Gedenken an die Pogromnacht vom 9. November 1938

Mit einer Fahrradtour, die wir zusammengestellt haben, wollen wir an die Pogromnacht vom 9. November 1938 erinnern. Vor 85 Jahren zerstörten SA- und SS-Truppen die Geschäfte von Jüdinnen und Juden und setzten Synagogen im ganzen Land in Brand.

Denkmal für die ermordeten Juden Europas, direkt neben dem Brandenburger Tor gelegen.

Eingefallenes Gesicht / erloschene Augen /kalte Lippen / Stille /ein zerrissenes Herz /ohne Atem /ohne Worte / keine Tränen."

Unsere Fahrradtour, die wir für euch zusammengestellt haben, führt an wichtigen Orten der Erinnerung und Mahnung, aber auch des Wissens und der Hoffnung entlang. Sie ist 22 Kilometer lang und dauert circa drei Stunden.

Unsere Tour beginnt am Savignyplatz in Charlottenburg-Willmersdorf. Unter den S-Bahn-Gleisen durchfahren wir die Bleibtreustraße bis wir an der der Lietzenburger Straße, der kleinen Schwester des hektischen Kurfürstendamms, nach links abbiegen. Vorbei an gemäßigtem Autoverkehr fahren wir etwa einen Kilometer Richtung Schöneberg und biegen dann nach links auf die Joachimsthaler Straße ab. Dort liegt unser erstes Ziel: die zentrale orthodoxe Synagoge.

Die zentrale orthodoxe Synagoge in der Joachimsthaler Straße 13 wurde 1901 erbaut. 1935 gründete der Bildungsverein der Jüdischen Reformgemeinde hier die Joseph-Lehmann-Schule, um den aus den Regelschulen ausgeschlossenen jüdischen Kindern Unterricht geben zu können. 1942 wurden die letzten jüdischen Schulkinder deportiert. Heute ist die Synagoge wieder ein lebendiger Ort: Es finden Gottesdienste, Morgen- und Abendgebete statt, es gibt einen Jugend- und Studentenclub.  

Wir fahren weiter Richtung Bahnhof Zoo und in den Kurfürstendamm rechts hinein. Die Radspur ist hier sehr eng, generell ist der Verkehr unübersichtlich, fahren Sie vorsichtig. Die Tauentzienstraße führt uns nach mehreren hundert Metern zum Wittenbergplatz, der zweiten Station.

Am U-Bahnhof Wittenbergplatz steht eine metergroße Gedenktafel. Der Text: „Orte des Schreckens, die wir niemals vergessen dürfen“. Darunter werden die Namen von Konzentrationslagern aufgelistet: Ausschwitz, Stutthof, Theresienstadt. Eine identische Tafel steht am Kaiser-Wilhelm-Platz.

Wir fahren weiter die Tauentzienstraße entlang, die hinter dem Wittenbergplatz ihren Namen ändert. Der Radweg wird breiter und die zweispurige Straße ermöglicht einen entspannteren Verkehr. Bereits am U-Bahnhof Nollendorfplatz treffen wir auf den nächsten Ort der Mahnung: den „Rosa Winkel“.

An der Südwand des U-Bahnhofs Nollendorfplatz befindet sich die Gedenktafel „Rosa Winkel“. Der obere Teil der Tafel hat die Form eines Dreiecks, darunter steht eine Infotafel mit folgender Inschrift: „Der rosa Winkel war das Zeichen, mit dem die Nationalsozialisten Homosexuellen in den Konzentrationslagern in diffamierender Weise kennzeichneten. Ab Januar 1933 wurden fast alle rund um den Nollendorfplatz verteilten homosexuellen Lokale von den Nationalsozialisten geschlossen oder zur Anlegung von ‚rosa Listen' (Homosexuellenkarteien) durch Razzien missbraucht.“

Altstadt und jüdisches Viertel

Wir folgen der Bülowstraße in Richtung Gleisdreieck.Am Bülowbogen treffen wir auf den Park am Gleisdreieck, bei dem wir links abbiegen. Wir halten uns auf der rechten Parkhälfte, um in die Schöneberger Straße einzufahren und folgen dem Straßenverlauf bis zur Wilhelmstraße, in die wir links einbiegen. Nach etwa hundert Metern treffen wir auf der gegenüberliegenden Straßenseite auf unser nächstes Ziel: die Ausstellung „Topografie des Terrors“.

Zur Zeit des Nationalsozialismus befanden sich hier die wichtigsten Institutionen des Verfolgungs- und Terrorapparates: das geheime Staatspolizeiamt, die Reichsführung-SS und das Reichssicherheitshauptamt. Die „Topografie des Terrors“ beschäftigt sich in einer Dauerausstellung und vielen Sonderausstellungen u.a. mit der Geschichte des Ortes, dem Wirken der Geheimdienste und den von ihnen europaweit verübten Verbrechen.

Wieder zurück auf der Wilhelmstraße fahren wir durch die zunehmend ruhiger werdenden Kieze in Mitte. An der Möhrenstraße biegen wir rechts ab. Der schachbrettartige Aufbau des historischen Stadtkerns erlaubt es uns, sich die schönste Straße zum Linksabbiegen auszusuchen – für das Fahrrad ist jedoch die Charlottenstraße besonders geeignet. Noch einmal rechts und nach 150 Metern auf der Behrenstraße sind wir beim nächsten Ziel der Radtour angelangt: dem Bebelplatz.

Man muss etwas suchen, um das Denkmal der Bücherverbrennung auf dem Bebelplatz zu finden: Ein in den Boden eingelassener 5x5x5 Meter großer unterirdischer Raum, der durch eine Glasscheibe von der Außenwelt geschützt ist. An den Wänden des Raumes befinden sich leere Regale, die 20.000 Bücher fassen könnten. Das Denkmal erinnert an die Bücherverbrennung vom 10. Mai 1933. Nationalsozialistische Studenten verbrannten die Werke freier Schriftsteller, Publizisten, Philosophen und Wissenschaftler. Auf zwei dazugehörigen Bronzeplatten steht: „Das war ein Vorspiel nur, dort wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen.“ Das Zitat stammt von Heinrich Heine aus dem Jahr 1820.

Immer geradeaus geht es Richtung Prenzlauer Berg. Hinter dem Alexanderplatz befindet sich das Scheunenviertel, in dem viele Jüdinnen und Juden lebten. Zwei Ecken später stehen wir vor der sechsten Station unserer Fahrt.

Die Synagoge in der Rykestraße wurde 1904 eingeweiht und ist heute mit 2000 Sitzplätzen einer der größten Synagoge Europas. Am 9. November 1938 wurde sie während der Pogromnacht in Brand gesetzt, wurde dann aber aufgrund ihrer Nähe zu Wohnhäusern schnell gelöscht.

Zurück nach Mitte und zum Holocaust-Mahnmal

Auf der zweiten Hälfte unserer Reise haben wir zuerst einmal einen längeren Weg vor uns. Über die Kollwitzstraße gelangen wir zum Senefelder Platz und nach etwa zweihundert Metern auf der Schwedter Straße können wir gleich zwei Fahrradstraßen entlangfahren: die Choriner Straße runter und dann über die Torstraße auf die Linienstraße. Passen Sie bei der Rosenthaler Straße gut auf, da die Infrastruktur Radfahrer:innen benachteiligt und gefährdet! Die Friedrichstraße fahren wir nach links hinunter und unterfahren den Bahnhof. Dort finden wir unser nächstes Ziel.

Das fast lebensgroße, bronzene Denkmal „Züge ins Leben – Züge in den Tod 1938-1939“ zeigt zwei Gruppen von Kindern, Gleise und zerbrochene Koffer. Die eine Gruppe steht für jene 10.000 jüdische Kinder, die per Zug nach England gerettet werden konnte. Die andere Gruppe symbolisiert jene 1,5 Millionen Kindern, die im Holocaust den Tod fand. Am Bahnhof Friedrichstraße fuhren sowohl die „Züge ins Leben“ als auch später die „Züge in den Tod“ und damit in die Konzentrationslager ab.

Über die Neustädtische Kirchstraße gelangen wir erneut zu Unter den Linden. Dieses Mal geht es bis zum Brandenburger Tor. Wir durchqueren das Brandenburger Tor und fahren halbrechts in den Tiergarten rein. Nach wenigen Metern treffen wir auf die achte Gedenkstätte.

Auf halber Strecke zwischen Reichstagsgebäude und dem Brandenburger Tor erinnert ein Denkmal an die 500.000 im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma. Herzstück des Denkmals ist ein kreisrunder See, bestehend aus einer Wanne dunkel beschichteten Stahls. Dazu steht ein Gedicht des italienischen Roma-Musikers, Komponisten und Hochschullehrers Santino Spinelli: Eingefallenes Gesicht / erloschene Augen /kalte Lippen / Stille /ein zerrissenes Herz /ohne Atem /ohne Worte / keine Tränen.

Es geht wieder zurück zum Brandenburger Tor. Wer will kann natürlich auch einen Umweg über weitere Teile des Tiergartens nehmen. Vom Brandenburger Tor aus können wir die nächste Gedenkstätte schon sehen.

Das Denkmal für die ermordeten Juden in Europa wurde zwischen 2003 und 2005 erbaut und besteht aus 2.711 Betonstelen, die wellenförmig angelegt wurden. Es erinnert an die sechs Millionen Juden und Jüdinnen, die während des Holocausts von den Nationalsozialisten ermordet wurden.

Weiter am Tiergarten entlang hin zum Endpunkt

Folgen wir nun weiter der Tiergartengrenze; ein sehr schöner Fahrradweg, der direkt am Tiergarten entlangführt. Wir biegen um die Kurve nach rechts und weichen damit dem Potsdamer Platz aus. Stattdessen geht es auf die Lennéstraße, der wir für einige hundert Meter folgen. Auf der linken Seite, in etwa auf der Höhe der Philharmonie, begegnen wir der Gedenkstätte der Euthanasiemorde.

Eine blaue, teilweise transparente Gedenkwand erinnert an die insgesamt 216.000 Menschen mit Behinderungen, die Opfer der nationalsozialistischen Euthanasie-Programme wurden. Errichtet wurde sie in der Tiergartenstraße 4 und damit an dem Ort, an dem die Massenmorde organisiert wurden.

Wir begeben uns zurück auf die Tiergartenstraße und fahren einige hundert Meter weiter. In der Stauffenbergstraße biegen wir links ein. Fast wie ein Außenbezirk wirkt die dortige Architektur: hohe Gebäude, viel Backstein. Hinter der ägyptischen Botschaft befindet sich unsere letzte Gedenkstätte.

Die Gedenkstätte Deutscher Widerstands erinnert an jene mutigen Menschen, die sich dem nationalsozialistischen Regime entgegengestellt haben. Sie befindet sich auf dem Gelände des ehemaligen Bendlerblocks, wo das Attentat auf Adolf Hitler am 20. Juli 1944 stattfand. Auf dem Innenhof gibt es eine Infotafel und eine Statue, durch eine kleine Tür gelangt man in eine interessante Dauerausstellung.

Auf dem Weg zurück zur zentralen orthodoxen Synagoge, die sowohl den Start- als auch den Endpunkt unserer Tour markiert, geht es noch einmal durch Charlottenburg. Am Reichpietschufer fahren wir den Landwehrkanal bis zur Klingelhöferstraße entlang, bei welcher wir links abbiegen. Wir folgen dem Straßenverlauf relativ lange. Um zur Synagoge zu gelangen, fahren wir in die Joachimthaler Straße nach rechts rein und sind am Ende unserer Tour angelangt.

Text und Fotos: David von Drateln


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