Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Landesverband Berlin e. V.

Mecklenburgischer Seen-Radweg: Baden fahren

Eine rund 600 Kilometer lange Tour führt von Lüneburg nach Usedom – oder auf einer reizvollen Abkürzung nach Stettin. Text und Fotos von Stefan Jacobs.

Da, ein See! Mit Badestelle! Zwei lange Radeltage haben wir darauf gewartet. Wasser gab es in vielerlei Art, aber nie konnten wir hinein: Gleich beim Start floss die Ilmenau durchs backsteinschöne Lüneburg. Im Kloster Lüne sprühte ein Rasensprenger im verwunschenen Kräutergarten. Am Schiffshebewerk in Scharnebeck sind wir sogar unter Wasser durchgefahren. Dann sind wir mit der Elbfähre von Bleckede darauf geschwommen und dem Deich von Niedersachsen bis nach Dömitz an den Südwestzipfel von Mecklenburg gefolgt. Von da ging es über manchen Wassergraben in die herzögliche Residenzstadt Ludwigslust, wo das Schloss sich in einem Bassin spiegelte und zum Park gleich mehrere Teiche gehören. Später ging’s direkt an der weitläufigen Karpfenzucht von Neustadt-Glewe vorbei, die über die Jahrzehnte zum Wasservogelparadies geworden ist. Dort hat es derart gewittert, dass die Landstraße fast abgesoffen war, die etwa dem Verlauf der Elde – nicht zu verwechseln mit der Elbe – folgte. Doch keines dieser Wässer taugte wirklich zur Erfrischung, die wir am schilfgesäumten Wockersee in Parchim endlich bekommen.

Die Erfrischung haben wir auch wegen des Versprechens herbeigesehnt, das der Mecklenburgische Seen-Radweg im Namen trägt. Auf fast 700 Kilometern führt er von Lüneburg durch die Seenplatte bis nach Usedom. Die Insel wollen wir uns sparen, damit die Tour in eine Urlaubswoche passt und wir mal testen können, wie es sich durch Polen radelt. Aber da sind wir noch lange nicht, sondern hier in Parchim, wo noch viel altes Fachwerk auf Rettung wartet. Andere Gebäude sehen bereits prächtig aus, vor allem das backsteinerne Rathaus am Alten Markt. Der Neue Markt liegt zwei Kirchen und drei Querstraßen westlich davon auf einer Insel in der Elde. Hier gibt es einen Laden, dessen edle Extravaganz auffällt: die Schuhmanufaktur von Kay Gundlack.


 

Der 44-jährige gelernte Orthopädieschuhmacher hat sich 2005 mit der Manufaktur seinen Traum erfüllt. Inzwischen hat er 700 Kunden, von denen fast keiner in der Gegend wohnt. Manche kennt man aus dem Fernsehen – wo Gundlack dann seine Schuhe beispielsweise an den Füßen von David Garrett oder Thomas Gottschalk wiedersieht. Die meisten Kunden besucht Gundlack in ihrer Welt, die aus Mecklenburger Sicht oft ein Paralleluniversum ist: mit Garagen voller Sportwagen und Hauspersonal, das die Tür öffnet. Ab 1600 Euro kostet ein Paar. Zum Arbeiten müsste er woanders wohnen, sagt Gundlack. »Aber die Lebensqualität hier ist nicht zu toppen.« Wobei er vor lauter Arbeit zuletzt sowohl die Mecklenburger Seen-Runde – 300 Kilometer am letzten Maiwochenende – als auch die Velo Classico verpasst hat, bei der Radnostalgiker in Tweed und Leinen auf alten Stahlrössern im September ein paar Runden um Ludwigslust drehen. Wir radeln weiter ostwärts durch zunehmend hügeliges Land.

In Plau am See mit seinen Fischbrötchenständen und dem Bootsverkehr liegt Urlaubsfeeling in der Luft. Doch die Beinarbeit wird härter: Der unbefestigte Radweg am steilen Ufer des Plauer Sees ist eher zum Wandern geeignet. Ja, sagt die Wirtin im idyllisch gelegenen Gutshaus Woldzegarten am Abend, leider müsse sie Gäste noch immer vor Sandwegen warnen. Radwege scheinen den Behörden unwichtig, obwohl die Gegend mit ihren Eiszeithügeln und Seen und den Gutshäusern wie diesem hier doch grandios zum Radeln wäre.

Der nächste Tag bestätigt den Eindruck: An der blitzblanken Müritz wird es richtig schön – aber gefährlich, wenn man die Blicke zu lange schweifen lässt. Am Nordwestufer von Deutschlands größtem Binnensee wechseln Sandlöcher mit aberwitzigem Gefälle und einemhandtuchbreitem Radwegstück hinter einer Leitplanke. Alles nicht lang, aber als beschilderte Radroute ein schlechter Witz. Die Versöhnung folgt am Ostufer auf der Tour durch den Müritz-Nationalpark mit seinen Wäldern und Sümpfen. Dahinter beginnt die Kleinseenplatte, in der sich die Paddler tummeln und die Seen kaum noch zählen lassen. Wer gern planscht, kann hier gleich in Badesachen radeln.

Das bleibt so auch an den beiden Folgetagen, an denen die Route über Neustrelitz und durch die Feldberger Seenlandschaft nach Neubrandenburg führt. Das liegt direkt am Tollensesee, dessen Umgebung ein Highlight dieser Radelwoche ist: von steilen Hügeln öffnen sich weite Blicke über Felder mit Mohn-, Kornblumen- und Kamillendeko. Und mittendrin liegt tiefblau das Wasser. Weiter nordöstlich sind die Seen weg, aber die Hügel übrig, was die Fitness stärkt und das Auge erfreut. Ueckermünde liegt am Oderhaff, das mit Strandleben und Schaumkämmen so tut, als wäre es die Ostsee. Vom »Haffhus« hat man einen herrlichen Blick darauf – sofern man sich nicht zufällig im neuen Heizhaus (mit Holzvergaser und Speicherbatterie) mit Dirk Klein vom Management verplaudert, der kurzweilig erklären kann, wie und warum sich das Hotel mit immerhin 76 Zimmern vom allgemeinen Stromnetz verabschiedet und seine eigene Energiewende plant – samt klimaneutral beheiztem Pool.

Der Pool hat auch deshalb Sinn, weil das Haff nicht so klar ist wie die Ostsee. Die schwappt auf der anderen Seite der Insel Usedom, die als dunkler Streifen am Horizont liegt. Dorthin führt der SeenRadweg eigentlich – aber statt dem großen Bogen über Anklam dorthin fahren wir auf nagelneuen Radwegen ostwärts am Haff entlang bis nach Altwarp. Jahrzehntelang war hier die Welt zu Ende. Doch jetzt tuckert mehrmals täglich »Lütt Matten«, ein gewienerter alter Holzkutt er, hinüber nach Nowe Warpno, also Neuwarp auf der polnischen Seite. Das Dorf liegt auf einer Halbinsel mit hübscher Promenade; ein neuer Radweg führt auf einer alten Bahntrasse landeinwärts.

Die südlich anschließende Landstraße ist frisch asphaltiert und nicht stärker befahren als manche der Straßen, auf denen der Seenradweg in Mecklenburg verläuft . Später geht es auf schmalen Sträßchen parallel zur deutschen Grenze weiter südwärts. In Stolec (Stolzenburg), wo mitten im Dorf ein prächtiges Schloss vor sich hindämmert, gibt’s noch mal eine hübsche Badestelle. Stettin ist nicht mehr weit, und auf den letzten Kilometern hinter Dobra(Daber) wird der Verkehr großstädtisch. Aber von Norden her, wo der Glambecker See als letzter seiner Art auf dieser Reise liegt, kommt man durch den langgezogenen Arkonska-Waldpark passabel ins Zentrum, das mindestens einen Stopp am Herzogsschloss und dem Oderufer lohnt. Und gleich nebenan dieselt am Hauptbahnhof ein Triebwagen der DB vor sich hin, der einen zurück nach Deutschland schaukelt.

Es gibt Spiralos von Esterbauer und BVA sowie eine Kompass-Karte zum Seenradweg, die aber alle nicht mehr aktuell sind. Eine Alternative sind die aktuellen Bikeline-Karten der jeweiligen Regionen, in denen die Route markiert ist.

Gefahrene Etappen (mit Web-Adressen der durchweg empfehlenswerten Quartiere):

  1. Lüneburg – Dömitz: 85 km (doemitzer-hafen.de)
  2. Dömitz – Parchim: 89 km (hotel-parchim.de)
  3. Parchim – Woldzegarten: 74 km (woldzegarten.de)
  4. Woldzegarten – Peetsch: 78 km (landhotel-peetsch.de)
  5. Peetsch – Neustrelitz: 45 km (basiskulturfabrik.de)
  6. Neustrelitz – Neubrandenburg: 67 km (badehaus-am-see.de)
  7. Neubrandenburg – Ueckermünde: 85 km (haffhus.de)
  8. Ueckermünde – Stettin: 65 km

An- und Abreise: von Berlin direkt nach Lüneburg mit dem IRE (täglich 7:52 Uhr ab Ostbahnhof via Hbf., Zoo, Spandau; Fahrräder reservierungspflichtig), zurück ca. alle 2 h mit der RB 66 ab Stettin (VBB-Tickets für nur 11 Euro gibt’s auch im Zug).

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