Verkehrsberuhigung und Schulwegsicherheit
Am 14.Oktober 23 folgten ca. 80 Radfahrer:innen dem gemeinsamen Aufruf des Netzwerks Fahrradfreundliches Reinickendorf, dem ADFC und Respect Cyclists zu einer Demonstration unter dem Motto „Verkehrsberuhigung in Wohnvierteln und Schulwegsicherheit".
In einigen Reinickendorfer Nebenstraßen herrscht reger Durchgangsverkehr – besonders in der Zeit vor Schulbeginn sind die Straßen und Kreuzungen voller Kfz. Die Folgen sind seit langem bekannt: Es kommt zu gefährlichen Situationen zwischen Motorfahrzeugen und Fußgänger:innen bzw. Radfahrer:innen. Unfälle sind die Folge – die meisten Unfälle, bei denen Kinder verletzt werden, passieren vor Schulbeginn. Aus Angst um ihre eigenen Kinder chauffieren viele Eltern sie zur Schule, was wiederum zu mehr Gefahren für die ungeschützten Verkehrsteilnehmer:innen führt. Anwohner:innen werden durch das erhöhte Verkehrsaufkommen beeinträchtigt.
Begleitet von der Berliner Polizei setzte sich der Zug kurz nach 14.00 Uhr in Bewegung und fuhr zuerst ins Waldseeviertel. Die dort beheimatete Bürgerinitiative für mehr Verkehrsberuhigung ist seit zehn Jahren aktiv und setzt sich konsequent dafür ein, den Durchgangsverkehr aus dem Wohnviertel herauszuhalten. Im Februar 2020 erzielte die BI einen Teilerfolg: Die Reinickendorfer BVV beschloss einstimmig, in der Schildower Straße und in der Elsestraße sog. temporäre Modalfilter einzusetzen, um die Durchfahrt motorisierter Verkehrsteilnehmer:innen „wirksam zu verhindern“. Es folgten Proteste, Gutachten, Runde Tische und auf diese Weise blieb alles beim Alten. Noch immer fahren Tag für Tag ca. 6.000 Kfz durch das Wohnviertel am östlichen Rand von Reinickendorf. Und damit nicht genug: In Zukunft sollen sogar Lkws durch das Viertel fahren dürfen, wie die neue Verkehrsstadträtin vor kurzem verkündete.
„Dass auf die Anwohner:innen keine Rücksicht genommen wird, wissen wir seit Jahren. Die Entscheidung, Lkws durch das Viertel fahren zu lassen, ist aber der blanke Hohn!“, kommentiert Michael Ortmann die jüngste Ankündigung aus dem Bezirksamt.
Der nächste Zwischenhalt wurde in der Heinsestraße eingelegt. Auch dort gibt es seit vielen Jahren ein erhöhtes Verkehrsaufkommen, das die Anwohner:innen nicht länger hinnehmen möchten. Zu bestimmten Zeiten fahren Pkws Stoßstange an Stoßstange durch die Wohn- und Geschäftsstraße. Für Radfahrende ist es wegen des Straßenpflasters und der parkenden Autos riskant, die Heinsestraße zu befahren. Im Auftrag des Bezirksamtes wurde eine Machbarkeitsstudie erstellt, in der konkrete Verbesserungsvorschläge genannt werden. Hierzu sagt Andreas Rietz, Anwohner und Bezirkspolitiker: „Mit der Machbarkeitsstudie für die Umgestaltung der Heinsestraße liegen viele gute Ideen vor, gerade auch für die Sicherheit des Rad- und Fußverkehrs, aber auch für die Schulwegsicherung im Quartier. Jetzt bedarf es des politischen Willens diese auch umzusetzen!“
Die Schulkinder müssen auf dem Weg zur Schule nicht nur die viel befahrene Heinsestraße, sondern auch die Dianastraße in Waidmannslust überqueren. Die Dianastraße wird von vielen Autofahrer:innen als Abkürzung von und zur B 96 genutzt, so dass es für die Schulkinder der Münchhausen-Grundschule sowie der Katholischen Schule Salvator mit einigen Gefahren
verbunden ist, den Schulweg zu Fuß oder mit dem Fahrrad auf sich zu nehmen. Auch hier lässt sich zu Spitzenzeiten eine große Anzahl von Eltern-Taxis beobachten, die zum täglichen Verkehrschaos beitragen. Selbst der ADAC ruft dazu auf, Kinder besser nicht mit dem Eltern-Taxi zur Schule zu bringen. Der Grund hierfür ist klar: Eltern-Taxis halten am liebsten direkt vor dem Schultor. Dabei kommt es zu Sichtbehinderungen, unklaren und mitunter gefährlichen Verkehrssituationen.
Seit dem Regierungswechsel nach der Wiederholungswahl im Februar dieses Jahres ist die verkehrliche Situation schlimmer geworden. Die Bezirksverordnete Kai Bartosch bewertet die Situation in ihrer Rede in der Dianastraße wie folgt: „Zu viele Autos, eine Infrastruktur, die keine Fehler verzeiht und eine unfähige Verkehrssenatorin, die von sicherem Radverkehr genauso viel Ahnung hat wie vom Zitieren in einer Doktorarbeit hat. Nämlich keine. Diese Ahnungslosigkeit setzt sich auch hier im Bezirk fort.“
Bevor es über die extrem holprige Hochjagdstraße in Richtung Cité Foche weiterging, nannte Mathias Adelhoefer, Sprecher des NFR, noch einmal die Forderungen des NFR: „Extrem wichtig für die Sicherheit der Radfahrenden ist die Schaffung und Instandhaltung von guten Radwegen. Ebenso wichtig sind Sensibilisierung und Bildung. Es ist höchste Zeit, dass die für Verkehr zuständige Stadträtin eine Kampagne für mehr Schulwegsicherheit startet und auf ein rücksichtsvolles Verhalten aller Verkehrsteilnehmer:innen hinwirkt. Außerdem muss endlich wieder der Mobilitätsrat im Bezirk tagen, damit die Verkehrsprobleme im Bezirk besprochen werden können.“
Der fünfte und letzte Zwischenhalt fand vor der Grundschule am Fließtal in der Seebadstraße statt. Auch hier ist die Situation ähnlich wie vor anderen Schulen im Bezirk. In der Zeit zwischen 7.30 und 8.00 Uhr geht es hektisch und gefährlich zu. Alle Appelle, die Kinder selbstständig zur Schule laufen oder radeln zu lassen, verhallen bis auf wenige Ausnahmen ungehört. Hier fasste Maria Anne Lamberti, Vorstandsmitglied des ADFC Berlin, die Lage nicht nur im Bezirk wie folgt zusammen: „Besonders dann, wenn ich früh morgens unterwegs bin, habe ich das Gefühl, dass der Kampf um den Platz auf der Fahrbahn härter und damit auch gefährlicher wird. Mich beschleicht dann immer wieder auf's Neue das Gefühl, es könnte jederzeit ein Unfall mit schwerwiegenden Folgen passieren! Und warum? Weil die Aggressionen und Ungeduld unter den Verkehrsteilnehmenden zunehmen und damit das Stresspotenzial ständig steigt. Das führt statt eines Miteinanders zu einem Gegeneinander! Diesem Dilemma ausgesetzt täglich ausgesetzt zu sein, beunruhigt mich sehr, macht mir Angst! Wollen wir wirklich warten, bis etwas passiert? Ich vermisse Rücksicht, Vorsicht und Umsicht!“
Auch viele Kinder nahmen an der Demo mit ihren Fahrrädern teil. Sie genossen sichtlich das unbeschwerte Radfahren auf der Fahrbahn, begleitet von Pop-Hits und beschützt von der Polizei. Ein ca. 12jähriges Mädchen sagte: „Heute habe ich keine Angst, dass etwas passiert. So schön müsste das Radfahren jeden Tag sein!“
Michael Ortmann sagte im Anschluss an die Demo: "Es geht nicht nur um die Vermeidung von Durchgangsverkehr in Wohnvierteln, wie bei uns im Waldseeviertel, sondern gleichzeitig auch um Tempo-30 auf den umliegenden Hauptstraßen. Beide Forderungen sind zwei Seiten ein und derselben Medaille. Deshalb freue ich mich so sehr über diese gelungene, gemeinsame, ganzheitliche Demonstration."
Das Netzwerk Fahrradfreundliches Reinickendorf (NFR) ist ein Zusammenschluss engagierter Radfahrer:innen, die sich für sichere, komfortable und vernetzte Radwege in Reinickendorf einsetzen. Das NFR wurde am 27.2.2020 auf Initiative von Changing Cities e.V. gegründet. Auf den regelmäßigen Treffen werden Erfahrungen ausgetauscht und Aktionen geplant.