Mobilitätsgesetz für Brandenburg: Auf Unfallzahlen müssen Taten folgen

2021 wurden laut Unfallstatistiken des Landesinnenministeriums 18 Radfahrende auf

Brandenburger Straßen getötet.. Hinzu kommen Tausende verletzte Radfahrer*innen. Auf

Zahlen müssen Taten folgen. Von Nicholas Pott

Jedes Jahr werden in Brandenburg fast so viele Radfahrende im Straßenverkehr verletzt, wie der ADFC Brandenburg Mitglieder hat – rund 3.000. Auch die Zahl der Unfälle, an denen Radfahrende beteiligt sind, nimmt kaum ab: Im vergangenen Jahr waren es rund 3.600. Und das trotz eines weiteren Corona-Jahrs, das von Home Office, Lockdown, Online-Unterricht und damit auch weniger Straßenverkehr geprägt war. Von der Vision Zero – keine Toten und Schwerverletzten im Verkehr – ist Brandenburg noch Meilen entfernt. Stefan Overkamp, Landesvorsitzender des ADFC Brandenburg, beschreibt die neuesten Unfallstatistiken als „immer noch besorgniserregend“. Den offiziellen Angaben zufolge trage mehr als die Hälfte der verunglückten Radfahrenden die Hauptschuld an den Verkehrsunfällen, ist den Statistiken zu entnehmen. Doch die Zahlen suggerieren ein falsches Bild. Denn mitgezählt werden hier auch sogenannte „Alleinunfälle“ von Radfahrenden, die 2021 rund 20 Prozent ausmachten. „Also wenn eine Radfahrerin auf einem schlechten Radweg stürzt und sich dabei selbst verletzt, würde sie im Unfallbericht als Verursacherin mit Personenschaden geführt“, kritisiert Overkamp. Rechnet man diese Alleinunfälle heraus, tragen beim Zusammenstoß von Radfahrenden mit anderen Verkehrsteilnehmenden die Radfahrenden nur in etwa zu einem Drittel die Hauptschuld. „Durch diese Darstellung wird der Blick auf das eigentliche Unfallgeschehen verzerrt“, so Overkamp weiter. „Es ist traurig, dass von offizieller Seite diese einseitige Darstellung zum Nachteil der Menschen auf dem Rad vorgetragen wird.“

Auf Zahlen müssen Taten folgen
Das eigentliche Unfallgeschehen zeigt deutlich: Auf Zahlen müssen Taten folgen. Konkret heißt das: bremsen und bauen. Wo keine sicheren Radwege vorhanden sind, muss das Tempolimit auf 30 km/h innerorts und 70 km/h außerorts re‐ duziert werden, fordert der ADFC Brandenburg. Das kann Leben retten – und zwar nicht nur das von Radfahrenden. Denn 2021 kam fast jederzweite Verkehrsunfalltote im Bundesland insgesamt wegen überhöhter Geschwindigkeit ums Leben – ein leichter Anstieg im Vergleich zu 2020. Zu einer sicheren Verkehrsinfrastruktur gehört auch, gefährliche Kreuzungen, an denen sich Unfälle häufen, umzubauen. Zusätzlich braucht es ein flächendeckendes Radwegnetz – in Brandenburg und darüber hinaus.

An Ambitionen mangelt es nicht
Eine besondere Gefahr für Radfahrende sind Lkw. Kaum ein Monat vergeht ohne die nächste tragische Schlagzeile über einen rechtsabbiegenden oder zu knapp überholenden Lastwagen und einen Menschen auf dem Rad, der dadurch sein Leben verliert. Der ADFC Brandenburg fordert, dass Lkw ohne Abbiegeassis‐ tent nicht mehr in Städten und Gemeinden fahren dürfen. Denn eine Verbesserung der Verkehrssituation wird nicht von alleine kommen, betont Overkamp: „Nur wenn Radfahren für alle sicher und attraktiv ist, steigen mehr Menschen aufs Rad.“ An Ambitionen zumindest mangelt es auf politischer Ebene in Brandenburg nicht. Das Klimaziel der rot-schwarz-grünen Koalition bis 2030 ist die Steigerung des Verkehrsanteils des sogenannten Umweltverbunds (nicht-motorisierter Verkehr, öffentliche Verkehrsmittel, Carsharing) am sogenannten `modal split` auf 60 Prozent. Da ist aber noch viel zu tun: Aktuell liegt er bei rund 40 Prozent. Ziel der Landesregierung ist es auch, bis 2045 den Verkehr in Brandenburg komplett klimaneutral zu machen. Nachdem die Volksinitiative „Verkehrswende Brandenburg jetzt!“ formal abgelehnt wurde, wie im Bundesland üblich, wenn sie nicht eins zu eins von der Landesregierung übernommen wird, begann ein Dialogprozess zwischen dem für Verkehr zuständigen Ministerium für Infrastruktur und Landesplanung und Vertretern der Volksinitiative wie dem ADFC, um ein Mobilitätsgesetz zu verhandeln.

Fahrradanteil verdoppeln
Um diese Ziele zu erreichen, muss der Fahrradanteil im Verkehr allerdings verdoppelt werden. „Das passiert nicht mit ein bisschen Kosmetik“, warnt Christian Wessel, stellvertretender Landesvorsitzender des ADFC Brandenburg, der auch am Verhandlungstisch für das Mobilitätsgesetz sitzt. „Dafür müssen wir wirklich massiv in die Radverkehrsinfrastruktur investieren. Und da ist im Moment ein großes Fragezeichen, ob das noch in dieser Legislatur begonnen wird.“ Laut einem Gutachten sind dafür jährlich rund 100 Millionen Euro Investitionen in den Radverkehr nötig. Aktuell wird der Doppelhaushalt der Landesregierung für 2023 und 2024 noch hinter verschlossenen Türen verhandelt. Doch nach zwei Corona-Jahren ist das Land Brandenburg auf Sparkurs, von politischer Seite heißt es momentan: Das Geld für solche Maßnahmen fehle. „Das ist eine große Herausforderung“, räumt Wessel ein. „Wir brauchen aber nicht unbedingt mehr Geld im Verkehrsbereich, sondern wir müssen das Geld weg vom Auto, hin zum Fahrrad und ÖPNV umverteilen.“ Denn es geht nicht nur um Radverkehr, sondern auch um Bus und Bahn, wie Wessel betont: „Das kann nur in Kombination funktionieren, vor allem im ländlichen Raum, von dem wir in Brandenburg viel haben.“ Während die Verhandlungen in Potsdam andauern, appelliert der ADFCLandesvorsitzende Overkamp an die Politik: „Wir können die Landesregierung nur ermutigen, im Mobilitätsgesetz die Weichen für eine durchgehend sichere Infrastruktur für Radfahrer in unserem Land zu stellen.“ Der Preis dafür, nicht zu handeln, könnte ansonsten in der Unfallstatistik für 2022 schmerzhaft sichtbar werden.

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