landesvorstände des ADFC Brandenburg. Das Interview führte MAGDALENA WESTKEMPER, Landesgeschäftsführerin des ADFC Brandenburg.
Hallo Stefan, hallo Christian! Wir wollen heute über die „Volksinitiative Verkehrswende Brandenburg Jetzt!“ sprechen. Im Frühjahr 2019 trudelte eine Anfrage rein, eine Kampagnen-Idee zu einer Volksinitiative zur Verkehrswende…
Stefan: Ja, ich erinnere mich. Meine ersten Gedanken waren gemischt. Auf der einen Seite passte das super zu dem, was wir wollten, nämlich uns als Verband zu positionieren und auf die Straße zu gehen, Leute anzusprechen, den Verband zu aktivieren. Aber auf der anderen Seite hatte ich einen Heidenrespekt davor, diese 20.000 Unterschriften zu sammeln. Aber letztendlich war klar: Wenn es so eine Initiative in Brandenburg gibt, dann muss der ADFC dabei sein. Und so sind wir gestartet – in einem breiten Bündnis mit z. B. dem VCD Brandenburg und dem BUND Brandenburg.
Und dann kam Corona… 20.000 Unterschriften sammeln, wenn keine Feste, keine Versammlungen stattfinden…
Stefan: Ja, da hatte ich wirklich arge Bedenken. Aber die Politik hat gut reagiert, indem sie uns zweimal eine Verlängerung gegeben hat. Ansonsten wäre es für uns sehr, sehr schwierig geworden.
Christian: Die Menschen in Corona-Zeiten zu erreichen, war eine große Herausforderung. Interessiert sind an dem Thema Radverkehr genug, die Rückmeldungen waren sehr positiv.
Stefan: Und was ich auch sagen muss: Unsere Mitglieder in den ADFC-Ortsgruppen haben wirklich viel geleistet, sich total reingehangen. Ohne dieses Engagement hätten wir es niemals geschafft, so viele Unterschriften zu sammeln.
Was waren die zentralen Forderungen der Initiative in Bezug auf den Radverkehr?
Stefan: Für den Radverkehr waren 2019 zwei Themen entscheidend: Erstens wollen wir das Fahrrad als einen der Hauptträger des Alltagsverkehrs etablieren. Dafür brauchen wir eine gute Infrastruktur und ein flächendeckendes Netz, so dass man in ganz Brandenburg überall gut, sicher und komfortabel mit dem Fahrrad von A nach B kommen kann. Die zweite Forderung, gerade für Brandenburg wichtig, bezieht sich auf den Tourismus. Brandenburg ist ein Fahrradtourismusland. Da gibt es viel, viel Potenzial und leider wurde in den letzten Jahren zu wenig gemacht.
Im Januar 2021 habt ihr über 20.000 Unterschriften übergeben und drei Monate intensiv mit der Landesregierung verhandelt. Aus Sicht des ADFC: am Ende mit Erfolg?
Stefan: Ja, ich denke schon. Ein Erfolg ist für mich erstens die Überarbeitung des brandenburgischen Straßengesetzes, um zum Beispiel Radschnellwege zu bauen. Und zweitens: ein Radverkehrsplan für Brandenburg, also ein Netz mit Alltagsrouten und touristischen Wegen. Bei beiden Themen haben wir im Entschließungsantrag wichtige Pfeiler gesetzt, die nun im Dialogprozess bis Ende 2022 weiterverhandelt werden.
Christian: Ich glaube, man kann es in einem einfachen Satz so formulieren: Wir möchten, dass Radwege genauso sorgfältig geplant und gebaut werden, wie das heute bei Straßen für Autos gilt.
Wie waren diese drei Monate Verhandlungen? Könnt ihr ein bisschen aus dem Nähkästchen plaudern?
Stefan (lacht): Es war ein bisschen wie eine Achterbahnfahrt. Es gab drei Phasen. Die erste Phase war eine formale, wenn man so will. Das Bündnis hatte das Recht, im entsprechenden Fachausschuss vorzutragen. Wegen Corona fand das Ganze nicht in irgendeinem Sitzungssaal, sondern im Plenarsaal statt. Ich habe dann tatsächlich am Platz des Ministerpräsidenten Dietmar Woidke gesessen. Danach ging es in die zweite Runde…
Mit den Parteispitzen…
Stefan: Jedenfalls mit einigen, die sich dafür besonders interessierten. Da waren zum Teil ganz andere Leute dabei, man merkte auch die taktischen Interessen der Parteien. Und dann ging es endlich in die eigentlichen Verhandlungen. Und alles, was bis dahin gesprochen worden war, war eigentlich Vorgeplänkel, was mir heute klar wird. Mit den Fraktionsspitzen machten wir wieder einen Neustart. Zähe Verhandlungsrunden mussten immer wieder abgebrochen werden, Politiker mussten sich untereinander abstimmen. Ich denke, so viel kann ich verraten, in unserem Sinne sehr positiv hat sich der verkehrspolitische Sprecher der Grünen, Clemens Rostock, eingesetzt.
Christian: Am Ende der Verhandlungen haben wir Bündnisvertreter uns angeguckt und uns gefragt: Reicht uns das? Was gibt uns die Garantie, dass wir es später besser hinkriegen, wenn wir dem jetzt nicht zustimmen? Die nächste Stufe, ein Volksbegehren, ist keine Garantie für Erfolg. Im Entschließungsantrag waren substanziell ein paar wesentliche Punkte drin, mit denen wir jetzt weitermachen können im Dialogprozess.
Christian, du übernimmst jetzt für Stefan. Was kommt in diesem Dialogprozesses auf dich zu, was ist schon passiert?
Christian: Wir hatten ein erstes Treffen mit Vertretern vom Ministerium für Infrastruktur und Landesplanung. Dort wurde ganz grob der Rahmen abgesteckt, wie dieser Prozess laufen sollte. Zum Beispiel, dass wir eine professionelle, unabhängige Moderation haben wollen. Und wir haben vorgeschlagen, dass die Treffen nicht immer nur in Potsdam stattfinden, sondern dass es vielleicht auch mal ein Treffen im ländlichen Raum gibt.
Eine letzte Frage: Kommen wir mit diesem Prozess der Verkehrswende in Brandenburg näher?
Christian: Es ist ein spannendes Thema. Wie schnell wird man denn den Erfolg auf dem Radweg, auf der Straße sehen? Da muss man auch realistisch bleiben, das sehen wir am Beispiel Berlin: Dort wurde das Mobilitätsgesetz verabschiedet, die Sichtbarkeit auf der Straße und auf den Radwegen dauert aber eine Weile. Man muss einen langen Atem haben…